Nordkorea an der Seite Russlands: Die Zeitenwende erreicht Korea
Nordkoreas Truppenentsendung nach Russland weckt in Südkorea die Angst, der Norden beschaffe sich in Europa Kampferfahrung und moderne Technologie.
Zuvor war Rutte von einer südkoreanischen Delegation gebrieft worden. Hochrangige Vertreter des Geheimdienstes sowie des Verteidigungsministeriums in Seoul teilten ihren Informationsstand.
Dass Südkorea das Thema der nordkoreanischen Truppenentsendung nach Russland auf die internationale Agenda bringen möchte, ist nur allzu verständlich, droht derzeit doch das Machtgefüge auf der koreanischen Halbinsel ins Wanken zu geraten.
Der Oktober 2024 ist für Südkorea eine Zeitenwende. Nordkoreas Soldaten in Russland sind seit Tagen das alles dominierende Thema. Es prangt auf den Titelseiten der Zeitungen, eröffnet die Abendnachrichten im Fernsehen und mobilisiert die Bevölkerung zu öffentlichen Kundgebungen auf die Straße.
Nordkoreas Truppen in der Ukraine: Spezialkräfte, nicht Fußvolk
Doch geeinter Meinung sind die SüdkoreanerInnen, wie in praktisch allen Grundsatzfragen, keineswegs. Die politische Linke spricht sich gegen eine Annäherung an die Ukraine aus – aus Angst, in einen eskalierenden Konflikt mit dem Norden gezogen zu werden. „Südkorea sollte sich nicht in einen Stellvertreterkrieg mit Nordkorea verwickeln lassen“, sagte Park Chan-dae, Parteichef der oppositionellen Minjudang.
Südkoreas Geheimdienst geht davon aus, dass Nordkorea bis Dezember 10.000 Mann nach Russland entsenden wird. Rund 3.000 sollen sich bereits dort aufhalten und für den Kriegseinsatz vorbereitet werden. Dabei soll es sich laut ersten Einschätzungen nicht um das gewöhnliche Fußvolk der 1,3 Millionen starken Volksarmee handeln – jenen Soldaten also, die oftmals unterernährt und schlecht ausgebildet sind –, sondern um Spezialkräfte. „Bei diesen Einheiten handelt es sich wahrscheinlich um nordkoreanische Elitesoldaten, die über gewisse Spezialfähigkeiten verfügen“, kommentierte jüngst Chun In Bum, pensionierter Generalleutnant der südkoreanischen Armee.
Vermutet wird, dass Nordkoreas Machthaber Kim vier Brigaden aus dem berüchtigten 11. Armeekorps der nordkoreanischen Volksarmee entsendet – einer Spezialeinheit, die mindestens 40.000 Soldaten umfasst und in ihren Fertigkeiten durchaus den Rangers der US-Armee ähnelt. Kim hat Einheiten des 11. Armeekorps seit September mindestens zweimal persönlich inspiziert.
Südkorea hat Erfahrungen mit Pjöngjangs Elitesoldaten. Am 17. Januar 1968 schlugen sich 31 Agenten der berüchtigten nordkoreanischen „Einheit 124“ durch die verminte Demarkationszone nach Süden durch, um in einer Infiltrierungsmission Südkoreas damaligen Präsidenten Park Chung Hee zu enthaupten. Erst am letzten Checkpoint, wenige hundert Meter vor dem ikonischen Präsidentensitz Cheongwadae, konnten die Eindringlinge durch ein blutiges Feuergefecht gestoppt werden.
Söldner als gutes Geschäft für Nordkorea
56 Jahre später fürchtet Südkorea nun, dass die nordkoreanischen Soldaten Kriegserfahrungen in der Ukraine sammeln könnten, um sich für den Ernstfall auf der koreanischen Halbinsel zu rüsten. Zudem dürfte Russland die Nordkoreaner auch mit neuer Militärtechnologie versorgen.
„Der Ukrainekrieg hat die Sicherheitslage in Ostasien verschlechtert. Russland und Nordkorea arbeiten daran, die internationale Ordnung zu destabilisieren“, sagt Frederic Spohr, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung Korea.
Im Kern jedoch sind Kims Russland-Söldner vor allem finanziell ein gutes Geschäft. In einer aktuellen Studie der Friedrich-Naumann-Stiftung vom Montag wird geschätzt, dass Nordkoreas Waffenlieferungen an Russland seit Beginn des flächendeckenden Angriffskriegs gegen die Ukraine im Wert zwischen 1,7 und 5,5 Milliarden US-Dollar liegen. Die Zahlen beruhen auf Geheimdienstberichten und geleakten Dokumenten, die Dimension ist enorm: Nordkoreas Volkswirtschaft insgesamt wird von der Zentralbank in Seoul auf lediglich 23 Milliarden US-Dollar beziffert.
Das Thema aussitzen
Die Volksrepublik China dürfte an der Annäherung zwischen Pjöngjang und Moskau keinen Gefallen finden, allein schon weil diese Nordkoreas Abhängigkeit gegenüber dem mächtigen Nachbarn China reduziert. Und obwohl Staats- und Parteichef Xi Jinping sich stets gegen eine „Blockbildung“ wie zu Zeiten des Kalten Krieges ausgesprochen hat, hält sich die Parteiführung in Peking bislang mit öffentlicher Kritik vollkommen zurück. Man muss schon genau hinschauen. So blieb etwa der chinesische Botschafter in Pjöngjang einer Feier zum Ende des Koreakriegs fern – nur wenige Wochen nachdem Kim und Putin ihren weitreichenden Militärpakt unterzeichnet hatten. Chinas Außenministerium versucht, das Thema auszusitzen. Jedes Mal, wenn Reporter dort bei der täglichen Pressekonferenz nach den nordkoreanischen Soldaten in Russland fragen, heißt es bloß: „China ist sich der entsprechenden Situation nicht bewusst.“
In Chinas akademischen Kreisen wird das Thema aufgrund seiner politischen Sensibilität vorsichtig behandelt, doch lassen sich durchaus ambivalente Einschätzungen finden. „Meiner Ansicht nach hatten Nordkorea und Russland, die beide unter enormem strategischem Druck stehen, keine andere Wahl, als engere Beziehungen zu knüpfen“, kommentiert Feng Yujun, Historiker an der renommierten Peking-Universität: „Unter immensem Druck streben Nordkorea und Russland danach, die Blöcke aus der Zeit des Kalten Krieges (…) wiederherzustellen, in der festen Absicht, China in ihr Lager zu ziehen.“
Doch genau dieses Vorhaben sei zum Scheitern verurteilt: Die Stärke Russlands und Nordkoreas habe nachgelassen, und sie reiche sicher nicht aus, um dem Westen die Stirn zu bieten. Feng Yujun, der als vergleichsweise kritischer Geist gilt, zieht eine durchwachsene Schlussfolgerung: Russland und Nordkorea können ein paar kurzfristige Vorteile erreichen, doch langfristig überwiegen die strategischen Nachteile. China solle sich daher hüten, unnötigen Ärger auf sich zu ziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
HTS als Terrorvereinigung
Verhaftung von Abu Mohammad al-Jolani?