Neuwahlen drohen zu platzen: Thüringen im Dilemma
Im Herbst soll in Thüringen ein neuer Landtag gewählt werden. Doch die CDU droht weiter, das Vorhaben zu blockieren. Abhilfe ist nicht in Sicht.
Im Herbst soll in dem Freistaat ein neues Parlament gewählt werden, zeitgleich mit der Bundestagswahl – zumindest, wenn es nach der Landesregierung aus Linken, SPD und Grünen geht. Die CDU beteuert zwar, mit an Bord zu sein, scheint jedoch nicht die nötigen Stimmen zusammen zu kriegen, um das Vorhaben durchzusetzen.
18 Stimmen muss die Union liefern, um zusammen mit Linkspartei, SPD und Grünen eine Zweidrittelmehrheit im Landtag für dessen Auflösung zu beschaffen. Diese ist Vorbedingung für die Neuwahlen. Doch vier CDU-Abgeordnete sträuben sich, ohne sie kommt die CDU nur auf 17 Stimmen.
Kurzfristig schien es so, als ob eine abtrünnige FDP-Frau die fehlende Stimme liefern könnte. Die Noch-FDP-Abgeordnete Ute Bergner will aus ihrer Partei austreten und wäre bereit, für die Auflösung zu votieren. Allerdings hat sie mit den „Bürgern für Thüringen“ eine neue Partei gegründet, die im „Querdenker“-Milieu angesiedelt ist. Gemeinsam mit einer Querdenkerin abstimmen – kaum denkbar für die Fraktionen von Linken, SPD und Grünen. So geht die Hängepartie weiter.
Ursprünglich drängte die CDU auf Neuwahlen
Das zähe Ringen um die Neuwahl ist eine Spätfolge des Kemmerich-Debakels: Es war der Februar 2020, als sich die CDU zähneknirschend auf einen „Stabilitätspakt“ mit rot-rot-grün einlassen musste. Zuvor war der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen der AfD kurzzeitig zum Ministerpräsidenten gewählt worden und Thüringen dadurch in eine handfeste Regierungskrise gestürzt. Kemmerich musste auf bundespolitischen Druck zurücktreten.
Die sogar von der damaligen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer geforderten Neuwahlen lehnte die Landes-CDU jedoch ab. Mutmaßlich aus wahltaktischen Gründen – zu diesem Zeitpunkt kam die Union in Umfragen nur noch auf zwölf Prozent und hätte knapp die Hälfte ihrer Mandate verlieren können.
Also einigten sich die Parteien darauf, dass die CDU die Minderheitsregierung von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) bis zu den Neuwahlen stützt, um Mehrheiten im Parlament bilden zu können. Der Landtag sollte fristgerecht nach dem Haushaltsbeschluss im Dezember 2020 aufgelöst werden sollte, um so den Weg für Neuwahlen im April 2021 freizumachen.
Dann jedoch wurde klar: Die Pandemie erlaubt den Gang zur Wahlurne nicht. Damals war es die CDU, die die Wahl trotz Pandemie durchziehen wollte. Dennoch beschlossen die Vorsitzenden und Parteichefs der Linken, SPD, Grünen und CDU im Januar, die Wahlen auf September zu verschieben.
Das Vertrauen ist weg
Nun steht jedoch auch dieser Wahltermin in Frage. Am 19. Juli soll über die geplante Auflösung des Parlaments abgestimmt werden. Nur das jetzt eben unklar ist, ob und wie die dafür nötige Mehrheit eigentlich zustande kommen soll: Die Sache mit der einen Stimme, die fehlt.
Über die Gründe der vier Blockierer in der CDU lässt sich nur mutmaßen. Drei von ihnen sind schon etwas älter, würden vermutlich bei der kommenden Wahl nicht mehr antreten. Neuwahlen könnten also kurz vor der Rente ihren Job gefährden.
Die politische Lage in Thüringen ist außerdem alles andere als eindeutig. Laut einer Insa-Umfrage vom 17. Juni würden Linke, SPD und Grüne derzeit bei Wahlen keine Mehrheit im Parlament erreichen. Zusammen kommen sie in der Umfrage auf 41 Prozent der Stimmen. Die CDU bekäme demnach 22 Prozent der Stimmen, die AfD 23 Prozent und die FDP 7 Prozent. Rot-rot-grün würde auch laut einer Infratest-Umfrage vom März keine Mehrheit erreichen.
Die CDU beteuerte vergangene Woche, dass bei der entscheidenden Abstimmung am 19. Juli die notwendigen Stimmen aus der Unionsfraktion kommen würden. Doch die Regierungsparteien sind skeptisch. „Das Problem ist das fehlende Vertrauen in die CDU“, sagt Steffen Dittes, der stellvertretende Landesvorsitzende der Linkspartei. Seit der Kemmerich-Wahl sei das Vertrauen erschüttert.
Keine Einsicht bei der CDU
Dittes sagt, die CDU könne ihre Glaubwürdigkeit „mit einem Federstrich belegen“ und ein öffentliches Signal setzen, wenn sie mindestens 18 Unterschriften für den Antrag auf Auflösung des Landtags liefern würde. Dieser ist nötig, damit dann über die Auflösung abgestimmt werden kann. Dittes sagt, das aktuelle Verhalten der Union spiele der AfD in die Hände.
Im schlimmsten Falle würden die Rechtsextremen nämlich die bei der Abstimmung fehlende Stimme liefern, wenn die CDU es nicht kann. „Wir werden den Thüringer Landtag nicht auf einen Tabubruch 2.0 zulaufen lassen“, so Dittes. Er forderte von der CDU ein öffentliches Bekenntnis zur Abstimmung.
CDU-Fraktionsvorsitzender Mario Voigt hingegen verdeutlicht, dass man sich von rot-rot-grün nicht vor den Karren spannen lassen will. Er kommentierte vergangene Woche mit Blick auf den Antrag zur Auflösung, es gehe nicht um eine „Unterschriftensammlung im Hinterzimmer, sondern eine souveräne Entscheidung des Parlaments“. Thüringen brauche Neuwahlen – entsprechende Mehrheiten dafür gebe es.
„Ein vorgeschobenes Argument“, nennt dies der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD). Er sieht angesichts der Hängepartie die Verantwortung bei der CDU. Die Aussage Voigts sei eine „Ausrede“, weil er nicht genug Stimmen aus seiner Partei liefern könne. Maier sagt, die CDU sei in Thüringen derzeit „ein unsicherer Kantonist“ und „schwieriger Partner“ und verweist auf die Aufsstellung des Afd-nahen Hans-Georg-Maaßen als Spitzenkandidat für den Wahlkreis Südthüringen.
Eigentlich könnte die fehlende Stimme auch noch von der Partei kommen, die mehr oder weniger direkt einen Großteil der Verantwortung für die ganze Misere trägt: der FDP. Sowohl SPD-Innenminister Maier als auch die Linken-Bundesvorsitzende Susanne Henning-Wellsow sehen auch in den Liberalen mögliche Partner für die Abstimmung. Doch daraus dürfte wohl nichts werden, die Liberalen fühlen sich in ihrer Oppositionsrolle wohl.
Das Hin und Her zeigt, wie zerrüttet der Thüringer Landtag fast eineinhalb Jahre nach der Regierungskrise noch immer ist. Noch in dieser Woche sollen weitere Gespräche zwischen rot-rot-grün und der Union laufen. Bis zum 7. Juli haben die Fraktionen noch Zeit, sich zu einigen, dann läuft die Frist für den Auflösungsantrag aus.
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