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NotfallvorsorgeBesser bunkern, ohne zu hamstern

Essay von Julia Neuhaus

Die Welt ist kriegerischer geworden und unser Schutzmechanismus fragiler. Wie sorgt man am besten für den Ernstfall und für Katastrophen vor?

Illustration: Katja Gendikova

N üsse und Knäckebrot? Oder Büchsenfleisch, Müsliriegel, Schokolade? Oder doch besser Haferflocken, Müsli und Trockenfrüchte? Was sollte man als Notfallvorrat zu Hause haben? Nicht unbedingt für den Fall, dass man das Haus mal nicht verlassen will, sondern für einen echten Notfall: Hochwasser, Stromausfall, Unwetter.

Die Antwort ist gar nicht so leicht. Da hilft vielleicht die neue Strategie für die Krisenvorsorge, die die EU-Kommission im März 2025 vorgelegt hat. Die EU empfiehlt, dass alle Bürgerinnen und Bürger einen Notfallvorrat haben sollten, mit dem sie mindestens 72 Stunden über die Runden kommen. Was genau in diesen Notvorrat gehört, soll den individuellen Bedürfnissen und Risiken in den jeweiligen Ländern angepasst sein.

Aber woher soll man wissen, was man dafür braucht? Fisch und Gemüse in Konserven, abgepacktes Vollkornbrot, Aufstrich? Auf jeden Fall haltbare und nahrhafte Gerichte, die satt und glücklich machen und nicht aufwendig gekocht werden müssen. Dazu genügend Wasser in Glasflaschen – pro Person im Haushalt mindestens 1,5 bis 2 Liter pro Tag. Auch warme Kleidung, Decken, Batterien, Taschenlampen, einen Campingkocher, ein Radio, ein medizinisches Notfallset.

Bild: Nikolai von Graevenitz
Julia Neuhaus

ist Regisseurin und Autorin. Für ihren Film „Das Ende der Welt wie wir sie kennen“ hat sie mehrere Jahre zu Katastrophenschutz und Überlebenskompetenzen recherchiert.

In Deutschland gibt es seit 2016 umfangreiche Empfehlungen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, was Menschen als Notfallvorsorge zu Hause haben sollten. Ist das Panikmache? Nicht unbedingt. Eher ein wichtiger Teil eines verantwortungsvollen Zivilschutzes. Und das nicht nur für den Fall eines – hoffentlich ausbleibenden – Kriegs. Hochwasser und Stromausfälle können Infrastrukturen ebenso treffen und eine Notlage auslösen. Auch mit der Gefahr der hybriden kriegerischen Notlage müssen wir uns das erste Mal seit Jahrzehnten wieder auseinandersetzen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden in Deutschland viele Zivilschutzstrukturen abgebaut und Vorsorgestrategien der geopolitischen Entspannung angepasst. Bereits 2012 hat die Bundesregierung erstmals seit 1989 ein neues Zivilschutzkonzept in Auftrag gegeben, das die Verwundbarkeit unserer weltweit vernetzten modernen Infrastruktur absichern soll. Größte Gefahren seien nicht mehr nur feindliche Panzer, sondern Computerviren und Cyberattacken.

Schon 2016 warnte der damalige Innenminister Thomas de Maizière, CDU, vor Angriffen auf das deutsche Stromnetz: „Ich kann mir vorstellen, dass es Gruppen oder Staaten oder eine Mischung von Gruppen und Staaten gibt, die ein Interesse daran hätten, einmal auszuprobieren, wie resilient, wie anpassungsfähig die deutsche Gesellschaft ist mit Blick auf die Abhängigkeit von der Stromversorgung.“

Größte Gefahren sind heute nicht mehr nur feindliche Panzer, sondern vor allem Computerviren und Cyberattacken

Aber es gibt auch andere Risiken für unsere Infrastruktur. So weisen Risikoforscher von der Rückversicherung Munich Re in einer Analyse von 2024 darauf hin, dass der Klimawandel Krallen zeige. Vorstand Thomas Blunck spricht von einem „Hitzerekord nach dem anderen“, die Folgen seien „verheerend“: „Die zerstörerischen Kräfte, die der Klimawandel mit sich bringt, werden immer offensichtlicher, und diese Tatsache wird von der Wissenschaft untermauert. Die Gesellschaften müssen sich für stärkere Wetterkatastrophen wappnen.“

Wichtige Säule des Bevölkerungsschutzes

Angesichts dieser Szenarien ist der persönliche Notfallvorrat eine wichtige Säule des Bevölkerungsschutzes in einer Situation, in der viele Personen auf einmal Hilfe brauchen. Es ist eine Vorsichtsmaßnahme, die der Art gerecht wird, wie wir heute unser Leben organisieren. Das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal verändert: Versorgungssysteme wurden digitalisiert, Wasserversorgung wurde von mechanischen auf elektrische Pumpen umgestellt, Produktion automatisiert, Lieferketten wurden optimiert und gemeinschaftliche Aufgaben zentralisiert. Was für uns Notfälle sein könnten, hat viel mit unserem gewohnten Komfort und einer privilegierten Infrastruktur zu tun, die in einem Land wie Deutschland selbstverständlich ist.

Gleichzeitig wird die Zivilschutz- und Rettungsinfrastruktur in Deutschland zu wesentlichen Teilen von Ehrenamtlichen geschultert. Im Jahr 2022 gab es über 1,4 Millionen freiwillige Feuerwehrleute inklusive der Jugendfeuerwehr, aber nur 35.754 Beschäftigte bei der Berufsfeuerwehr. Umfassende aktuelle Daten zu Ehrenamtlichen im Rettungsdienst fehlen zwar, aber es dürften sehr viele sein. Bei Hochwasser und Katastrophen verschiedener Art springen unter anderem das Technische Hilfswerk ein, die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie Katastrophenhilfe. Deutschland ist ein Land, in dem einander geholfen wird. Auf dieses soziale Netz sind wir in Notsituationen angewiesen – und alle müssen sich aufeinander verlassen können.

Das soziale Netz braucht mehr Rückendeckung aus Politik und Wirtschaft – für alle und sozial gerecht. Doch an dieser Stelle rächt sich die zurückhaltende Investitionspolitik der vergangenen Jahrzehnte, unsere Infrastruktur ist vielerorts marode: Straßen, Schulen, Schienen. Im Gesundheitssystem fehlen Menschen, Ressourcen, Schutzräume. Ein Zivilschutzkonzept ist nur dann gut, wenn alle notwendigen Hilfsmaßnahmen funktionieren und alle die Hilfe bekommen, die sie benötigen.

Katastrophenschützer betonen, dass die Resilienz eines Systems am schwächsten Glied hängt. Die Soziologin Tricia Wachtendorf, Professorin und Leiterin des Disaster Research Centre (DRC) in Delaware, wo seit 60 Jahren das Verhalten von Menschen in Katastrophensituationen erforscht wird, kritisiert Medien, die Katastrophen genüsslich zu inszenieren: Die Affinität vieler Medienberichte zu spektakulären Horrorszenarien generiere mehr Klicks als der disziplinierte Blick der Wissenschaft.

Ame­ri­ka­ne­r:in­nen sorgen besser vor

So hat eine DRC-Feldstudie im Fall des Hurricanes „Katrina“ im Jahr 2005 herausgefunden, dass die Menschen einander geholfen haben, Hilfsgüter und Lebensmittel geteilt und sich sogar für andere in Gefahr gebracht. Medien indes hätten vor allem Schreckensvisionen menschlicher Abgründe vermittelt, Fernsehbilder von „plündernden Monstern“ drangen in die Wohnzimmer der Menschen außerhalb der betroffenen Regionen.

Dabei waren sie die totale Ausnahme. Ein Fakt, der auch 2025 bei den verheerenden Bränden um Los Angeles zu beobachten war. Dabei ist es in den USA wesentlich normaler, sich auf Katastrophen vorzubereiten und Vorräte im Haus zu haben, denn es gibt kein so starkes soziales Netz wie in Deutschland.

Gleichzeitig spielt die soziale Ungleichheit in den USA eine große Rolle für die Verwundbarkeit der Menschen. Statistisch gesehen sind marginalisierte Menschen in Katastrophen stärker gefährdet. Wichtig ist auch, wie viel Komfort Menschen im Alltag gewohnt sind. Der Katastrophenschützer und Chef der Leitstelle Tirol, Bernd Noggler, hat bei seinen weltweiten Einsätzen in Katastrophengebieten von Haiti über Pakistan und Chile beobachtet, dass es große Unterschiede gibt, wie gut Menschen mit Katastrophen umgehen: Menschen in Ländern, die nicht so privilegiert leben, können oft besser improvisieren und verlieren weniger schnell die Nerven. Der Alltag in unserer hochindustrialisierten und modernen Welt hingegen hat fast immer mit Strom zu tun, unser Leben ist auf das perfekte Funktionieren von Versorgungssystemen aufgebaut.

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Wir müssen nicht vorausplanen, solange alle Rädchen ineinandergreifen und nichts passiert, was diese Ordnung stört. Man kann jederzeit Geld am Automaten abheben, unkompliziert im Supermarkt einkaufen und sich Sachen liefern lassen. Das Handynetz funktioniert (zumindest weitgehend), Ampeln regeln den Verkehr, Zapfsäulen geben Sprit, öffentliche Verkehrsmittel fahren, das Wasser kommt aus dem Hahn, die Heizung läuft. Die Klospülung funktioniert, die Müllabfuhr kommt und das Navi weist den schnellsten Weg.

Wir müssen nicht darüber nachdenken, was alles passieren muss, damit unser Supermarkt jeden Morgen frische Ware hat. Unsere Lieferketten wurden in den vergangenen Jahrzehnten optimiert, sodass niemand große Lagerflächen vorhalten muss, sondern tagesaktuell auf Bedarf reagieren und Nachschub anfordern kann. Weil Warenwirtschafts- und Abrechnungssysteme digitalisiert sind, kann es nun dazu kommen, dass ein Supermarkt seine Tore schließen muss, wenn das Kassensystem nicht mehr funktioniert. Wenn der Nachschub ein paar Tage ausbleibt, weil an anderer Stelle der Lieferkette Probleme auftauchen, bleiben die Regale erst einmal leer.

Niemand denkt gern über Verwundbarkeit nach

Auf einen Katastrophenfall sind die meisten Menschen nicht vorbereitet. Aber das lässt sich ändern. Als Erstes ist es wichtig, seine individuellen Bedürfnisse zu klären: Lebe ich in der Stadt oder auf dem Land? Lebe ich allein oder in einer Gemeinschaft? Habe ich eine Familie, für die ich sorgen muss? Gibt es PartnerInnen, LiebhaberInnen, verpeilte Freunde, Haustiere, NachbarInnen, die in der Vergangenheit besonders viele Pakete für mich angenommen haben und die ich im Notfall bewirten will? Habe ich einen Garten? Habe ich natürlichen Zugang zu Trinkwasser, vielleicht eine elektrische Pumpe im Garten? Lebe ich in einer Region, die von Überschwemmungen, Waldbränden oder Stürmen bedroht ist? Brauche ich regelmäßig Medikamente? Wie komme ich ein paar Tage ohne Internet klar? Kurz: Wie kann ich mich vor Hunger und (ohne Brandgefahr) vor Kälte schützen, bis die staatlichen Zivilschutzkonzepte erfolgreich laufen?

Niemand denkt gerne über Verwundbarkeit nach, vor allem nicht über solche, die außerhalb unserer Einflusssphäre liegt. Douglas Rushkoff, amerikanischer Medienprofessor und Autor des Buches „Survival of the Richest“, hat die Überlebensfantasien von Superreichen und Tech-Milliardären untersucht. Sein Fazit: Die Superreichen könnten künftig mehr Probleme bekommen als die weniger Reichen und Ärmeren. Nur ahnen das die Tech-Milliardäre noch gar nicht. Das Drama der Superreichen zeichnet sich nicht nur bei der Frage ab, ob diese genug Wasser in Glasflaschen zu Hause haben, sondern insbesondere beim sozialen Zusammenhalt. Denn die beste Katastrophenvorsorge – so lässt sich Rushkoff zusammenfassen – ist es, kein Arschloch zu sein.

Auf jeden Fall ist es klug, sich die Zivilschutzkonzepte von EU und Bundesregierung zu Herzen zu nehmen und den eigenen persönlichen Bedürfnissen anzupassen. Pragmatisch heißt das, Lebensmittelvorräte für eine Woche zu Hause zu haben. Am besten Dinge, die man gerne isst und im normalen Alltag verbrauchen kann, die ExpertInnen nennen das „lebendigen Vorrat“.

Dann immer mal das Haltbarkeitsdatum überprüfen und all das essen, was demnächst fällig wird – beim nächsten Einkauf kann man für Nachschub sorgen. So muss man auch gar nicht zum Hamster werden. Niemand will regelmäßig bei Kerzenlicht Dosenravioliwoche machen und zu viel über die Notwendigkeit dieser Praxis nachdenken. Man kann das so handhaben wie eine Haftpflichtversicherung: Sie ist für den Notfall. Und wenn man sie nie braucht, umso besser.

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