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Neues aus dem Universum der SängerinTaylor Swifts Marketing-Strategie ist QAnon für Harmlose

Am 12. ­August um 0.12 Uhr hat Pop-Überpersona Taylor Swift ihr 12. Album angekündigt. Das hat mir die Woche versüßt – und mich fast um den Verstand gebracht.

Albumcover zeigt „The Life of a Showgirl“ von Taylor Swift Foto: Uncredited/Republic Records/AP/dpa

E s ist Dienstagmittag, ich habe eine lange Liste Lohnarbeit zu verrichten, doch stattdessen sitze ich hier und starre auf Abbildungen der Freiheitsstatue im Wandel der Zeit. Seit 1886 steht sie da, auf ihrem Podest, diese Ikone, beäugt von allen Seiten. Wussten Sie, dass die Statue ursprünglich mal rötlich-braun war? Die Kupferplatten, aus denen sie besteht, entwickelten erst über die Jahre ihr grünliches Äußeres, Oxidation heißt der Prozess.

So verlor sie ihren Glanz, heute ist sie matt. Hat Patina angesetzt. Chemie, voll spannend eigentlich, denke ich. Dann macht es Klick, mein Gehirn schüttet Endorphine aus. Denn wer steht gefühlt seit 1886 im Rampenlicht? Hat gerade ein neues Album angekündigt mit dem ­Titel „The Life of a Showgirl“?? Von dessen Cover wir bisher nur die Farben kennen???

Und zwar, und jetzt halten Sie sich fest, Kupfer und Grün???? Ein Album also, über ein Leben, ein Aufwachsen unter den Augen der Öffentlichkeit und der unweigerlichen Folge davon, nämlich, dass man sich eine Schutzschicht zulegt auf Kosten des kupferfarbenen Glanzes, der Unbedarftheit, die einen mal ausgemacht hat?????

Wären diese letzten Zeilen nicht von mir, sondern von Taylor Swift, ich würde die Frage­zeichen zählen und ihre Quersumme ausrechnen, den Betrag mit 13 multiplizieren und daraus ein Datum zusammenbauen, eine Uhrzeit oder ein kartesisches Koordinatensystem.

Taylor Swift hat aus ihren Fans eine Ansammlung von Menschen gemacht, die in verschwörungsideologischen Bewegungen wie Q’Anon direkt in die Führungsriege aufsteigen würden. Stattdessen tummeln sie sich aber nur in einer besonders aufgekratzten Ecke des Internets, wo es bunt ist und shiny und harmlos.

Es ist nerdy, es ist peinlich

Dieser Ort, er ist für mich die schönste Form des Eskapismus. Und diese Woche, meine Damen und Herren, da war vielleicht was los. Und das erzähl ich Ihnen jetzt. Ob Sie es hören wollen oder nicht.

Die Theorie mit dem oxidierenden Kupfer, die die Farben des Albumcovers erklären könnte, verbreitete sich, nur wenige Stunden nachdem Swift um 0.12 Uhr am 12. ­August ihr 12. Studioalbum ankündigte. Schon tags zuvor hatte es im Swift’schen „­cinematic ­universe“ zu brodeln begonnen, denn da hatte sie 12 verschiedene Bilder in orangenen ­Outfits gepostet.

Dass ihr 12. Studio­album mal die Farbe Orange tragen würde, ­darauf gibt es Hinweise in einem acht Jahre alten Musikvideo. Der 12. August ist insofern bedeutend, als an diesem Tag vor 12 Jahren Lady Gagas Song „Applause“ erschien. Der wiederum lief jedes Mal, kurz bevor eines ihrer Konzerte auf der Eras Tour begann. Mit dem Ende des Songs erschien über der Bühne eine Uhr, die von 2 Minuten 24 runterzählte.

Und jetzt raten Sie mal, der wievielte Tag im Jahr der 12. August ist. Ganz genau, der 224.! Vor genau einem Jahr trug Swift auf den Straßen New Yorks ein orange-grün kariertes Outfit. Selbstverständlich fragen Sie sich nun, wann der Tag des karierten Musters ist. Richtig, am 3. ­Oktober. Und wann ist der gottverdammte Erscheinungstag von „The Life of a Showgirl“? AM 3. OKTOBER!!!!!

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Das wiederum verriet Swift im Football-­Podcast ihres Partners Travis Kelce, wo sie außerdem das Albumcover enthüllte und ­zugab, dass Numerologie eines ihrer größten Hobbys sei. Und dass sie es liebe, aus Musik ein Event zu machen, Rätseleien inklusive. Das Swift-Fandom ist gemacht für Menschen, die immer nur Cluedo spielen wollten und Gedichtanalysen geil fanden.

Es ist nerdy, es ist peinlich, und es hat Swift zum erfolgreichsten Popstar aller Zeiten gemacht. Swifties fühlen sich von ihrer Kunst einbezogen, herausgefordert. Halten sich für unersetzlich, um das, was sie tut, mit Sinn zu füllen. Natürlich steckt dahinter eine über Jahre ersonnene Marketingstrategie. Mit seiner Zeit kann man trotzdem wirklich Schlimmeres anstellen.

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Leonie Gubela
Redakteurin wochentaz
Jahrgang 1992, Politik- und Anglistikstudium in Bonn, danach Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Seit 2018 bei der taz.
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