Neues Psychiatriegesetz in Bayern: Total irre?
Bayern will künftig besser vor psychisch Kranken schützen – denn die könnten gewalttätig sein. Experten warnen vor noch mehr Stigmatisierung.
Dennoch liegt auf den Einweisungen das Hauptaugenmerk des Gesetzentwurfs: 41 Artikel enthält er. In den ersten vier geht es um die „Stärkung der psychiatrischen Versorgung“, die übrigen 37 behandeln die „öffentlich-rechtliche Unterbringung“. Von der sofortigen vorläufigen Unterbringung durch die Polizei über das Besuchsrecht bis hin zur Fixierung und Überwachung von Patienten ist hier alles fein säuberlich geregelt. Den Kranken bietet das neue Gesetz seinen Macherinnen zufolge mehr Rechtssicherheit und Transparenz.
Bei den Fachdiensten ruft die Gesetzesnovelle wenig Lob hervor. „Was die Staatsregierung vorhat, hat den Namen Hilfegesetz nicht mehr verdient, sondern es ist ein Stigmatisierungsgesetz“, zitieren die Nürnberger Nachrichten etwa Elke Ernstberger, die Leiterin der Dienste für psychisch Kranke bei der Nürnberger Stadtmission. Betroffene würden in dem Gesetz vor allem als Gefahr für die öffentliche Sicherheit betrachtet, psychiatrische Einrichtungen zum „Angstort“.
Brigitte Richter von der Selbsthilfeorganisation Pandora springt ihr bei: „Hier wird die Unterbringung behandelt wie der Maßregelvollzug in Haftanstalten.“ Die befürchtete Folge: Psychisch Kranke würden ihre Probleme aus Angst vor Stigmatisierung und vor einer Unterbringung noch länger für sich behalten. Das Vorurteil, psychisch kranke Menschen seien eine Gefahr für die Allgemeinheit, werde befördert. Dabei neigten die allermeisten von ihnen allenfalls zur Selbstgefährdung.
Vor allem die Schaffung einer zentralen Unterbringungsdatei stieß auf Entsetzen bei den Experten: Wer künftig in einer Krisensituation in eine psychiatrische Klinik kommt, selbst wenn es nur für wenige Tage ist, werde erfasst. Die Behörden hätten dann fünf Jahre lang Zugang zu diesen Daten.
Nächste Woche sollen im Gesundheitsausschuss des Landtags Experten gehört werden. Die Hilfsdienste fürchten, dass die CSU das Gesetz noch vor den Landtagswahlen im Oktober durchpeitschen will. Für die kommenden Tage ist daher in München eine Protestkundgebung geplant.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen
Das hat Erpresserpotenzial
Friedenspreis für Anne Applebaum
Für den Frieden, aber nicht bedingungslos
BSW in Sachsen und Thüringen
Wagenknecht grätscht Landesverbänden rein
Rückkehr zur Atomkraft
Italien will erstes AKW seit 40 Jahren bauen
Klimaschädliche Dienstwagen
Andersrum umverteilen
Tech-Investor Peter Thiel
Der Auszug der Milliardäre aus der Verantwortung