„Nius“ macht Radio: Neue rechte Welle
Julian Reichelt expandiert mit seinem Onlinemedium „Nius“ ins Radio. In mehreren Bundesländern sendet es bereits. Welche Gefahren birgt das?
Junge Afghanen würden sich ein Bündel packen, sich auf ihrem Weg durch Europa hier etwas zu essen und da ein neues Handy kaufen. Am Ende der Reise erwarte sie die „shiny city on the hill“, das deutsche Bürgergeld. Für Reichelt ist die Sozialleistung „nichts als eine Prämie für illegale Einreise“. Die zwei Kollegen zu seiner Rechten lachen immer wieder, nicken bestätigend. Dass Menschen, die sich unrechtmäßig in Deutschland aufhalten, kein Bürgergeld bekommen, wird nicht erwähnt.
Das zweistündige Onlineformat „Nius Live“, das von Montag bis Freitag gesendet wird, ist Teil von Reichelts rechtspopulistischem Onlinemedium. Julian Reichelt gründete „Nius“ im Juli 2023, nachdem er die Bild wegen Vorwürfen des Machtmissbrauchs verlassen musste. Seitdem wird unter dem Slogan „Stimme der Wahrheit“ gegen alles Stimmung gemacht, was ihnen zu links, grün, woke oder divers vorkommt. Finanziert wird die Plattform durch den CDU-nahen IT-Millionär Frank Gotthardt.
Bislang konnte man „Nius“ nur im Internet lesen, schauen und hören. Aber vergangenes Jahr beantragte Reichelt die Zulassung für ein bundesweites TV- und Radioprogramm. Im linearen Fernsehen passiert noch nichts, aber zurzeit arbeitet „Nius“ in mehreren Bundesländern daran, im Radio zu senden.
Im Saarland, in Niedersachsen und in Teilen Hamburgs ist „Nius“ seit Juli über Digitalradio (DAB+) zu empfangen. Für den Großraum Berlin ist der Sendestart für Anfang November geplant. Die taz hat von den Deutschen Landesmedienanstalten erfahren, dass sich „Nius“ nun auch in Thüringen für einen Sendeplatz beworben hat. Das heißt, man muss künftig nicht mehr online gezielt nach „Nius“ suchen, sondern kann unterwegs im Auto oder beim Radiohören in der Küche zufällig auf den Sender stoßen.
Normalisierung von Inhalten
„Radio trägt zur Normalisierung von Inhalten bei“, sagt Christian von Sikorski daraufhin. Er ist Professor an der Freien Universität Berlin und forscht zur Wirkung von Medien. Was im Rundfunk gesendet wird, unterliege einer Kontrolle. Wenn etwas also im Radio ausgestrahlt werde, legitimiere es den Inhalt, sagt von Sikorski.
Das Radio wurde schon von den Nationalsozialisten als Propagandainstrument missbraucht. Mit dem Volksempfänger, einem kleinen, von Joseph Goebbels entwickelten Radio, schickten sie ihre Botschaften direkt ins Wohnzimmer. Heute soll der Medienstaatsvertrag sichern, dass keine extremistischen oder verfassungsfeindlichen Inhalte gesendet werden.
Das „Nius Radio“ kann man bundesweit bereits im Onlinestream hören. Die Musik bewegt sich zwischen Udo Lindenberg und Maroon 5. Von sieben bis neun Uhr morgens senden mittelalte Männer in Anzügen live vom weißen Sofa und klingen dabei wie eine Dauerwerbesendung für die AfD.
Es geht vor allem darum, welche Gemeinheiten die AfD aushalten muss, welche Gefahr Migration angeblich bedeute, wie schwach die Ampelregierung sei. Es wird von grünen „Ökoextremisten“ gesprochen und von NGOs, die zu viele Steuergelder für Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Frauen tauchen meist nur auf, wenn sie zu Kindern und Familie, Literatur und Schwangerschaftsabbrüchen befragt werden.
Die journalistische Sorgfaltspflicht
Vergangenes Jahr prüfte die Medienanstalt Berlin-Brandenburg, ob Inhalte von „Nius“ die journalistische Sorgfaltspflicht verletzt hätten. Dabei habe es sich jedoch um Einzelfälle und keinen flächendeckenden Verstoß journalistischer Mindeststandards auf der Plattform gehandelt, teilte die Medienanstalt mit. Deshalb habe sie im September 2024 die Zulassung des Senders erteilt. Die Verweigerung oder Widerrufung einer Zulassung seien die medienrechtliche Ultima Ratio. Die Hürde hierfür liege wegen der Meinungs- und Rundfunkfreiheit sehr hoch.
Wissenschaftler Christian von Sikorski nennt neben der Strategie, rechte Inhalten über das Radio zu normalisieren, drei weitere Nutzen des Mediums. Ein Onlinemedium erreiche ältere, konservative Nutzer:innen tendenziell nicht. Das sei beim Radio, das Älteren vertrauter ist, anders. „Nius“ könnte so also mehr Menschen erreichen.
Zweitens, so von Sikorski, könne Radio als klassisches Medium Akteure aus der Mitte der Gesellschaft eher einbinden. Ein Unternehmer etwa, der mit einem alternativen Onlinemedium nicht geredet hätte, tut dies mit einem Radiosender womöglich eher. „Radio hat einen seriösen Anstrich“, sagt von Sikorski. Die Statements des Unternehmers könnten dann auch crossmedial genutzt werden, also auf Social Media oder der Onlineplattform ausgespielt werden. Wenn gewöhnliche Stimmen, wie die eines Unternehmers, Teil des Radioprogramms sind, finde wiederum eine Normalisierung der Inhalte statt.
Und drittens, ganz wichtig: „Mehrfachkontakte“, sagt der Medienforscher. Wenn man einen AfD-Politiker über das Bürgergeld schimpfen hört, einem die gleiche Botschaft von einer Influencerin auf Instagram begegnet und man als Nächstes die gleichen Ansichten im Radio hört, setze sich das fest. „Es geht also nicht nur darum, über ein neues Medium neue Zielgruppen zu erreichen, sondern die gleiche Botschaft auf unterschiedlichen Kanälen zu verbreiten, sodass sie sich verfestigt“, sagt Christian von Sikorski.
„Politische Kampagnen und Aktivismus“
Danica Bensmail, Bundesgeschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union, beobachtet die Zulassung von „Nius“ als Radiosender mit großer Sorge. „Das Geschäftsmodell der Onlineplattform basiert auf politischen Kampagnen und Aktivismus unter dem Deckmantel des Journalismus“, sagt Bensmail. Das jüngste Beispiel: Die Kampagne gegen die Verfassungsgerichtskandidatin Frauke Brosius-Gersdorf.
Bensmail verweist auf eine Auswertung des Thinktanks Polisphere, die zeigt, dass „Nius“ in dieser Kampagne eine zentrale Rolle spielte. Zur Erinnerung: Abtreibungsgegner:innen skandalisierten Aussagen über eine mögliche Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten zwölf Wochen in rechten Medien so weit, bis Brosius-Gersdorf ihre Kandidatur schließlich zurückzog.
Laut Polisphere war „Nius“ einer der stärksten Multiplikatoren der Kampagne, mehr als 20 Artikel wurden in nur zehn Tagen veröffentlicht. Also trug „Nius“ maßgeblich zur Verbreitung der diffamierenden Inhalte über die Juraprofessorin bei. Vor diesem Hintergrund fürchtet Danica Bensmail, dass „die unjournalistische Haltung und ressentimentgeladene Meinungsmache“ von „Nius“ nun über DAB+ vor einer potenziell größeren Hörerschaft verbreitet wird.
„Radio genießt in Deutschland ein hohes Maß an Vertrauen“, sagt Bensmail. „Nius“ könne dieses nutzen und sich als eindeutig rechtes Meinungsportal in das seriöse Gewand des Radios hüllen. „Wird das Vertrauen für ideologisch gefärbte Wutkampagnen genutzt, leidet die Glaubwürdigkeit der gesamten Branche.“ Die Medienanstalten seien nun gefordert, den Sender kritisch zu prüfen.
Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg teilte auf Anfrage mit, dass sie fortlaufend Beschwerden zu verschiedenen Inhalten von „Nius“ erhalte und diese genau prüfe. „Nius“ selbst antwortete auf die Anfrage der taz zur Programmgestaltung oder ob geplant ist, das Radio in ganz Deutschland zu senden, nicht.
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