Nominierung für den Supreme Court: Die leise Revolution
Amy Coney Barrett ist kein Einzelfall: In den knapp vier Jahren seiner Amtszeit hat Trump die US-Rechtsprechung nachhaltig umgeformt.

J a, die Nominierung von Amy Coney Barrett für den Supreme Court ist verstörend. Donald Trumps Vorschlag zielt auf eine konservative Radikalisierung des obersten Gerichtshofs der USA. Mit ihren christlich-fundamentalistischen Ansichten lässt Barrett um so schmerzhafter spüren, welche Lücke der Tod der feministischen Ikone Ruth Bader-Ginsburg gerissen hat. Doch die Nominierung von Barrett ist nur ein kleines, wenn auch prominentes Stück in einem großen Puzzle.
Wenn Barrett sagt, für sie wiege der Wortlaut der US-Verfassung (aus dem Jahr 1787 und im Geist desselben) mehr als Entscheidungen, die der Supreme Court seitdem gefällt hat, könnte das im Zweifel die Aufhebung wegweisender Urteile bedeuten. Die Aufhebung der Rassentrennung von 1954 gehört aller Vernunft nach nicht dazu. Aber die Verfassungsmäßigkeit von Abtreibung, festgeschrieben in der legendären Entscheidung Roe vs. Wade von 1973, dürfte mit einer Verfassungsrichterin Barrett zur Disposition stehen.
Auch die gleichgeschlechtliche Ehe, Urteile gegen die Diskriminierung nach Geschlecht oder Hautfarbe werden für Barrett nicht sakrosankt sein, jedenfalls nicht, wenn man sie an ihren bisherigen Aussagen misst. Ganz zu schweigen von Obama-Care, der ersten allgemeinen Krankenversicherung für alle Amerikanerinnen und Amerikaner.
Amy Coney Barrett ist bereits die dritte Nominierung Trumps für den obersten Gerichtshof, ihr Name ist inzwischen weltweit bekannt. Doch wem sind Roderick Young oder Cory Wilson ein Begriff? Young ist der 161. von Trump ernannte Bundesrichter an einem Bundesbezirksgericht. Wilson ist Nummer 53 auf der Liste der Richter an einem der 13 Bundesberufungsgerichte. Dazu kommen noch zwei Richter am Bundesgericht für internationalen Handel. Mehr als 30 weitere Juristen-Bestätigungen von Trump stehen noch im US-Senat an. Und noch hat der republikanisch dominierte Senat die Zeit, weitere Richter zu bestätigen, unter ihnen Amy Coney Barrett.
Jenseits seiner Twitter-Wütereien, jenseits seiner Lügen und jenseits der subtilen Drohung, das Weiße Haus nicht freiwillig zu verlassen, hat Trump die Rechtsprechung in den USA in den knapp vier Jahren seiner Amtszeit ruhig, radikal und nachhaltig umgeformt. Am 1. Februar 2017, als eine seiner ersten Amtshandlungen, nominierte Trump Neil Gorsuch als Nachfolger des gestorbenen Richters am Supreme Court Antonin Scalia; später folgte Brett Kavanaugh.
Von den etwa 800 Bundesrichterstellen im ganzen Land sind inzwischen 218 von Trump ernannt. Zumeist sind es wie Amy Barrett oft junge, dynamisch-reaktionäre Bundesrichter. Sie sprechen Recht auf Lebenszeit – weit über Trumps Amtszeit hinaus. Das ist die eigentliche Tragik der konservativen Revolution der US-amerikanischen Rechtspolitik.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!