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Notrettung durch Frontex im MittelmeerHuman und effektiv im Einzelfall

Frontex rettet eine einzelne im Mittelmeer treibende Touristin nach 21 Stunden. Wo bleibt diese Kompetenz, wenn Dutzende Geflüchtete sterben?

Werden bestimmt von Frontex live überwacht: Kinder auf einer Luftmatratze Foto: dpa

Am vergangenen Wochenende rettete die EU-Grenzschutzagentur Frontex eine Touristin aus dem Mittelmeer, so berichtet es die The Sun. Die russische Ärztin Olga K. war beim Baden auf Kreta wohl durch eine starke Strömung ins offene Meer getrieben worden. Eine erste Suchaktion durch die örtliche Küstenwache verblieb erfolglos.

Ein slowakisches Flugzeug der Frontex sichtete die Frau am nächsten Morgen und alarmierte die griechische Küstenwache. Nachdem Olga K. 21 Stunden auf einer Luftmatratze im offenen Mittelmeer getrieben war, wurde sie 16 Kilometer vor der Küste gerettet. Mit starkem Sonnenbrand, Unterkühlung und Herzproblemen kam sie ins Krankenhaus.

Es ist ein Glück, dass Olga K. rechtzeitig gefunden und gerettet werden konnte. Doch viele Geflüchtete, die auf dem offenen Meer treiben, teilen dieses Glück nicht. So wurde in der Nacht zum Dienstag wieder einmal bekannt, dass nach dem Untergang eines weiteren Bootes vor der libyischen Küste laut örtlichen Behörden 63 Menschen vermisst werden. Allein in diesem Jahr sind mehr als 1.400 Menschen bei dem Versuch nach Europa zu fliehen im Mittelmeer ertrunken, so teilte es die Internationale Organisation für Migration am Dienstag mit.

Der Fall der geretteten Touristin zeigt noch einmal: Sie können es ja doch. Frontex ist in der Lage, Menschen in Seenot zu finden und zu retten. Und eigentlich sollte ihnen das künftig noch besser gelingen als zuvor. Denn auf dem EU-Gipfel vergangene Woche wurde beschlossen, dass die EU-Grenzschutzagentur gestärkt werden soll – mit mehr finanziellen Mitteln, mehr Personal und mehr Befugnissen. Doch diese Aufstockung wird nicht genutzt, um Geflüchtete zu retten, sondern um die Grenzen Europas abzudichten.

Wo war Frontex?

Die Agentur mit Sitz in Warschau ist in den vergangenen Jahren wegen ihrer Praktiken immer wieder in die Kritik von Menschenrechtsorganisationen geraten. Dazu zählen die sogenannten „Pushbacks“, bei denen Geflüchtete, die sich in unmittelbarer Nähe der EU-Außengrenzen befanden, gewaltsam mit ihren Booten zurückgedrängt wurden. Das ist nicht nur nach der Genfer Flüchtlingskonvention illegal; auch der Europäische Gerichtshof urteilte 2012 solche Verfahren als menschenrechtswidrig.

Frontex-Chef Fabrice Leggeri hat sich anschließend von „Pushback“-Aktionen distanziert. Die Agentur ist dazu verpflichtet, in Seenot geratene Menschen zu retten. Doch nach jedem gesunkenen Boot mit Geflüchteten stellt sich die Frage: Wo war Frontex?

In Anbetracht des aktuellen Falls lohnt es sich noch einmal, einen Blick in die Debatte um den Begriff „Asyltouristen“ zu werfen. Verschiedene Rechte hatten ihn immer wieder benutzt, um Geflüchtete damit zu diskreditieren. Ein Kampfbegriff, der Flucht als Spaß beschreibt und flüchtenden Menschen unterstellt, sie würden freiwillig nach Deutschland kommen. Zuletzt hatte ihn Innenminister Horst Seehofer in der ARD-Talkshow „Maischberger“ benutzt.

Doch nach der Rettung der russischen Touristen wird noch einmal deutlich, wie zynisch der Begriff ist. Denn wären Geflüchtete wirklich Touristen, hätten sie wohl eine deutlich höhere Chance, von Frontex gerettet zu werden.

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