Ökonom zur Welthandelsorganisation: „Reform ist überfällig“
Die Blockadehaltung der USA stürzt die WTO in ihre tiefste Krise. Dabei ist sie nur Ausdruck von jahrelangen Versäumnissen, sagt Ökonom Felbermayr.
taz: Herr Felbermayer, die USA blockieren den wichtigsten Hebel der WTO, indem sie die Ernennung von neuen Berufungsrichtern verhindern. Nun ist das Gremium handelsunfähig. Ist das das Ende der WTO?
Gabriel Felbermayer: Nein, das Ende der WTO bedeutet das nicht. Die zweite Instanz im Streitbeilegungsverfahren ist nun blockiert. Andere Streitschlichtungsinstrumente sind aber noch intakt. Die Streitbeilegung wird sich nun eben in andere Formate der WTO verlagern.
43, ist Präsident des Instituts für Weltwirtschaft und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität Kiel.
Die Streitschlichter waren aber der wichtigste Hebel, Handelskonflikte zu lösen.
Ja, die WTO steckt in einer existenziellen Krise. Sie hat aber schon lange vorher begonnen. Dieser Streit ist nur einmal mehr Ausdruck dafür, dass es die WTO nicht geschafft hat, sich 25 Jahre nach ihrer Gründung ein zeitgemäßes Regelwerk zu verpassen.
Die US-Blockade ist also nicht allein auf Trumps Politik zurückzuführen?
Nein, überhaupt nicht. Die Blockadehaltung der Amerikaner begann schon unter Obama. Die Amerikaner sind auch überhaupt nicht allein mit ihrer Kritik. Das denken jetzt nur viele, weil Trump am lautesten schreit und die furchtbarsten Vokabeln verwendet. Das Berufungsgericht der WTO ist ein sehr juristisches Gremium, es geht wenig um ökonomische Fragen. Auch die Verfahrensregeln sind alt. Keine Frage, Trump geht mit seiner Kritik sehr viel weiter. Er möchte bilaterale Deals schließen und nutzt jede Gelegenheit, der WTO zu schaden. Dass es aber so weit kommen konnte, hat auch damit zu tun, dass es die WTO schon vorher versäumt hat, sich zu modernisieren. Das rächt sich nun.
Auch beim aktuellen Handelsstreit scheinen die beiden Streithähne China und USA die WTO nicht wirklich ernst zu nehmen.
Das ist nur logisch. Selbst wenn die WTO die amerikanischen Zölle auf Stahl und Alu für rechtswidrig erklären würde – sie hätte gar nichts in der Hand, Sanktionen durchzusetzen. Und wenn auch noch geostrategische Rivalitäten jenseits von handelsrechtlichen Finessen im Vordergrund stehen, haben Schiedssprüche erst recht keine Wirkung. Als die WTO 1995 gegründet wurde, hatte keiner daran gedacht, dass geostrategische Rivalitäten im Welthandel mal so dominieren würden. Damals überwog der Glaube, die Prinzipien des Liberalismus in Form von Demokratie und freier Marktwirtschaft würden sich endgültig und überall durchsetzen – eine Fehleinschätzung.
WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo hofft auf einen Ruck durch den Schock. Glauben Sie, dass durch die Blockadehaltung der USA die geforderte Reform jetzt an Fahrt gewinnt?
Es ist zu hoffen, aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich so kommt. Denn die zentrale Frage ist, wie eine Reform aussehen könnte, die sowohl die Amerikaner als auch die Chinesen an den Tisch bringt. Die Amerikaner wollen keine übergeordnete Organisation mehr, sondern sehnen sich zurück in eine Welt vor 1995, als Welthandelsregeln viel weniger verbindlich waren.
In ihrer Anfangszeit stand die WTO vor allem unter Beschuss von linken Kräften, den Globalisierungskritikern. Ihre Kritik damals: Die WTO würde die ohnehin schon wohlhabenden Industriestaaten noch mehr stärken auf Kosten der schwachen Länder. Das Gegenteil scheint nun der Fall zu sein.
Genauso ist es. Das starke Anwachsen einer Mittelschicht nicht nur in China, sondern auch in Südostasien, teilweise auch Südamerika, hat ja sehr viel zu tun mit vertiefter Arbeitsteilung. Und das wiederum hing zusammen mit mehr Rechtssicherheit durch die WTO. In den USA und Teilen Westeuropas hat die Globalisierung zu einigen Verwerfungen in der Mittelschicht geführt, nicht aber in den Entwicklungsländern. Dort ist die Mittelschicht gewachsen. Die WTO entwickelte sich zugleich zu einer verhältnismäßig demokratisch organisierten Institution. Jedes Land hat ein Vetorecht. Wenn wir jetzt wieder eine Rückkehr der Machtpolitik haben, wird das auf Kosten der kleinen Länder gehen.
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