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Nutri-Score und Tierwohl-LabelVerloren im Label-Dschungel

Ist der Käse nun von glücklichen Kühen, oder nicht? Labels, die im Supermarkt für Orientierung sorgen sollen, haben mitunter den gegenteiligen Effekt.

Ob die damalige Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) beim Einkaufen auf den Nutri-Score achtet? Foto: Wolfgang Kumm/dpa

V erwirrt starre ich vor dem Kühlregal auf das Stück Käse, das ich kaufen will. Hatte der nicht beim letzten Einkauf eine deutlich bessere Bewertung beim Nutri-Score? Also bei dieser Skala, die auf der Verpackung deutlich machen soll, was man seinem Körper antun wird, nimmt man den Verpackungsinhalt zu sich.

Nicht, dass ich an Hand des Scores entscheiden würde – aber verwirren tut es mich trotzdem. Ein paar Sekunden später der Aha-Effekt: Ich schaue nicht auf den Nutri-Score, sondern auf das Tierwohl-Label. Und während beim Nutri-Score die beste Kategorie fett und grün links steht, ist es beim Tierwohl-Label umgekehrt: Hier ist am besten, was fett und grün rechts steht. Außerdem geht der Nutri-Score von A bis E, während das Tierwohl-Label von 1 bis 4 reicht. Gab es nicht mal Regeln, die solch verwirrendes Design verbieten? Ach nein, das war bei Cookie-Bannern im Internet.

Vielleicht waren Lebensmittelindustrie und Politik irgendwann die ewige Debatte über die Irrlogik von Mehrwertsteuersätzen leid geworden. Wieso will es der Bevölkerung einfach nicht einleuchten, dass auf Trüffel 7 Prozent anfallen, auf Windeln aber 19 Prozent? Warum für Babynahrung mehr fällig ist als für Tiernahrung und für die Brille mehr als fürs Hörgerät? Schon klar – das mal grundsätzlich zu reformieren, würde in eine Lobbyschlacht ungesehenen Ausmaßes ausarten. Daher musste eine andere Lösung her. Und die war? Etwas Neues, ähnlich Unlogisches, an dem Menschen mit Hang zum Detail sich abarbeiten können.

Dürfen wir also vorstellen: der Nutri-Score. Soll einen Weg durch den Lebensmittel-Dschungel schlagen, schlingt aber leider nur ein paar neue Lianen um die Bäume. Zum Beispiel: Im Regal stehen Weißmehlbrötchen mit einem grünen A. Etwas weiter kommt das Olivenöl nur auf ein gelbes C. Und das Schoko-Müsli trägt ein B. Wahrscheinlich, weil sich seine 3 Zuckerarten nur auf 14 Gramm pro 100 Gramm Müsli verteilen und nicht auf 22 Gramm wie bei seinem Nachbarn.

Nussmischung oder Tiefkühlpizza?

Die etwas erratische Einstufung hat viel damit zu tun, dass die Berechnung zwar diverse Nährwerte, aber nicht den Verarbeitungsgrad von Produkten berücksichtigt. Und dass positiv bewertete Nährwerte nachteilige teilweise wettmachen können. Also: Etwas mehr Protei­ne und Ballaststoffe würde im Öl zwar keinen Sinn ergeben – aber einen besseren Nutri-Score. Dieses Prinzip kann schon mal dazu führen, dass die Tiefkühlpizza besser abschneidet als die Nussmischung. Ob das der gewünschte Effekt ist? Denn dass die Skala eigentlich nur einen Vergleich innerhalb einer Produktgruppe erleichtern soll, also Pizza mit Pizza – Hand hoch, wer hat’s gewusst?

Aber keine Angst: Falls es irgendwann doch mal alle verstanden haben und sämtliche Produkte den Nutri-Score tragen, gibt es bestimmt schöne neue Ideen. Vielleicht eine Länge-des-Transportwegs-Skala in senkrecht und mit Schulnoten von 1 bis 6? Oder eine CO2-Bilanz in Form eines Fußabdrucks? Nein, das wäre wahrscheinlich schon wieder zu sinnvoll.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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7 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Label steigern den Umsatz, sonst gäbe es keine.

    Eine Dienstleistungsindustrie lebt davon, "verdiente" Produkte mit lukrativen Labeln zu zertifizieren. Bald kommt der Disclaimer: "Unser Label stellt diese Schokolade nicht her, sondern bewertet sie nur."

    20% Schokoguss um den Keksriegel, vom Kakao in der Fettglasur 30% zertifiziert? Bätsch, Label drauf. Kuh kann sich im Stall umdrehen? Label. Im Pudding ist fast so viel Eiweiß wie in einem sehr kleinen Ei? Nennen wir's Protein, klingt besser. Label. Bloß kein Ei essen, is' ja ungesund. Wenn kein Label passt, ersinnt die Produktionsfirma eins, oder wirbt mit der Empfehlung eines Branchenblattes.

    Der Nutriscore ist FREIWILLIG. Wenn eine Firma damit zu schlecht aussieht, lässt sie ihn weg. Bald wird er verschwinden.

    Wer wissen muss, was er isst, liest die Zutatenliste, Lupe mitnehmen, und den unsexy Kasten, in dem die "durchschnittlichen Nährwerte" aufgeführt sind.

    Wer die Welt retten will und es sich leisten kann, isst unverpackt, frisch, regional und saisonal. Kochen kostet Zeit und Geld.

    Eigenverantwortung bevorzugt Reiche. Arme gucken nach dem Preis.

    Demnächst: Welches T-Shirt hat die schönsten Label?

  • Gerade habe ich eine neu LED-Lampe mit Klasse "F" aus meiner Vorratskiste geholt. Direkt daneben lag noch eine alte ungefähr gleich helle Halogenbirne mit Klasse "D". Also ist Halogen viel sparsamer als LED, oder?



    Für mich sind alle diese kryptischen Buchstaben und Labels vorsätzliche Verwirrung und Verdummung, um dem Kunden alles andrehen zu können und ihm die Möglichkeit zum Vergleich zu nehmen -- unter mutwilliger Vortäuschung des Gegenteils. Dafür steht auf jeder Packung groß die ungeheuer hilfreiche Information 1 kh = 1000 h drauf. Wo wären wir ohne unsere fürsorgliche Regierung?

  • Die Verbraucher wollten ein einfaches Label, weil es angeblich zu kompliziert ist, die Nährwerttabelle zu studieren. Außerdem muss man dafür fast "studiert" haben, um die Unterschiede zwischen Fett, Zucker und Eiweiß zu verstehen.



    Jetzt hat man ein einfaches Label und es ist wohl immer noch nicht passend. Die Nahrungsindustrie hat es zwar geschafft, die Berechnung stellenweise geschickt zu verdrehen. Aber das Label soll ja auch nur einen Anhaltspunkt dafür geben, ob Variante A oder Variante B besser weg kommt. Wer Weißmehlbrötchen mit Olivenöl vergleicht, hat den generellen Sinn nicht verstanden.

    Manche Verpackungen gleichen mittlerweile einem Eldorado der Logos: Vegan, Glutenfrei, Bio, Fairtrade, Nutriscore, Grüner Punkt, aus recycelten Materialien, geschützte Herkunft (geht übrigens alles gemeinsam).

  • Hab hier nen Artikel der Ausgabe 222 der ARCH+ liegen, da wurde in einem Artikel, das hier im letzten Artikel angeschnittene Aufzeigen von „Produktionsbedingungen“ bzw. den Negativen Aspekten und Folgen der Produktion mittels Labeln auf den Produkten kenntlich zu machen, auch behandelt.

    Statt z.b. Faire Löhne positiv auszuweisen, würden alle Produkte die diesen Standard nicht erfüllen negativ als z.b. Unsozialen Arbeitsbedingungen ausgewiesen. Und das würde man dann eben auch in passender Form u.a. bzgl. Energie- und Wasserverbrauch, Umweltverschmutzung und nicht artgerechter Tierhaltung machen. Ebenso wäre Vergleichbares wie die Transportwegs-Skala und CO2-Bilanz welche im Artikel genannt werden möglich.

    Aber das eingeführt wird, das z.b. schlecht Designte „billig“ Produkte als Träger Geplanter Obsoleszenz konsequent ausgewiesen werden, würde ich auch eher bezweifeln.

    • @serious?:

      Sollte im ersten Satz letzten Absatz statt „letzten Artikel“ heißen.

  • Spricht mir aus der Seele. Jede Vereinfachung der Vorschriften führt dazu, dass es komplizierter wird. Besser: Bildung, lesen, verstehen und dann kaufen.

  • Der Nutri-Score ist der größte Blödsinn, der je auf den Verbraucher losgelassen wurde.

    Eine Nährwertbewertung, die innerhalb einer Produktkategorie auf so einen Blödsinn muss, man erstmal kommen.

    Genauso gut könnte man Ökolabel für Braunkohlekraftwerke einführen, dass mit dem geringsten CO2-Ausstoß bekommt ein A.