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Neuwahlen in NordirlandNordirland darf noch einmal ran

Sechs Monate Boykott der Unionisten, sechs Monate keine Regierung in Nordirland. Jetzt gibt es Neuwahlen, aber die Probleme werden bleiben.

Nordirlandminister Chris Heaton-Harris bleibt auch unter Rishi Sunak im Amt Foto: Henry Nicholls/reuters

Dublin taz | Großbritannien hat mit Rishi Sunak einen neuen Premierminister, aber Chris Heaton-Harris bleibt als Nordirland-Minister im Amt. Er wird an diesem Freitag vorzeitige Neuwahlen für die britische Provinz ausrufen, weil sich das Belfaster Regionalparlament nicht, wie es das Gesetz vorschreibt, binnen sechs Monaten nach den Wahlen auf eine Regierung geeinigt hat. Die führende protestantisch-unionistische Partei, die Democratic Unionist Party (DUP), boykottiert die Regionalregierung.

Im Belfaster Abkommen vom Karfreitag 1998, das der britischen Provinz relativen Frieden beschert hat, ist festgelegt, dass die beiden stärksten Parteien auf protestantisch-unio­nistischer und katholisch-republikanischer Seite gemeinsam regieren müssen. Bei den Wahlen im Mai war Sinn Féin erstmals stärkste Kraft geworden, aber ohne die DUP kann sie nicht regieren.

Grund für den Boykott ist das Nordirland-Protokoll, das Bestandteil des Brexit-Vertrags ist und von der britischen Regierung sowie der Europäischen Union ausgehandelt wurde. Es regelt, dass Nordirland, das als einziger Teil des Vereinigten Königreichs eine Landgrenze mit der EU hat, faktisch Teil des EU-Binnenmarkts bleibt und sich den EU-Zollregeln unterwerfen muss. Dadurch ist eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland vermieden worden.

Stattdessen gibt es aber eine Zollgrenze in der Irischen See zwischen Nordirland und Großbritannien, damit britische Waren nicht unkontrolliert nach Nordirland und von dort in die EU gelangen können. Die Unionisten monieren, dass Nordirland dadurch anders behandelt werde als der Rest des Vereinigten Königreichs. DUP-Chef Jeffrey Donaldson sagte, solange das Nordirland-Protokoll bestehe, werde seine Partei der Regierung fernbleiben.

Erstmals leben in Nordirland mehr Katholiken

Dabei eilt die Sache eigentlich. Die Entlastungsgelder für die Energiekosten müssen verteilt werden, und dafür ist eine funktionierende Exekutive notwendig. Die Sache ist ohnehin kompliziert genug, weil der Strommarkt zum Teil gesamtirisch organisiert ist. So hat die südirische EirGrid Teile dieses Marktes übernommen, erkennt aber die nordirische Aufsichtsbehörde nicht an.

Dass Sinn Féin im Mai stärkste Partei geworden ist, ist für die Unionisten traumatisch genug, aber darüber hinaus hat die Volkszählung Ende vorigen Monats ergeben, dass zum ersten Mal mehr Katholiken als Protestanten in Nordirland leben. Die künstliche innerirische Grenze war vor 100 Jahren so gezogen worden, dass Protestanten eine komfortable Zweidrittelmehrheit hatten.

Rishi Sunak ist der fünfte britische Premierminister seit dem Brexit-Referendum 2016. Er sagte, dass seine Vorgängerregierung ein Gesetz eingebracht habe, das das Problem mit dem Nordirland-Protokoll lösen werde. Durch dieses Gesetz würden Teile des Protokolls ausgehebelt. Doch so einfach ist es nicht. Zwar ist das Gesetz vom Unterhaus bereits verabschiedet worden, aber das Oberhaus könnte der Regierung einen Strich durch die Rechnung machen.

Und würde Sunak aber wirklich ein internationales Abkommen brechen und einen Handelskrieg mit der EU riskieren? In Dubliner Regierungskreisen ist man optimistisch. Er werde pragmatisch sein, sagte ein Regierungsbeamter, fügte jedoch hinzu: „Aber bei den Briten muss man immer Angst vor der internen Politik haben.“

Als Termin für die Wahlen ist der 15. Dezember vorgesehen. Heaton-Harris sagte, es sei richtig, dass die Wählerinnen und Wähler ein Mitspracherecht haben. Es ist aber unwahrscheinlich, dass sie etwas anderes als beim letzten Mal sagen, so dass sich an der Konstellation in Nordirland nichts ändern wird. Man muss sich wohl darauf einstellen, dass die für den 25. Jahrestag des Belfaster Abkommens im April geplanten Feierlichkeiten eine eher bedrückende Angelegenheit sein werden.

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