Oettingers Presseball am 9. November: Tanzverbot reicht Zentralrat nicht
Nach seiner misslungenen Filbinger-Grabrede steht Ministerpräsident Oettinger erneut in der Kritik - wegen des Landespresseballs am Jahrestag der Pogromnacht.
BERLIN taz Darf man am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht 1938, feiern und tanzen? Diese Frage ist in Baden-Württemberg kurz vor dem Landespresseball am Freitag zum Politikum geworden - und Ministerpräsident Günther Oettinger hat schon wieder ein Problem.
Wenige Monate nach der Aufregung über Oettingers freundliche Grabrede für seinen Vorgänger, den früheren NS-Richter Hans Filbinger, bekommt der CDU-Politiker erneut Kritik von allen Seiten. Dabei wollte er diesmal alles richtig machen. Als sich die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg über den Termin des Presseballs empörte, versuchte Oettinger einen Kompromiss herbeizuführen. Der Ministerpräsident, der als Schirmherr der High-Society-Veranstaltung fungiert, sprach mit den Organisatoren. Daraufhin wurde die Party umbenannt - in eine "Gala ohne Tanz". Flamenco- und Varietékünstler dürfen wie geplant auftreten, aber die rund 2.000 Gäste sollen sitzen bleiben. Eine Lösung, die der Zentralrat der Juden umgehend als "Mogelpackung" kritisierte.
"Kein Tanz, aber Musik und ein lustiger Abend - das macht die Sache nicht besser", sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, der taz. Er hätte sich "mehr Sensibilität gewünscht" - und eine Verlegung des Festes. "Es geht nicht um irgendeinen Gedenktag", sagte Kramer, "der 9. November war sozusagen die Auftaktveranstaltung für die systematische Ausrottung des europäischen Judentums." Dass Oettinger trotzdem an seiner Teilnahme an der Gala festhält, findet Kramer "traurig - nicht mehr und nicht weniger".
Enttäuscht zeigten sich aber auch prominente Stammgäste des Presseballs. "Bei einem Ball tanzt man", sagte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Er werde deshalb diesmal "nicht hingehen". Presseballorganisator Jens Fink sagte der taz, die Resonanz auf das von Oettinger gewünschte Tanzverbot sei "überwiegend Unverständnis". Auch er könne die Bedenken des Zentralrats nicht nachvollziehen. Schließlich habe schon 1990 ein Presseball am 9. November stattgefunden, "und damals hat sich keiner beschwert".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen