piwik no script img

Ökonomische Abhängigkeit von ChinaDas deutsche Unwort des Jahres

Alle reden von der Abhängigkeit und ihren Folgen. Als sei sie unfreiwillig und aufgezwungen. Tatsächlich ist sie in der Regel hausgemacht.

Deutsche Abhängigkeit? Kanzler Scholz mit Wirtschaftsdelegation am 4. November in China Foto: Kay Nietfeld/Pool/ap

A bhängigkeit“ könnte für das endende Jahr 2022 als „das Wort“ oder „das Unwort des Jahres“ in die deutsche Sprachgeschichte eingehen. Es ist in aller Munde, vor allem wenn es um China geht. Ein gutes Argument, die „Abhängigkeit“ als „das Wort das Jahres“ zu wählen, ist die Tatsache, dass es endlich sehr deutlich die schmerzliche Realität ins deutsche Bewusstsein reinquetscht. Für leidenschaftliche Geschäftsmacher war das bis vor – sagen wir – drei Jahren noch etwas, was sie sehr ungern zugegeben hätten.

Damals war, ähnlich wie bei ihren politischen Förderern, vielmehr die Rede davon, welch willkommener Kooperationspartner China doch sei. Die politische Sprachregelung sah Formulierungen vor wie: Man könne kein Weltproblem ohne China lösen, weder Welt­hunger noch Klimaschutz. Es schien, als sei China Teil der Lösung, niemals aber Teil des Problems.

Damit ist es nun vorbei – dank der Omnipräsenz des unangenehmen Worts „Abhängigkeit“, und nicht zuletzt auch dank der Realität, die Putins Krieg geschaffen hat. Eine Realität, die Frust und Frieren ins deutsche Wohnzimmer bringt. Dafür, „die Abhängigkeit“ als „das Unwort des Jahres“ zu ernennen, spricht auch die Tatsache, dass der Begriff eine andere Realität verschleiert: Niemand hat die Deutschen in eine Abhängigkeit gezwungen.

Weder Naturkatastrophen, noch höhere Gewalt und auch keine Pandemie. Ausschlaggebend war einzig die freie Entscheidung so vieler Geschäftsleute, die mit politischer Rückendeckung „besten Wissens und Gewissens“ handelten. Letztlich weiß man spätestens seit Sputnik 1957, dass die Welt das Problem der Nukleargefährdung ohne Russland nicht wird lösen können. Der Kalte Krieg, so grausam er gewesen sein mag, hinderte Putins Vorgänger, von Stalin bis Breschnew, daran, die westlichen Demokratien in die Knie zu zwingen.

Kein VW in Neu-Delhi

Auch Japan ist ein kapitalistisches Land mit höchst exportabhängiger Wirtschaft. Doch wenn man nach Indien reist, wo alle deutschen Automanager nur den Kopf schütteln, dort könne man kein Geschäft machen, sind die Straßen voller Suzuki oder Mitsubishi, vom VW der gleichen Klasse keine Spur. Die Umsatzabhängigkeit der deutschen Automobilindustrie von China ist also nicht nur hausgemacht, sondern hausgewählt gewesen.

Jeder macht Fehler, viele machen mehrmals denselben – wieder und wieder. Das Erstaunliche an so manchen deutschen Großkonzernen ist, dass sie offenbar entschlossen sind, aus Fehlern, die sie hin und wieder durch verschleiernde Worte wie „Abhängigkeit“ zugeben, nicht lernen wollen. Sie kennen die Binsenweisheit, wonach man niemals alle Eier in ein und denselben Korb legen sollte. Jetzt legen sie weitere Eier in denselben Korb, derweil ihre Manager wie so manche Politiker weinerlich die deutsche „Abhängigkeit“ beklagen.

Wollen sie uns alle mit ihren hausgemachten Fehlentscheidungen auch in Zukunft erpressen? Weil wir hier entschieden haben, dass wir nicht anders können, vielmehr nicht anders wollen, müsst ihr alle mitziehen und, wenn es hart auf hart kommt, mitleiden? Das Gedöns um die „Abhängigkeit“ nimmt unterdessen zunehmend absurde Züge an. Ist die deutsche Allianzpflicht zur Nato keine selbstgewählte Abhängigkeit?

Ist die deutsche Zusage, demokratischen Partnern auch in Asien beizustehen, nicht ebenso frei gewählt? Und dann ist da noch die moralische Abhängigkeit. Da schickt man zuerst 5.000 Helme an die kampfbereiten Ukrainer, zögerlich, denn man will ja keinen Krieg, dann aber wird doch deutsches Kampfmaterial an die Front geschickt. Alles selbstgewählt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Das Unwort des Jahres ist #lindnern

  • Die gute Nachricht



    Ja, Niemand hat die Deutschen in eine Abhängigkeit gezwungen.



    Das gilt explizit auch für die BürgerInnen und Bürger.



    Es gab keinen Zwang auf Gas als Wärmequelle umzusteigen. War halt die billigste Lösung.



    Es hat auch Niemand die Deutschen gezwungen jeden Mist aus China zu konsumieren.



    Freie Wahl!



    Die Gute Nachricht ist allerdings: Schuld sind immer die Anderen!

  • Jetzt wird propagiert, dass das deutsche Wesen wieder alles homegrown produzieren soll. Daran soll dann das Land genesen. Woher dafür die Energie kommen soll (ohne Abhängigkeit z.B. von den Solarpanels in Marokko) oder die seltenen Erden für Chips etc interessiert offenbar nicht.So genau wollen wir es doch nicht wissen. Stumpf ist mal wieder Trumpf.



    Um aus der Abhängigkeit rauszuholen setzt man darauf, andere abhängig zu machen. Notfalls mit militärischer Gewalt. Auch dafür wird zur Zeit aufgerüstet. Früher gaben wir uns da lieber auf due dreckige Arbeit der USA und Briten verlassen.

  • Die nun permanent von Allen beklagte "Abhängigkeit" ist nichts anderes als das Ergebnis des "maßlosen Profitstrebens" der - nicht nur deutschen - Unternehmen.



    Dies trifft sowohl für die in den vergangenen 16 Jahren - gegen jeden gesunden Menschenverstand (!) - vorangetriebene Abhängigkeit von russischem Gas wie auch für die jetzt allen bewußt gewordene Abhängigkeit von China (auf der ganzen Linie) und Indien (Pharma-Produktion) zu.



    Daß hierdurch zudem 100tausende Arbeitsplätze der Solar- und Windkraftindustrie, der Textilindustrie, der Chipproduktion usw. usw. bewußt (!) zerstört wurden, kommt noch erschwerend dazu.



    (das fälschlich Lenin zugesprochene Zitat "Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen." Lenin (angeblich)" trifft - leider - erschreckend genau auf die jetzige Situation zu.



    Die Folgen davon ausbaden allerdings müssen - wie so häufig - nicht die Aktionäre etc. sondern die Verbraucher , die jetzt beinahe unbezahlbare Preise für Energie und eine irre Inflation gegenwärtigen.



    Es wäre zu hoffen, daß nun endlich einmal daraus gelernt wird.

  • "Nicht aufgezwungen"?



    Ich mach mal auf folgendes aufmerksam: Die Folgen der Abhängigkeit von den Märkten in China treffen ggf sehr viele.



    Die Entscheidung diese Abhängigkeit sehenden Auges zu ignorieren und sich der Verlockung der Aussichten auf Profite in China hinzugeben war eine Entscheidung von sehr sehr sehr wenigen Managern zugunsten von einer ziemlich kleinen Gruppe der Investoren.



    Den meisten Menschen in Deutschland wurde die Abhängigkeit durchaus von wenigen anderen Deutschen aufgezwungen.

    • @Monomi:

      So?



      Wer kauft denn den ganzen Kram " Made in China"?



      Wurde das dem Verbraucher aufgezwungen, oder war der Geiz einfach geiler als die Moral?