Offensive auf Nordwesten Syriens: 180.000 Menschen auf der Flucht
Im Großraum Idlib greifen Regierungstruppen und die russische Luftwaffe Rebellen an. Auch Krankenhäuser und Schulen werden bombardiert.
In Idlib und angrenzenden Gebieten in den Provinzen Hama und Aleppo spitzt sich die Notlage zu. 18 medizinische Einrichtungen seien von Angriffen getroffen worden, teilte das UN-Nothilfebüro Ocha am Wochenende mit. Auch Schulen und Flüchtlingslager seien betroffen. Einige Hilfsorganisationen haben aus Sorge um ihre Mitarbeiter bereits ihre Arbeit eingestellt.
Ende April hatte die syrische Regierung von Baschar al-Assad eine Offensive auf den Großraum Idlib gestartet, der noch immer von Anti-Assad-Kräften gehalten wird. Syriens Nordwesten ist eines der beiden letzten großen Oppositionsgebiete des Landes. Im Nordosten haben kurdische Kräfte eine Selbstverwaltung aufgebaut, setzen aber anders als die Rebellen in Idlib nicht auf Konfrontation mit dem Regime. Die Kurden hoffen, sich durch Verhandlungen mit Damaskus ein Autonomiegebiet innerhalb des syrischen Staatsgebildes sichern zu können.
Die Assad-Regierung hat mehrfach klargestellt, dass sie sowohl die Kurdengebiete als auch Idlib wieder unter ihre Kontrolle bringen will. Ob das Regime, das zusammen mit der russischen Luftwaffe bislang vor allem die Randgebiete des Rebellengebiets angreift, entschlossen ist, im Zuge der aktuellen Offensive das gesamte Gebiet zurückzuerobern, ist allerdings unklar. Nordöstlich des Rebellengebiets hält zudem die Türkei ein Grenzgebiet besetzt.
Begrenzte Fluchtmöglichkeiten
Beobachter warnen seit Monaten, dass eine Großoffensive auf Idlib fatale Folgen hätte für die Zivilisten in dem Gebiet. „Wenn sie nicht (…) fliehen können“, heißt es in einer Analyse der International Crisis Group, „werden diese dicht besiedelten Gebiete ein Blutbad erleben.“ In Idlib leben rund drei Millionen Menschen. Knapp die Hälfte wurde aus anderen Teilen Syriens vertrieben.
In den vergangenen Jahren hat das Regime zudem im großen Maßstab oppositionelle Kämpfer und deren Familien nach der Rückeroberung anderer Gebiete gezielt nach Idlib umgesiedelt. Die jüngsten Kämpfe schlagen viele nun erneut in die Flucht. Seit Ende April sind nach Ocha-Angaben mindestens 180.000 Menschen in den Randgebieten vor Angriffen geflohen. Die meisten haben weiter nördlich innerhalb des Rebellengebiets Zuflucht gefunden. Doch die Fluchtmöglichkeiten sind begrenzt: In die Regimegebiete, etwa nach Aleppo, können die Menschen nicht fliehen und auch die nahegelegene Grenze zur Türkei ist geschlossen.
In Idlib dominiert die Islamistenmiliz Hai’at Tahrir al-Scham. Sie hat eine Gegenregierung aufgebaut und finanziert sich unter anderem durch Einfuhrzölle und quasistaatliche Dienstleistungen wie Wasser- und Elektrizitätsversorgung. Sie hat gemäßigte Rebellengruppen weitgehend verdrängt und kontrolliert einen zentralen Grenzübergang zur Türkei sowie zwei Hauptstraßen, die wichtige von der Regierung gehaltene Städte miteinander verbinden. Die Gruppe, die großteils aus einheimischen Dschihadisten besteht und sich weniger ideologisch gibt als der militärisch besiegte „Islamische Staat“ (IS), hält am Ziel fest, das Assad-Regime durch ein islamisches Staatswesen zu ersetzen.
Syrische regierungstreue Medien meldeten unterdessen am Wochenende, dass die Luftabwehr im Süden des Landes mehrere Geschosse erfasst habe. Sie seien aus Israel kommend in den syrischen Luftraum eingedrungen. Am Freitag hatten Einwohner von Damaskus von lauten Einschlägen berichtet. Israel greift regelmäßig Stützpunkte der Hisbollah oder Waffenlieferungen an die libanesische Miliz an, die in Syrien aufseiten der Regierung und ihres Verbündeten Iran aktiv ist.
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