Nutzung der Nord- und Ostsee: Zwischen Wal und Windrad
Derzeit entstehen Pläne, wie Deutschland künftig seine Meere nutzen wird. Das führt auch zu Konflikten zwischen Klima- und Artenschutz.
Damit ruft das Haus des CSU-Ministers Horst Seehofer selbst jene auf den Plan, die Windräder normalerweise als klimafreundliche Stromproduzenten gutheißen: die Umweltverbände. „Der Nord- und Ostsee geht es richtig schlecht“, sagt Aline Kühl-Stenzel, Biologin und Meeresschutz-Referentin beim Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die beiden Meere würden ohnehin schon zu den weltweit am stärksten beanspruchten Meeresregionen gehören.
Kein Wunder: Schifffahrt, Fischerei, Rohstoffabbau, Forschung, Leitungsbau, Militär und Windkraft konkurrieren um den recht kleinen Raum. Dazu kommen viel Müll und viel Stickstoff, der von den überdüngten Äckern der Landwirt:innen ins Wasser gespült wird. Kühl-Stenzels Bilanz: „Wo man auch hinguckt, gibt es keine guten Nachrichten.“
Das gilt für die Naturschützerin auch für die Pläne zum Windkraftausbau. Wie die Teile von Nord- und Ostsee genutzt werden, auf denen Deutschland allein schalten und walten darf, steht im maritimen Raumordnungsplan. Die aktuelle Fassung ist von 2009, das Innenministerium will ihn noch in dieser Legislaturperiode aktualisieren – als Verordnung, ohne die Beteiligung des Bundestags.
Offshore-Leistung soll sich mehr als vervierfachen
Laut dem Windenergie-auf-See-Gesetz sollen bis zum Jahr 2040 Windräder mit einer Leistung von insgesamt 40 Gigawatt in den von Deutschland bewirtschafteten Teilen von Nord- und Ostsee stehen. Zum Vergleich: Heute drehen sich auf dem Gebiet 1.500 Windräder. Sie kommen auf eine Leistung von knapp acht Gigawatt.
So ein umfänglicher Ausbau erfordert viel Platz. Deshalb soll der Raumordnungsplan auch den Bau von Windrädern auf Meeresschutzgebieten nicht mehr ausschließen. Die Bundesregierung werde zwar Studien zur Naturverträglichkeit in Auftrag geben, die Doggerbank eigne sich aber gut für vier bis sechs Gigawatt Offshore-Windenergie, heißt es in dem Entwurf.
Das kritisiert nicht nur Kühl-Stenzel vom Nabu. Etliche der großen deutschen Umweltverbände, darunter auch Greenpeace, WWF und BUND, sprachen in einem gemeinsamen Statement von einem „massiven Rückschritt“. Für sie sind die Pläne ein Paradebeispiel dafür, wie Klimaschutz nicht laufen darf. Denn die Natur wäre der große Verlierer, befürchten sie. Und das wäre über kurz oder lang auch dem Klimaschutz abträglich.
„Das ist ein komplettes Missverständnis der Pariser Klimabeschlüsse, wo es ja heißt, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht auf Kosten der Artenvielfalt gehen dürfen“, sagt Nabu-Expertin Kühl-Stenzel. „Wir müssen Druck aus dem System herausnehmen, wir machen aber das Gegenteil.“ Nicht ein einziges marines Habitat in Nord- und Ostsee sei mehr in gutem Zustand. Ein Drittel der Arten dort stünde auf der Roten Liste.
Der Konflikt um den Raumordnungsplan zeigt, wie stark Klima- und Biodiversitätskrise getrennt voneinander behandelt werden. Dabei sind beide Krisen riesige globale Probleme, die sich gegenseitig bedingen und verstärken.
Im Juni haben deshalb Weltbiodiversitätsrat und Weltklimarat ihren ersten gemeinsamen Bericht herausgebracht. Darin fordern die zwei gewichtigen UN-Organisationen von den Regierungen, beide Krisen zusammen zu bekämpfen und dabei stärker auf naturbasierte Lösungen zu setzen.
Gesunde Ökosysteme wie Moore, Wälder und Meere sind schließlich nicht nur wichtiger Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten, sondern können auch große Mengen Kohlendioxid abbauen und speichern. Die Natur ist starke Verbündete im Kampf gegen die Klimakrise.
Auch aus diesem Grund fordern die Umweltverbände, dass Meeresschutzgebiete wie die Doggerbank zu einem großen Teil frei von wirtschaftlicher Nutzung bleiben müssen, selbst wenn es um prinzipiell klimafreundliche Windräder geht. Sie rechnen damit, dass mit den Plänen des Innenministeriums ein Drittel des geschützten Bereichs der Doggerbank beansprucht werden würde.
Energiewende-Experte hält Ausbaumenge für nötig
Im Entwurf für den Raumordnungsplan heißt es, dass diese Flächenreservierungen für den umfangreichen Offshore-Ausbau nötig seien, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen.
Mit dieser Einschätzung ist das Bundesinnenministerium nicht allein. „Wir gehen davon aus, dass wir 2045 sogar eine Kapazität von 70 Gigawatt Offshore-Windenergie in der deutschen Nord- und Ostsee brauchen werden“, meint Frank Steffe von der Denkfabrik Agora Energiewende. „Das ist hoch ambitioniert und wir werden auch Konflikte aushalten müssen.“
Der Strombedarf werde stark steigen, vor allem durch die weitere Elektrifizierung in Mobilität, Wärmebereich und Industrie sowie durch die Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse. Neben Photovoltaik und Windenergie an Land müsse deshalb auch die Offshore-Windkraft deutlich ausgebaut werden, um die Klimaneutralität zu erreichen.
Den Fokus der Debatte gleich auf mögliche Konflikte mit Meeresschutzgebiete zu legen, halte er für den falschen Ansatz. Stattdessen sollten die nicht geschützten Gebiete verstärkt gemeinsam genutzt werden. Bundeswehr, Schifffahrt und Fischerei etwa pochten noch viel zu sehr auf exklusive Nutzungsrechte, kritisiert Steffe. „Statt einseitig den Naturschutz zu beschneiden, müssen alle Akteure zukünftig Kompromisse eingehen und am Ziel des Windkraftausbaus mitwirken.“
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