Neues Werk in Wolfsburg: Wie VW Tesla spielen will

Volkswagen verkündet, ein zweites Werk bauen zu wollen. Nun rätselt man, was das für den Konflikt zwischen Konzernchef und Betriebsrat heißt.

Luftaufnahme des VW-Werkes in Wolfsburg mit den charakteristischen Türmen des Heizkraftwerkes und der Autostadt im Hintergrund

Das Stammwerk in Wolfsburg gehört zu den größten Fabrikanlagen der Welt Foto: J. Stratenschulte/dpa

HANNOVER taz | Auf der grünen Wiese statt Grünheide: Am Dienstagabend machte Markenchef Ralf Brandstätter öffentlich, dass VW darüber nachdenkt, eine komplett neue Fabrik für die neue Elektroautolinie „Trinity“ zu bauen – in der Nähe des Stammwerks in Wolfsburg. Von mehreren potenziellen Standorten in der Region ist die Rede und von mehreren Hundert Millionen Euro, die das kosten könnte.

Seit dem vergangenen Jahr habe man verschiedene Szenarien durchgespielt, sagte Brandstätter in einem Pressegespräch. Auch ein Umbau des Stammwerkes sei in Erwägung gezogen worden. Entscheiden muss letztlich der Aufsichtsrat, der seine Planungsrunde gerade noch einmal um einen Monat nach hinten geschoben hat – auf den 9. Dezember.

Im Stammwerk in Wolfsburg hatte es in letzter Zeit mächtig gebrodelt: Corona und der Chipmangel sorgten für Kurzarbeitsphasen in Rekordlänge, gleichzeitig bricht die Auftragslage bei den hier noch gefertigten Verbrennermodellen schneller ein als gedacht.

Im vergangenen Jahr wurden in Wolfsburg so wenige Fahrzeuge gefertigt wie zuletzt Ende der 50er-Jahre. Und das, obwohl der Betriebsrat dem Konzernchef doch erst so mühselig Zusagen aus den Rippen geleiert hatte, den Standort besser auszulasten.

Konzernchef Herbert Diess mosert immer wieder gern an der mangelnden Effektivität und allgemeinen Behäbigkeit des Stammwerkes und der Verwaltung herum. Zuletzt erschreckte er die Mitarbeiterschaft im Oktober mit der Ansage, beim fälligen Umbau des Konzerns würden 30.000 Stellen überflüssig.

Alle Zielmargen orientieren sich an Tesla

Eine Kampfansage an die Adresse der neuen Betriebsratschefin Daniela Cavallo, die erst im Mai die Nachfolge des übermächtigen Bernd Osterloh angetreten hatte. Sie wies diese Attacke öffentlich scharf zurück, der Aufsichtsrat rügte Diess, der ruderte zurück. Es habe ja gar keine konkreten Pläne für den Personalabbau gegeben, aber man müsse doch darüber reden, wie sich der Konzern zukunftsfähig aufstellen könne.

Der angestrebte Neubau würde ihm zumindest in einer Hinsicht wohl entgegenkommen. Er könnte dann ganz auf die Produktionserfordernisse der neuen Elektroautogeneration abgestimmt werden – ganz wie bei Diess’ erklärtem Vorbild Elon Musk mit seiner Giga-­Factory im brandenburgischen Grünheide.

Auch die Zielmarge, die sein Markenchef Brandstätter am Dienstag ausgegeben hat, orientiert sich an Tesla: In zehn Stunden soll ein Trinity fertiggebaut sein. Bisher brauchen VW-Monteure in Zwickau mehr als doppelt so viel Zeit für eines der aktuellen Elektromodelle der ID-Reihe. Für ein Auto mit Verbrennungsmotor werden mindestens dreimal so viele Stunden gebraucht – und damit bedeutend mehr Leute beschäftigt.

Das gehört zu den Dingen, die in Wolfsburg das mulmige Gefühl erzeugen, bei der Transformation des Konzerns irgendwie hinten runter zu fallen. Hier werden bisher in vier Produktionslinien ausschließlich Verbrenner wie der Golf produziert, während anderswo Werke umgerüstet werden. In Zwickau werden nur noch E-Autos produziert, in Emden wird das alte Passat-Werk umgerüstet, in Salzgitter soll eine neue Batteriezellfabrik das alte Motorenwerk ersetzen – und in Wolfsburg?

Manche fürchten Trinity kommt zu spät

In Wolfsburg heißt es warten. Denn das Prestigeprojekt Trinity wird nicht vor 2026 an den Start gehen. Immerhin geht es hier nicht bloß um einen neuen Antrieb, sondern das gesamte Paket: verschiedene Modelle, VW-eigene Software, autonomes Fahren – bessere und vor allem massentauglichere Teslas in verschiedenen Preisklassen eben.

Das Versprechen, das mit der neuen Fabrik verbunden ist, ist für die Belegschaft daher nur so halb tröstlich. Zwar versicherte Brandstätter, auch in diesem Betrieb werde der Haustarif gelten. Betriebsratschefin Daniela Cavallo lobt die Pläne dann auch als „mutig“ und „wegweisend“ – hat aber auch schon vor geraumer Zeit gefordert, im Stammwerk eines der bestehenden Elektromodelle zu bauen.

Bis 2029 gibt es eine Beschäftigungsgarantie, überhaupt soll der Umbau möglichst ­sozial vonstatten gehen: Der Konzern setzt einmal mehr auf umfangreiche Frühverrentungs- und Altersteilzeitprogramme. Doch davon abgesehen steht immer noch in den Sternen, ob die große Mitarbeiterverschiebung tatsächlich so klappt wie man sich das vorstellt, immerhin werden auch andere Qualifikationen und Fertigkeiten gebraucht.

Das neue Wolfsburger Werk soll das alte aber auch nicht ersetzen. Wenn die neue ­Fabrik steht, sollen auch die Produktionslinien im Stammwerk nach und nach umgerüstet werden, heißt es aus dem Vorstand. Man würde sich mit dem Neubau aber die ganz große Operation am offenen Herzen sparen.

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