Olympia 2022 in der Kritik: Die Xinjiang-Frage
Der Ruf nach einem Boykott der Winterspiele von Peking wird lauter. Das brutale Vorgehen gegen Muslime in Xinjiang setzt auch Sponsoren unter Druck.
![Chonas Präösident vor einer aufreihten Sportlerschar. Im Hintergrund die olympische Skisprunganlage Chonas Präösident vor einer aufreihten Sportlerschar. Im Hintergrund die olympische Skisprunganlage](https://taz.de/picture/4663466/14/26647556-1.jpeg)
Doch die Vision des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei steht auf dünnem Eis – und das nicht nur wegen der unberechenbaren Entwicklung der Coronapandemie, die dem seit einigen Monaten nahezu virusfreiem China nochmal einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Denn im Gegensatz zu Europa wird die Bevölkerung von 1,4 Milliarden Chinesen bis zum Beginn der Olympischen Spiele noch nicht durchgeimpft sein.
Die ungleich stärkere Bedrohung ist jedoch eine politische. In vielen Ländern wird eine Boykottdebatte geführt, die in den kommenden Monaten an Fahrt gewinnen wird. Ausgang sind wenig überraschend die USA: Am letzten Amtstag der Regierung Trumps hat Washingtons ehemaliger Außenminister Mike Pompeo die Menschenrechtsverletzungen Chinas in der muslimisch geprägten Provinz Xinjiang offiziell als Genozid eingestuft.
Pompeos Einlassung wird von vielen US-Leitmedien als moralischer Auftrag interpretiert, die heimischen Athleten nicht in die Volksrepublik zu schicken. Am Mittwoch haben zudem auch 180 Gruppen chinesischer Aktivisten zu einem „diplomatischen Boykott“ der Spiele aufgerufen.
Druck auf das IOC
Der Völkermordvorwurf wird einen Dominoeffekt auslösen: Es steigt damit etwa der Druck auf Sponsoren, die Geschäfte in China betreiben – und möglicherweise in ihren Lieferketten indirekt durch Zwangsarbeit aus Xinjiang profitieren. Sie müssen mit öffentlicher Entrüstung und Sanktionen aus Washington rechnen.
Das IOC bekommt jenen Druck bereits zu spüren: Vor einer Woche wurde Thomas Bach nach einer Pressekonferenz zu seinem jüngsten Gespräch mit Xi Jinping gefragt. Ob sie auch über die Internierungslager in Xinjiang gesprochen haben? Bach riegelte ab: „Sorry“ – die Öffentlichkeit gehe das nichts an.
Die Xinjiang-Frage ist das für die chinesische Regierung wohl heikelste Thema. Wissenschaftler und Journalisten haben in den letzten Jahren aufgedeckt, dass in der westchinesischen Provinz Hunderttausende Muslime systematisch in Internierungslager weggesperrt werden. Über die politische Einordnung wird international heftig gestritten: Besonders kritische Stimmen, oftmals aus den USA, sprechen von Konzentrationslagern und ziehen Vergleiche zum Holocaust.
Am anderen Ende des Spektrums beruft sich Pekings Staatsführung auf Ausbildungszentren, in denen potenzielle Terroristen deradikalisiert werden. Xi Jinpings „Kampf gegen den Terror“ – ironischerweise inspiriert durch Amerikas Strategie nach 9/11 – hat zu einem Polizeistaat in der Region geführt, der eine ganze ethnische Minderheit unter Generalverdacht stellt.
Pekings Propagandaoffensive
Führende Politiker aus dem angelsächsischen Raum haben die Möglichkeit eines Olympiaboykotts ins Spiel gebracht: Australien, Großbritannien und Kanada. Am weitesten gehen jedoch die USA: Im März vergangenen Jahres haben ein Dutzend Senatoren eine Resolution eingereicht, die das olympische Komitee auffordert, den Standort für die Winterspiele 2022 neu auszuschreiben.
Ob ein Boykott die Menschenrechtslage in Xinjiang verbessern würde, bleibt fraglich. Der internationale Druck hat schon mal dazu geführt, dass Peking seinen Propaganda-Apparat angeworfen hat: Verstärkt posten die Staatsmedien auf sozialen Medien Kurzvideos über Xinjiang. Und am Mittwoch lud die Regierung Diplomaten zu einem Webinar namens „Xinjiang ist ein wundervolles Land“.
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