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Offener Brief an den LandesministerVerordnungs-Stress in Pflegeheimen

Verantwortliche aus der medizinischen Versorgung in Lübeck fühlen sich von Gesundheitsminister Heiner Garg schlecht behandelt. Der reagiert nicht.

Arbeit im Pflegeheim: Die Beschäftigten in Lübeck haben ihrem Ärger Luft gemacht Foto: dpa / Christoph Schmidt

Neumünster taz | Am Sonntag flattert per Fax eine Verordnung ins Haus, ab Montag gelten die neuen Regeln – dieses Spiel kennt Sabrina Roedszus nach fast zwei Jahren Pandemie. Aber nun traf es die Pflegedienstleitung in einem Pflegeheim der DRK-Schwesternschaft in Lübeck und ihre Kol­le­g*in­nen in anderen Einrichtungen besonders hart: „Die aktuelle Corona-Verordnung kam am Samstag heraus, und wir mussten sie am Sonntag umsetzen“ – inklusive Tests am Eingang für Besucher*innen. Aber am Sonntag sind die Büros des Heims nicht besetzt. „Woher nehmen wir das Personal dafür?“, fragt sich Roedszus­.

In Lübeck haben sich Verantwortliche aus Pflegeheimen, Arztpraxen, Kliniken, Laboren und anderen Bereichen der medizinischen Versorgung zum „Gesundheitsnetzwerk Covid-19“ zusammengetan. Von der Politik fühlen sie sich nicht ausreichend wahrgenommen. Das schleswig-holsteinische Gesundheitsministerium weist die Vorwürfe zurück.

Roedszus gehört zu den 71 Un­ter­zeich­ne­r*in­nen eines Offenen Briefs an Landesgesundheitsminister Heiner Garg (FDP). In dem Schreiben benennen die Akteur*innen, die allen Bereichen der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung angehören, die Punkte, die in Heimen, Arztpraxen und Kliniken besonders nerven. An erster Stelle steht, dass sie früher von neuen Regeln wissen und am besten in die Ausarbeitung einbezogen werden wollen.

Ein zweiter Knackpunkt ist, dass es Ungleichbehandlungen gibt: So müssen die Fachkräfte in Heimen und Kliniken regelmäßig auf Corona getestet werden – das Personal der Rettungsdienste aber nicht. „Das ist eine Grauzone, die die Politik offenbar schlicht vergessen hat“, sagt Doreen Boniakowsky, Geschäftsbereichsleitung Wohnen und Pflege für Senioren und pflegebedürftige Menschen bei der Vorwerker Diakonie, ebenfalls Mitglied des Netzwerks.

Über-80-Jährige, die zuhause wohnen, gehen zu Dienstleistern wie Friseur oder Fußpflege, aber geredet wird nur über die Pflege

Doreen Boniakowsky, Vorwerker Diakonie

Drittens wünschen sich die Beteiligten, dass es bei der Debatte um eine Impfpflicht nicht nur um die Pflege geht, sondern um alle Berufsgruppen, die Kontakt mit Risikogruppen haben: „Über-80-Jährige, die zuhause wohnen, gehen zu Dienstleistern wie Friseur oder Fußpflege, aber geredet wird nur über die Pflege“, ärgert sich Bonia­kowsky.

Gesundheitsminister Garg selbst reagierte nicht auf das Schreiben. Sein Ministerium wies die Vorwürfe auf Anfrage der taz zurück. Die kritisierten kurzen Vorläufe seien eine Folge der „stetig veränderten pandemischen Lage“, und die Pflege sei in Gremien wie dem Landespflegeausschuss vertreten. Generell stehe das Haus „im ständigen Austausch mit Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Pflege“, so Pressesprecher Marius Livschütz.

Den Lübecker Ge­sund­heits­netz­wer­ke­r*in­nen reicht das nicht: „Im Landespflegeausschuss, in dem unsere Verbände sitzen, werden die Verordnungen zwar vorgestellt, aber nicht gemeinsam erarbeitet“, sagt Boniakowsky. Der Protest aus Lübeck hat immerhin zu einem Gespräch zwischen den Spitzen der Wohlfahrtsverbände und dem Staatssekretär des Gesundheitsministeriums geführt. Außerdem plant das Netzwerk, das im Frühjahr 2020 entstanden ist, sich in einen Verein umzuwandeln. Das Ziel soll sein, in der Stadt noch enger zusammenarbeiten – auch jenseits der Corona-Pandemie.

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