Ökonom über griechische Wirtschaft: „Der Mindestlohn darf nicht steigen“
Eine Revision der griechischen Reformen und ein Schuldenschnitt wären falsch, sagt Ökonom Clemens Fuest. Auch die gestoppte Hafen-Privatisierung sei notwendig.
taz: Die neue griechische Regierung hat die Privatisierung des Hafens von Piräus gestoppt. Nachvollziehbar: Warum soll man Anlagen verkaufen, die Jahr für Jahr Gewinne für den Staat erwirtschaften können?
Clemens Fuest: Die umgekehrte Frage muss man stellen – warum erscheint es notwendig, dass der Staat Hafenanlagen betreibt? Öffentliche Betriebe zu privatisieren ist sinnvoll, wenn sie dann effizienter geführt werden. Ein solches Geschäft lohnt sich für den Staat, wenn der Verkaufserlös höher ausfällt als der Verlust der bisherigen Einnahmen.
Der Hamburger Hafen ist profitabel und etwa zur Hälfte in Staatsbesitz.
Was in einem Land gut funktioniert, klappt in einem anderen nicht unbedingt. Und es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen Deutschland und Griechenland. Berlin brauchte keine Bürgschaften anderer Länder, um seinem Bankrott zu entgehen. Für die Hilfe muss Athen bestimmte Bedingungen erfüllen.
Regierungschef Alexis Tsipras hat zudem die geplante Privatisierung der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft angehalten. Wie beurteilen Sie das? Genauso wie beim Hafen. Die griechische Regierung verletzt demonstrativ die Vereinbarungen mit der europäischen Troika.
Der griechische Mindestlohn wurde 2012 gekürzt. Nun soll er wieder steigen. Ist das angesichts des Niveaus von 3,35 Euro pro Stunde nicht verständlich?
Der gebürtige Münsteraner ist seit März 2013 Präsident und wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.
Nein, die Produktivität der griechischen Arbeitnehmer ist so niedrig, dass der Mindestlohn sinken musste. Weil die Beschäftigten vergleichsweise wenig erwirtschafteten, war es nötig, die Arbeitskosten zu drücken. Diese Analyse ist noch immer richtig.
Griechenland muss über 10 Prozent seiner Staatseinnahmen für Schuldzinsen aufwenden. Rechtfertigt das einen Schuldenschnitt?
Tatsächlich zahlen muss Griechenland gegenwärtig ja nicht. Aber mittelfristig werden die Zinsen natürlich fällig. Dann werden sie laut Vereinbarung jedoch nur etwas mehr als 4 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Das ist immer noch eine hohe Belastung, mehr, als beispielsweise Deutschland tragen muss. Weitaus weniger freilich, als die Finanzierung über die internationalen Finanzmärkte kosten würde. Die Bedingungen des europäischen Hilfsprogramms sind günstig.
Wäre es sinnvoll, die Zinszahlungen und die Rückzahlungsfristen zu strecken?
Jetzt nicht, aber man sollte es nicht für alle Zukunft ausschließen. Die Reihenfolge ist wichtig: Erst muss Griechenland die vereinbarten Reformen durchführen, die Privatisierungen umsetzen, den Mindestlohn nicht erhöhen, keine gekündigten Beamten wiedereinstellen. Dann kann man über Erleichterungen bei den Schulden reden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin