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Öffentliches Gelöbnis in HannoverKleine Schönheitsfehler in der komplexen Choreografie

Nadine Conti
Kommentar von Nadine Conti

In Hannover fand am Dienstag ein öffentliches Gelöbnis der Bundeswehr statt. Nicht alle Erwartungen wurden da erfüllt, besonders nicht die der Presse.

Sorgsam inszeniert: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) beim Gelöbnis in Hannover Foto: Michael Matthey/dpa

D as muss sie jetzt wohl sein, diese Zeitenwende. Auf dem Platz vor dem Neuen Rathaus in Hannover, der bis vor kurzem noch Trammplatz hieß, dann aber in Platz der Menschenrechte umbenannt, weil der Herr Stadtdirektor als begeisterter Wegbereiter der Nazis irgendwie nicht mehr tragbar erschien, steht an diesem Dienstag ein grüner Oberbürgermeister und spricht Re­kru­ten der Bundeswehr seinen Respekt, seinen Dank und seine Anerkennung aus, dafür, dass sie hier feierlich geloben, dieses Land und damit auch diese Gesellschaft und diese Demokratie zu verteidigen. Alles Dinge, die man noch vor ein paar Jahren für unmöglich gehalten hätte.

Nun ist so ein öffentliches feierliches Gelöbnis ein seltsames, etwas antiquiertes Ritual, zu dem man so oder so stehen kann. Aber das gilt für den Karneval, dessen Eröffnung mancherorts am Tag zuvor gefeiert wurde, ja auch. Diejenigen, die dieses spezielle Ritual ganz schrecklich finden, sieht man nicht, weil die Tribünen so geschickt aufgebaut wurden, dass sie den Blick auf die Gegendemonstration verwehren. Man hört den üblichen Mix aus Trillerpfeifen, Sprechchören und Musik. Einzig gelungener Gag: Der Sound von „Spiel mir das Lied vom Tod“ dringt ganz gut durch.

Die Rekruten und ihre Familien hätten sich das Ganze vielleicht ein bisschen erhabener gewünscht. Aber wenn man mal ganz ehrlich ist: So gut wie die Amis, mit ihrem unverkrampften Hang zu pathetischen Inszenierungen konnte die Bundeswehr das ja noch nie. Es gibt zwar eine komplexe Choreographie aus ganz viel Marschieren, Frieren, Stehen, Präsentieren, Augen links-rechts-geradeaus und so weiter.

Aber auch immer wieder so kleine Schönheitsfehler: In der Ehrenformation kippt hinten einer um und muss diskret davon getragen werden. Kurze Zeit später gleitet seinem Kameraden in der ersten Reihe das Gewehr aus der Hand.

Augen auf den Verteidigungsminister

Und irgendwo dazwischen marschiert immer wieder die Öffentlichkeitsbeauftragte mit Pressefotografen von der Pressetribüne zum nächsten „Bildpunkt“. Es ist die mit Abstand chaotischste Formation von allen: Von der Tribüne sieht es aus, als versuchte ein Rudel junger Hunde folgsam zu sein, doch dabei eifrig übereinander zu stolpern.

Von den rund 50 angemeldeten Pressevertretern sind die allermeisten natürlich hier, weil sie darauf lauern, ob dem Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nicht doch aus Versehen etwas Kanzlereskes entfährt. Der rächt sich, indem er die wahrscheinlich unpolitischste Rede seiner Laufbahn hält.

Und die Presse beim interessantesten Programmpunkt gleich ganz rausschmeißt: Nach dem Gelöbnis diskutiert er im Rathaus mit Schülern darüber, wie seine „Wehrpflicht light“ nun ins Werk gesetzt werden soll. Die Schüler kommen aus dem Jugendparlament und einem Politikkurs der Leonore-Goldschmidt-Schule und gehören genau in die Altersgruppe, die demnächst wohl Post aus dem Verteidigungsministerium bekommt. Man hätte ja gern gewusst, wie die diese Zeitenwende sehen.

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Nadine Conti
Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020
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