Nostalgie statt Abgasskandal: Ästhetisches Notstandsgebiet
Die Hannoversche Ausstellung über den VW-“Bulli“-Bus, einst Hippie-Ikone, wirkt streckenweise, als habe sie die PR-Abteilung von VW gemacht
Denn dieses Auto, dem derzeit eine Hannoversche Ausstellung gilt, lebt. Es flirtet geradezu mit dem Betrachter durch seine vorwitzigen Blicke aus Scheinwerferaugen. Zwischen ihnen prangt das kugelrunde VW-Firmenlogo – oder an seiner Stelle das ebenso kugelrunde Peace-Logo. Einige chromblitzende Piercings zieren das Antlitz. Die Stirn des Wagens ist nicht schlaumeiernd gerunzelt, sondern lässt, rundum verglast, Einblicke ins Innenleben zu.
Die erste Generation (bis 1968) und die zweite (bis 1978) der T-Baureihe des Volkswagenkonzerns sind heute Kult; der Oldtimer erfährt geradezu phantastische Wertsteigerungen. Allerdings nicht seitens moderner Geldanleger, sondern seitens einstiger Nonkonformisten: Sie prägen weiterhin das Bulli-Image und halten fest an dieser Ikone des freiheitsdurstigen, reiselustigen Lebensgefühls der 1960er-Jahre.
Dabei war das Gefährt nicht als rollende Hippie-Heimat, sondern ganz praktisch gedacht: Es sollte fürs Wirtschaftswunder der Lastenesel sein, ein Jedermann-Kleinbus und multifunktionaler Lieferwagen. Der Kosename „Bulli“ lebt bis heute, die Fangemeinde ist riesig.
Aber zu welchen Kultstätten kann die pilgern? Das Bullimuseum im niedersächsischen Hessisch Oldendorf etwa gibt an, derzeit einsturzgefährdet und also geschlossen zu sein. Da passt es prima, dass man gerade den 775. Geburtstag Hannovers feiert, wo seit dem 8. März 1956 die Bullis vom Band laufen: Wir schreiben heute also das Jahr 60 der Produktion, die bis heute wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, Stadtentwicklung prägend: Nicht zufällig leuchtet ausschließlich VW-Reklame vom Fernsehturm auf Hannovers Zentrum herab.
Das dortige Historische Museum hat sich jetzt also der Automobilgeschichte angenommen. Einige der 100 Schmuckstücke aus den (nicht öffentlich zugänglichen) Restaurationswerkstätten in Hannover-Limmer wurden poliert in die „Bullibauer“-Schau gerollt. Freude, Belustigung, Nostalgie – ach, einfach schön ist beispielsweise dieser T1 Kastenwagen, mit 25 PS zu 80 Stundenkilometern fähig. 5.800 DM kostete er Mitte der 1950er-Jahre, als für ein Kilo Brot 68 Pfennig, für ein Kilo Butter sieben Mark zu zahlen waren – der Durchschnittsstundenlohn bei VW lag bei durchschnittlich 2,53 DM.
Noch aparter wirkt der T2b Bus L „Silberfisch“, bereits 70 PS stark. Drumherum bekommt ein Kuratorenteam die Chance, nicht einfach nur einer „automobilen Legende“ zu huldigen, sondern sie auch kritisch zu würdigen.
Schon im Vorfeld hatte Museumschef Thomas Schwank angekündigt, auch den Aspekt Zuwanderung zu thematisieren. Und richtig: Das sportliche Engagement eines türkischen VW-Gastarbeiters wird anhand eines Vereinswimpels und Fußballpokals vorgeführt. Auch eine türkische Ausgabe der Betriebszeitung ist zu sehen, aber das war es schon.
Etwas befremdlich wird es, wenn neben einem aus Holz geschnitzten Bulli auch Metallvarianten en miniature im Schaukasten stehen – als Kaufanreiz für entsprechende Exemplare im Devotionalienregal des Museumshops. Fragwürdig erscheint auch, dass VW die Schau nutzt, um für seine Ausbildungsangebote zu werben. Und was richtig ärgerlich ist und gar nicht geht in einem öffentlichen Museum: Die Beschriftung der Plakate zur Werksgeschichte lesen sich, als hätten die VW-Öffentlichkeitsarbeiter sie gleich selbst formuliert. So ist zum Thema Umweltverschmutzung vom „sehr erfolgreichen Nachbarschaftsdialog“ zu lesen. Volkswagen habe Transparenz geschaffen, steht da, „verschiedene Interessenlagen werden frühzeitig miteinander besprochen und aufeinander abgestimmt“. Als hätte es den Abgasskandal nie gegeben.
Nun gut, in Interviewschnipseln mit einstigen Werksangehörigen werden auch Auseinandersetzungen erwähnt – aber nur dann, wenn deren Ausgang den Konzerns als vorbildlich dastehen lässt. Etwa wenn es um die Einrichtung eins Raumes für Schwangere geht oder um die hälftige Übernahme von Fahrtkosten zum Arbeitsplatz.
Auch die Entwicklung des Hannoveraner Nordens kommt zur Sprache – etwa die dort einst ansässigen Bauern, die ihr Land und dann sich selbst an die Autoindustrie verkauften. Beispielhaft symbolisiert durch ein riesiges Gemälde, das im Empfangssaal der Fabrik hing und jetzt erstmals in einem Museum ausgestellt ist: „Ausfahrt mit Hirt und Hund“ wurde laut Schautafel 1925 vom „bekannten Nutztiermaler Prof. Heinrich von Zügeln“ gefertigt – im Stil impressionistisch gemeinten Kitsches.
Reizvoll hingegen, dass VWler ihre Privatfotoalben geöffnet haben. Vergilbtes ist zu sehen aus Tagen, als in martialischer Architektur-Sachlichkeit eine Million Quadratmeter landwirtschaftlicher Nutzfläche bebaut wurden. Quasi live kann man miterleben, wie sich das Dorf Stöcken peu à peu industrialisierte und urbanisierte. Ein wirklich guter Gag, hier einen Pflasterstein mit auszustellen. Nicht, dass er bei einer Anti-VW-Demo geworfen wurde. Er lag vielmehr bis zum vierspurigen Ausbau auf einer Zufahrtsstraße und diente den Anwohnern später als Gartenzierde.
Ein echtes Eigentor ist im praktischen Ausstellungsteil allerdings die Duftstation. Apfel-Zimt, Vanille, Kaffee, Lavendel Pfefferminz sind zu schnüffeln – sowie olfaktorische Stimulanzien aus einem „Neuwagen“; letzterer plastik-übel.
Kaum ruhmreich auch die Geschichte des Transporter-Designs. Auf die lebensprallen Rundungen wurde ab der T3-Generation verzichtet, der Bulli ist seither nicht schnuckelig mehr, sondern ein kastig-kantiges, charmefreies Nutzfahrzeug: ästhetisch ein Notstandsgebiet. Was übrigens für die ganze Schau gilt. Angesichts der schnieken Dauerausstellung des Historischen Museums wirken „Die Bullibauer“ erstaunlich schäbig inszeniert.
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