Neuseelands Premierministerin: Die Kommunikatorin
Jacinda Ardern ist die möglicherweise effektivste Führungskraft auf dem Planeten, sagen Kritiker. Nicht mal ein Erdbeben könne sie erschüttern.
Zwei Sätze später verdonnert sie die Nation zu einigen der frühesten und härtesten Anti-Corona-Maßnahmen auf dem Planeten. Jacinda Ardern schließt Neuseeland ab und legt den Schlüssel weg. Geschlossene Grenzen, Ausgangssperre. Mit Erfolg. Vor zwei Wochen meldet sie, das Land habe die Pandemie im Griff. Die Türen gehen wieder auf.
Eine Frau im Schmuddelpulli, die Windeln wechselt, dann mit Donald Trump über Wirtschaftsbeziehungen verhandelt und sogar diesen Chauvinisten einwickeln kann. Eine amerikanische Zeitschrift beschrieb die 39-jährige Politikerin jüngst als „möglicherweise effektivste Führungskraft auf dem Planeten“.
Managementschulen befassen sich mit dem Phänomen. Und Tausende junge Frauen rund um den Globus sehen in Jacinda Ardern die Zukunft – ihre eigene. Als Mitglieder einer neuen Generation von Führungskräften, für die Empathie so wichtig ist wie Entschlusskraft und Durchsetzungswillen.
Arbeit für Tony Blair
Jacinda Ardens Kommunikationsstil ist das Gegenteil von dem von Donald Trump: Hoffnung statt Angst, vereinigen statt trennen, Mitgefühl statt Ablehnung. Vor allem ist die junge Frau „echt“. Für Helen Clark, Neuseelands Premierministerin zwischen 1999 und 2008, ist es das, was Ardern so beliebt macht. „Sie predigt nicht zu den Leuten, sondern sie steht bei ihnen.“
Als junge Frau war Ardern Teil des Forschungsteams von Clarks Arbeiterpartei. Nach einer Zeit als Freiwillige in einer Suppenküche in New York ging sie nach London und arbeitete für den damaligen britischen Premierminister Tony Blair.
Ardern hat einen Abschluss in Politik und Kommunikation; wer aber nach PR-Beratern und Image-Experten forscht, sucht vergebens. Auch ihre Herkunft ist bodenständig. Sie stammt nicht aus einer Politikerdynastie, sondern aus einer Mormonenfamilie. Ihr Vater ist Polizist, ihre Mutter Assistentin bei einem Verpflegungsdienstleister.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
2017 kam Ardern fast per Zufall an die Macht, nachdem klar geworden war, dass Labour unter ihrem uncharismatischen Chef Andrew Little weitere drei Jahre in Opposition zur Regierung der konservativen Nationalpartei verbringen würde.
Die junge Ardern versprach einen Wahlkampf von „schonungsloser Positivität“. Mit Erfolg: Wochen später fand sie sich in zähen, aber schließlich erfolgreichen Koalitionsverhandlungen mit der nationalistischen Partei New Zealand First und den Grünen. Zum Erstaunen vieler hat die Zweckehe bis heute gehalten.
15. März 2019: Attentat in zwei Moscheen in der neuseeländischen Stadt Christchurch. Ein australischer Rassist erschießt 51 Muslime beim Beten – ein Blutbad von historischem Ausmaß für das sonst friedliche Land. Zum ersten Mal wird Jacinda Ardern wirklich der Weltöffentlichkeit bekannt. Als Frau im Hidschab.
Statt mit harten Worten scharfes Vorgehen zu markieren, geht sie mit muslimischem Tuch auf dem Kopf zum Tatort und umarmt die Angehörigen der Opfer. Muslime seien nicht einfach eine andere Bevölkerungsgruppe, die in Neuseeland lebt, macht sie klar: „Sie sind wir.“ Ihre Trauerreden sind Botschaften der Versöhnung.
„Sie geht nicht mit Fehlinformationen hausieren. Sie gibt keine Schuldzuweisungen, sie versucht, die Erwartungen aller gleichzeitig zu erfüllen und beruhigt“, zitiert die US-Zeitschrift The Atlantic Van Jackson, Experte für internationale Beziehungen in Wellington und ehemaliger Beamter des Verteidigungsministeriums. „Bei keiner Gelegenheit hat Jacinda jemals einen Journalisten, der eine Frage gestellt hat, ins Schleudern gebracht und angegriffen“, meint auch Helen Clark. Eine Kommunikatorin. Eine rundum nette Frau also?
Sie bleibt bei ihren Prinzipien
Kritiker und politische Gegner machten zumindest nicht lange den Fehler, Arderns Kommunikationsstil als Zeichen von Schwäche zu interpretieren. Als sie vor einigen Tagen mitten in einem Fernsehinterview im Parlamentsgebäude von einem Erdbeben unterbrochen wurde, reagierte sie gelassen: „Es schüttelt ziemlich hier. Das Parlament bewegt sich etwas mehr als anderswo.“
Die Unnachgiebigkeit, mit der Ardern die Anti-Corona-Maßnahmen umsetzte, ist nur das jüngste Beispiel für ihr Durchsetzungsvermögen. Kurz nach den Wahlen hatte sie bereits klar gemacht: „Die neuseeländische Wirtschaft muss wieder Neuseeländern dienen.“
Das ist ihre Antwort auf Jahre unter einer von neoliberaler Ideologie getriebenen konservativen Regierung. Sie kippte deren Pläne für eine Steuersenkung. Priorität hätten jetzt Gesundheitsversorgung und Ausbildung. Kaufstopps für Ausländer im überhitzten Immobilienmarkt sollen den drastischen Wohnraummangel lindern.
Mit einem höheren Grundlohn und einem Unterstützungspaket für Familien will ihre Regierung die Armut reduzieren. Nach der Attacke in Christchurch setzte Ardern in Rekordzeit ein Verbot halbautomatischer Gewehre durch. Gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron verurteilte sie die Betreiber sozialer Medienplattformen wegen der Übertragungen von Terrorangriffen im Netz.
Doch vor allem ihr Ziel, dem zerstörerischen Umgang mit der Natur durch die mächtige Landwirtschafts- und Milchindustrie ein Ende zu setzen, bringt alteingesessene Interessen und Privilegien ins Wanken.
Jacinda Ardern
Doch Ardern bleibt bei ihren Prinzipien. Im vergangenen Jahr veröffentlichte sie den ersten Haushaltsplan der westlichen Welt, der das Wohlbefinden der Bevölkerung als oberstes Ziel hat, nicht primär wirtschaftliches Wachstum.
Nett sein und gleichzeitig hart durchgreifen kommt bei den Wählern an. Neueste Umfragen zeigen, dass Jacinda Ardern nach der Coronakrise wieder ganz oben steht – vielleicht unschlagbar bei den Wahlen im kommenden September. Nicht, dass sie zerbrechen würde, wenn sie den Job verlöre. „Wir sind alle ersetzbar“, meinte die Politikerin jüngst. Sie hätte dann mehr Zeit für ihre Tochter und ihren Partner Clarke Gayford. Im Moment wechselt meistens er die Windeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation