Oliver Stones Politthriller „Snowden“: Vom Whistleblower verweht
Oliver Stone blüht in seinem Film in der Rolle als Edward Snowdens Anwalt auf. Doch erzählerisch erstarrt „Snowden“ in alten Formen.
Wenn Parlamentsausschüsse mit abgekarteten Erklärungen an die Öffentlichkeit treten und die amerikanische Regierung sich zu offiziellen Stellungnahmen genötigt sieht, ahnen wir fast, dass ein neuer Oliver-Stone-Film bevorsteht. Da spielt es zunächst auch keine Rolle, dass Stone mit seinem Whistleblower-Biopic „Snowden“ gut zwei Jahre zu spät kommt.
Die US-Journalistin Laura Poitras hatte mit ihrem Oscar-prämierten Dokumentarfilm „Citizenfour“ bereits nachdrücklich einen Schlusspunkt unter die mediale Snowden-Kampagne gesetzt. Stones neuer Film wirkt auf den ersten Blick dagegen wie ein nostalgisches Projekt – wenn er für den Hollywood-Veteranen auch nicht unbedingt eine Rückkehr zu großer Form darstellt.
Aber das aktuelle politische Hintergrundrauschen lässt noch einmal Erinnerungen an eine Zeit aufleben, als die Filme des selbsterklärten Enfant terrible nationale Kontroversen auslösten. Stone – ein Regisseur, der wie kein Zweiter in Hollywood große Stücke auf seine Meinung hält – dürfte mit einiger Zufriedenheit feststellen, dass er die Medien noch immer bespielen kann. In den USA entwickelte sich „Snowden“ in kürzester Zeit zu einem mächtigen Aufmerksamkeitsaggregator.
Der Unzufriedene
Vergangene Woche, pünktlich zum US-Kinostart, überschlugen sich die Ereignisse in der längst abgekühlten Debatte, ob Edward Snowden nun als Held oder als Verräter in die Geschichte eingehe. Ein Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses stellte nach zweijähriger Prüfung abschließend fest, dass Snowden – seit August 2013 in Russland gestrandet – nicht als verantwortungsvoller US-Bürger gehandelt habe, wie seine Unterstützer behaupten, sondern wie ein unzufriedener Angestellter, der mit seinem Datenleak Sicherheit des Landes und Leben von US-Geheimdienstmitarbeitern gefährdet habe.
Fast zeitgleich forderte ein Bündnis aus Amnesty International, Human Rights Watch und der American Civil Liberties Union (ACLU) in ganzseitigen Anzeigen Barack Obama dazu auf, Snowden zu begnadigen. Die Washington Post wiederum, vor drei Jahren maßgeblich an der Auswertung der Snowden-Daten beteiligt, reagierte auf die Kampagne mit einem verblüffenden Meinungsstück, in dem der Freispruch für Snowden kategorisch abgelehnt wurde. Das klingt nach ziemlich viel Wirbel für einen Kinofilm (oder nach genialem Crossmarketing), doch der Grund für den medialen Sturm im Wasserglas ist auch ein strategischer.
„Snowden“. Regie: Oliver Stone. Mit Joseph Gordon-Levitt, Shailene Woodley u. a. USA/ Deutschland, 2016, 135 Min.
Obama befindet sich in der Spätphase seiner Amtszeit, und traditionell fällt der amtierende Präsident kurz vor seinem Abtritt noch ein paar unpopuläre Entscheidungen – wozu ein Freispruch Snowdens fraglos zählen würde. Der US-Verleih hatte „Snowden“ sogar mehrfach verschoben, sodass der Start jetzt mitten in das schmale Zeitfenster fällt, in dem Snowden – zumindest auf absehbare Zeit – auf eine Begnadigung hoffen könnte.
Stone blühte während der Dreharbeiten in seiner Rolle als Snowden-Advokat regelrecht auf. Er hat Snowden in Moskau persönlich getroffen (das Treffen ist im Epilog von „Snowden“ zu sehen) und tritt seitdem als dessen Fürsprecher auf. Der Regisseur, der mit „Salvador“, „Platoon“, „Geboren am 4. Juli“ und „Natural Born Killers“ am Selbstverständnis der USA als moralische Institution gekratzt hat, hat einen neuen Posterboy gefunden.
Wenig künstlerischer Mehrwert
Nun ist nicht damit zu rechnen, dass Stone – anders als Poitras – für sein Snowden-Porträt (in der Spätphase der eigenen Karriere wohlgemerkt) einen Oscar in Empfang nehmen wird. Der Film ist vielmehr ein deutlicher Beleg für die Erkenntnis, dass der hollywood way of doing things längst nicht mehr das Maß aller Dinge ist. In jüngster Zeit häufen sich Hinweise (Bill Condons „Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt“, Robert Zemeckis’ „The Walk“, David Gordon Greens „Die Wahlkämpferin“, Atom Egoyans „Devil’s Knot“, um nur einige der bekannteren Beispiele zu nennen), dass starbesetzte Re-Enactments von Dokumentarfilmen nur wenig künstlerischen Mehrwert bieten – von einem höheren Erkenntniswert ganz zu schweigen.
Das Problem ist in „Snowden“ umso evidenter, da Stone die Hongkong-Szenen mit Snowden, Poitras sowie den Journalisten Glenn Greenwald und Ewen MacAskill, die die Grundlage von „Citizenfour“ bilden, als Rahmenhandlung benutzt. Die nervöse Anspannung, die den dokumentarischen Aufnahmen von Poitras’ innewohnt, die Überraschungsmomente – wenn Snowden bei der Passworteingabe die Bettdecke über den Kopf zieht – und die erstaunliche Autorität, mit der Snowden vor der Kamera spricht, wirken bei Stone wie gewissenhaft geprobte Nachstellungen. Das gilt auch für Joseph Gordon-Levitts perfekt intonierte Imitationen von Snowdens Sprachduktus, seiner tiefen, leicht tonlosen Stimme.
Selbstbewusster Pitch
Stone scheint es regelrecht darauf anzulegen, von der Nachwelt an Poitras gemessen zu werden. Was, schenkt man einer Geschichte aus der New York Times Glauben, nicht ganz aus der Luft gegriffen ist. Laut der Times wollte Stone Poitras dazu überreden, „Citizenfour“ so lange zurückzuhalten, bis sein eigener Film in den Kinos gelaufen sei. Sie könne damit, so erinnerte sich Poitras an Stones selbstbewussten Pitch, im Fahrwasser seines Blockbusters fahren und von „Snowden“ profitieren. Da sich Poitras auf keinen Deal einließ, ist es nun Stone, der im Fahrwasser des wesentlich kleineren Films fährt und dabei alles andere als vorteilhaft aussieht.
Poitras’ Anekdote ist auch hinsichtlich des darin durchschimmernden Selbstverständnisses aufschlussreich, weil sie ein grundsätzliches Problem des Films offenbart. Stone ist das Relikt einer vergangenen Ära, handwerklich und erzählerisch steckt „Snowden“ tief in den neunziger Jahren fest. Rhys Ifans hat als Snowdens (fiktionaler) Mentor Corbin O’Brian einzig die dramaturgische Funktion des Widerparts für Snowdens Sinneswandel.
Seine Figur kommt immer dann ins Spiel, wenn das Drehbuch den nächsten Gang finden muss. Die Schlüsselszene des Films, in der O’Brian aus dem Privatleben von Snowdens Freundin Lindsay Mills (Shailene Woodley) plaudert, während Ifans’ Gesicht wie in einem Orwellschen Szenario über Gordon-Levitt schwebt, ist beispielhaft für die vorhersehbare Inszenierung Stones, die überholten Thriller-Konventionen verhaftet ist. Die Sexszene zwischen Snowden und Mills (Stone erspart einem wirklich nichts) endet typischerweise mit einem Zoom auf die Kamera in Snowdens Computer.
Tumbe Ernsthaftigkeit
So erweist sich „Snowden“ als hochgradig irritierender Film. Schwer zu sagen, ob man Stones etwas tumbe Ernsthaftigkeit, seinen Politthriller ganz ohne Verschwörungstheorien und Inszenierungsmätzchen zu erzählen, im Grunde sympathisch finden soll oder ob man insgeheim nicht doch den größenwahnsinnigen, immer am Rande der Paranoia agierenden Stone aus den neunziger Jahren vermisst, der dieser betulichen Whistleblower-Romanze (beim ersten Date outet sich Mills als Liberale, während Snowden noch den linientreuen Patrioten gibt) zumindest visuell ein wenig Brisanz verliehen hätte. Wenn schon mit dem Holzhammer, dann aber richtig.
Da ist es fast folgerichtig, wenn am Ende der echte Edward Snowden vor die Kamera tritt, als müsste Stone sich sein Anliegen von höchster Instanz beglaubigen lassen. (Man stutzt tatsächlich für einen Augenblick, so chamäleonhaft hat sich Gordon-Levitt die Rolle angeeignet.) Dieses Echtheitszertifikat holen sich natürlich auch andere Regisseure ab, die eine wahre Geschichte verfilmen. Bei Stone scheint dieser Move allerdings besonders konsequent, denn „Snowden“ ist in erster Linie als Imagefilm zu verstehen.
So zurückhaltend und, nun ja, rational, wie Stone mitunter vorgeht, könnte man den Eindruck gewinnen, dass er sich tatsächlich als Teil einer größeren Mission sieht – wenn nicht gar als deren Vorreiter. In einem Punkt hat er sicher recht: Es wird eher „Snowden“ als „Citizenfour“ gelingen, die öffentliche Meinung über Edward Snowden zu beeinflussen. Andererseits ist natürlich schon die Vorstellung, dass das Kino heute noch eine gesellschaftliche Funktion erfüllt, ein rührender Anachronismus.
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