Ökonomin über Wirecard-Skandal: „Keiner fühlte sich zuständig“
Der Finanzminister will mit einem Gesetz verhindern, dass sich Manipulation wie bei Wirecard wiederholt. Doch dieses reiche nicht, sagt eine Ökonomin.
taz: Frau Rinker, der Bundestag wird in den kommenden Monaten über ein Gesetz debattieren, mit dem Bundesfinanzminister Olaf Scholz verhindern will, dass sich Bilanzmanipulationen wie beim ehemaligen Dax-Konzern Wirecard wiederholen. Taugt der Gesetzentwurf dazu?
Nein. Es gibt zwar einige gute Ansätze, zum Beispiel dass Aufsichtsräte von Unternehmen künftig stärker in die Bilanzkontrolle einbezogen werden. Aber insgesamt ist der Gesetzentwurf nicht konsequent genug.
Warum?
Beispielsweise sollen Unternehmen alle zehn Jahre eine andere Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragen müssen. Aber die jeweiligen Mitarbeiter müssen nicht wechseln, dieselben Personen können also länger prüfen.
Minister Scholz sagt, die Finanzaufsicht bekommt mehr Biss. Stimmt das?
Ein Stück weit ja. Aber es gibt Probleme, die nicht gelöst werden. Die privatrechtlich organisierte Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung soll weiterhin für die Bilanzkontrolle zuständig sein. Die Bafin aber auch. Deutschland geht mit dieser zweistufigen Bilanzkontrolle einen Sonderweg. Über die Frage, wer im Fall Wirecard eigentlich zuständig gewesen wäre, hat der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Joachim Böcking von der Universität Frankfurt am Main ein 100-seitiges Gutachten erstellt. Das Problem bei Wirecard war: Keiner fühlte sich zuständig. Alle sehen sich als Opfer. Das kann nur behoben werden, wenn wir die Zuständigkeiten vereinfachen. Wir brauchen ein einstufiges System, um dieses Kompetenzwirrwarr zu lösen.
Wer sollte das Sagen haben?
Auf jeden Fall die staatliche Seite. Am besten in einer Institution, vielleicht in mehreren Abteilungen. Die wichtigste Stellschraube, um einen neuen Fall Wirecard zu verhindern, ist, die Aufdeckung zu beschleunigen.
Die Wirtschaftsprüfer von EY haben die Bilanzen von Wirecard seit 2009 geprüft und nicht Alarm geschlagen. In Frankreich gibt es eine Rotationspflicht von fünf Jahren. Wäre das für Deutschland sinnvoll?
Wirtschaftsprüfer müssen sich in ein Mandat einarbeiten, da sind fünf Jahre sehr kurz. Es muss darum gehen, die Qualität der Abschlussprüfung zu verbessern. Dazu ist vor allem wichtig, die kleineren Wirtschaftsprüfungsgesellschaften neben den sogenannten Big4 – EY, PwC, KPMG und Deloitte – zu stärken. Die Haftungsgrenzen zum Beispiel sollten sich an den Umsätzen der Prüfgesellschaften orientieren und nicht pauschal festgelegt werden. Ansonsten wird sich die Marktkonzentration verschärfen. Das führt sicher nicht zu einer besseren Prüfungsqualität.
Wäre es vielleicht sinnvoll, dass hierzulande wie in Frankreich eine kleine und eine große Wirtschaftsprüfungsfirma gemeinsam die Bilanzen von Aktiengesellschaften prüfen müssen?
Es sollte zumindest die Möglichkeit geben. Aber der vorliegende Gesetzentwurf schafft keine Anreize dafür. Im internationalen Vergleich sind die Honorare für Wirtschaftsprüfer in Deutschland niedrig. Sie liegen im Schnitt bei den im weltweit größten Aktienindex Russell gelisteten deutschen Firmen bei 0,09 Prozent des Unternehmensumsatzes, bei europäischen bei 0,13 Prozent und bei US-amerikanischen bei 0,39 Prozent. Sinnvoll könnte die Einführung einer Honorarordnung wie bei Notaren sein. Sind die Honorare zu niedrig, besteht die Gefahr, dass bei der Prüfung an manchen Stellen gespart wird.
Die 34-Jährige ist Unternehmensberaterin und Bilanzexpertin. Die Volkswirtin schult unter anderem Mitarbeiter des Bundeskriminalamts zum Thema Bilanzfälschung und war Sachverständige im Bundestagsuntersuchungsausschuss zum Wirecard-Skandal. Sie meint, es wäre hilfreich, wenn die Abschlussprüferaufsichtsstelle Wirtschaftsprüfungsfirmen auch namentlich anprangern würde, wenn diese versagt haben.
Wäre es nicht besser, der Staat würde auf private Wirtschaftsprüfer verzichten und die gesamte Bilanzkontrolle selbst in die Hand nehmen?
Dadurch, dass die Abschlussprüfer in gewisser Weise in Konkurrenz stehen, haben sie auch einen Anreiz, gute Arbeit zu leisten. Wenn der Staat das übernimmt, gibt es keinen Wettbewerb in diesem Sinne. Was die Qualität der Abschlussprüfung auch deutlich verbessern würde, wäre die Angst der Wirtschaftsprüfer vor einem Reputationsverlust. Bisher veröffentlicht die Abschlussprüferaufsichtsstelle Apas Fehler von Wirtschaftsprüfern nur anonymisiert. In Großbritannien wird bei größeren Mängeln auch der Name der Prüfungsgesellschaft veröffentlicht. Das will man als Prüfgesellschaft natürlich nicht.
Auch die Apas hat im Fall Wirecard keine gute Figur gemacht. Der mittlerweile freigestellte Chef Ralf Bose hat Wirecard-Aktien gekauft, obwohl seine Behörde in den Fall eingeschaltet war.
Die Apas kontrolliert die Wirtschaftsprüfer, aber wenn sie nicht streng genug ist, bringt das nichts. Die Apas und die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung müssen mehr öffentlich berichten. Wenn die Prüfstelle Fehler feststellt, wird das im Bundesanzeiger veröffentlicht. Aber wenn man sich nicht gut mit Bilanzen auskennt, versteht man das nicht. Diese Informationen sollten so publiziert werden, dass sie auch verständlich sind für jemanden, der nicht die Höhen und Tiefen der internationalen Rechnungslegung kennt. Der gesamte Prüfprozess muss transparenter werden.
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