Obstbauern gegen Kleintiere: Keine Rücksicht auf den Molch

Der Senat missachtet Flora und Fauna im Süderelberaum zugunsten von Straßen und Landwirten, rügt der Naturschutzbund. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

Bedroht, weil Gräben zugeschüttet werden: der Kammmolch. Bild: Rainer Theuer, Blattkaktus/Wikimedia

Der Naturschutzbund Hamburg (Nabu) wirft dem Senat vor, „den Naturschutz konsequent zu missachten“. Bei der Durchsetzung von Interessen des Obstanbaus im Süderelberaum würden die Belange von geschützten Tier und Pflanzenarten keine Rolle spielen. Zugleich verzichte der Senat auf mehr als vier Millionen Euro aus EU-Töpfen zur Entwicklung des ländlichen Raumes, mit denen der Naturzerstörung begegnet werden könnte. „Dieses Nichthandeln ist an Ignoranz nicht mehr zu überbieten“, sagt der stellvertretende Nabu-Geschäftsführer Bernd Quellmalz.

Im östlichen Teil des Alten Landes sollen neue Flächen für den Obstanbau hergerichtet werden, um den Landwirten den Verlust an Äckern für zwei Straßen zu ersetzen (siehe Kasten). Diese vor fünf Jahren mit den Betroffenen geschlossene Vereinbarung ist aber noch immer nicht in einem Planfeststellungsbeschluss förmlich geregelt. Deshalb steht nach Ansicht des Nabu das gesamte laufende Planverfahren „auf der Kippe“. Denn die dabei vorgesehene Ko-Finanzierung durch die EU für wasserwirtschaftliche Maßnahmen ist noch gar nicht beantragt und droht deshalb zu verfallen. „In welchem Umfang die noch verfügbaren Mittel beansprucht werden, ist derzeit nicht quantifizierbar“, antwortet der Senat auf eine kleine Anfrage der grünen Abgeordneten Martin Bill und Anjes Tjarks.

Das aber hat auch zur Folge, dass einige Landwirte bereits damit begonnen haben, ohne Genehmigung die für sie vorgesehenen Flächen zu bearbeiten. Deshalb hat der Nabu Strafanzeigen wegen des Verdachts auf Verstoß gegen wasser und naturschutzrechtliche Vorschriften eingereicht, inzwischen haben die Hamburg Port Authority (HPA) als zuständige Wasserbehörde, das Bezirksamt Harburg sowie Polizei und Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen.

Der Süderelberaum ist der westliche Teil des Alten Landes zwischen der Süderelbe und der Schwinge. Es ist das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Europas.

Wo: In der "dritten Meile" zwischen der Este, dem Grenzfluss zu Niedersachsen, und der Alten Süderelbe sollen neue Obstanbauflächen entstehen.

Warum: Sie sollen Flächen ausgleichen, die für den Bau der Ortsumgehung Finkenwerder verloren gingen und für den Bau der "Moorautobahn" A 26 von Stade nach Hamburg noch gebraucht werden.

Wie viel: Für den Verlust von 88 Hektar Land erhalten die Obstbauern als Ersatz 236 Hektar im bisher für den Obstanbau zu feuchten Moorgürtel.

Im Zentrum der Nabu-Vorwürfe steht dabei die Zuschüttung von mehreren Kilometern Entwässerungsgräben. Dadurch wollen die Landwirte die Nutzfläche vergrößern. Einen Überblick darüber hat der Senat indes nicht: „Wie viele Gräben zugeschüttet wurden und wer dafür verantwortlich ist, kann erst nach Auswertung des Ermittlungsverfahrens beantwortet werden“, erhielten Bill und Tjarks zur Antwort.

Für den Nabu ist entscheidend, dass „die Vernichtung von wertvollen Feuchtgrünland und die Zuschüttung von ökologisch hochwertigen Gräben und Mulden die verbliebenen Lebensräume weiter dezimieren“. Dies gehe zu Lasten „streng geschützter Amphibienarten wie Moorfrosch und Kammmolch, gefährdeter Brutvogelarten wie Kiebitz, Bluthänfling und Kleinspecht und des Schlammpeitzgers, einer europarechtlich geschützten Fischart“, zählt Quellmalz auf. Der vorgesehene Ausgleich für diese Naturzerstörung sei völlig unzureichend. Erforderlich sei ein „Lebensraumkorridor“, der die inselartigen Naturschutzgebiete Westerweiden, Finkenwerder Süderelbe, Moorgürtel und Fischbeker Heide verbindet. Nur dann könnten gefährdete Tiere und Pflanzen sich selbständig ausbreiten.

Weder die Wirtschafts noch die Umweltbehörde sahen sich am Montag auf Anfrage der taz zu einer Stellungnahme in der Lage.

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