Neues Pet Shop Boys-Album „Hotspot“: Tiefgründig ist nicht nur der Bass

Sie sind Superheroes und Superqueeros. Das britische Popduo Pet Shop Boys kehrt mit seinem teils in Berlin entstandenen Album „Hotspot“ zurück.

Die Pet Shop Boys haben trotz ihres queeren Images stets nur ungern übers Schwulsein gesprochen Foto: Phil Fisk

Das britische Popduo Pet Shop Boys war immer schon spitze darin, seine Songs als Autoscootermucke zu tarnen – aber ordentlich Sozialkritik zwischen die Strompedale ihres Autoscooters zu packen. So könnte sich auch „Dreamland“ auf dem neuen Album „Hotspot“ schlicht auf den gleichnamigen Vergnügungspark in England beziehen. Doch dann hört man, dass dieses Dream­land ein erträumtes Land sei, ein Utopia, das jeden von außen willkommen heiße.

Willkommen, um zu bleiben. Ein Visum brauche man dort nicht, singt Pet-Shop-Boy Neil Tennant, 65, übrigens im sehr beglückendem Duett mit dem soulig intervenierenden Olly Alexander, 29, dem schwulen Sänger der Synthpopband namens Years & Years, die 2018 mit „Palo Santo“ ein tolles Super­queerohymnen-Album vorgelegt hat. Kein Visum also.

Es klingt (inhaltlich, nicht melodisch) wie ein nach Dur transformiertes Update des paradoxerweise auch in Fußballstadien beliebten Pet-Shop-Boys-Überhits „Go West“ von 1993. Er war ja seinerseits schon ein Cover des 1979er Originals der US-Discotroubadoure Village People.

Hört man heute „Go West“ wieder, schleicht sich auch da eine neue Lesart ein, die sich kaum mehr ausblenden lässt: Diese Menschen, die darin nach Westen ziehen, um Frieden zu finden – aus welchen Gründen fliehen die denn eigentlich? Vor welcher Art Gewalt? Wer da nicht ganz auf dem Empathie­schlauch sitzt, könnte auf die Idee kommen, dass etwa Queers und andere Geflüchtete einen gemeinsamen Nenner haben; und stärker zusammenhalten sollten gegen die Feind*innen der offenen Gesellschaft – damit das Dreamland nicht zum Albtraumland kollabiert.

Pet Shop Boys: „Hotspot“ (x2Records/Kobalt); Tour im Mai

Wir tanzen in einer politischen Welt. Jan-Niklas Jäger hat es in seinem faktenbasierten Popsachbuch „Factually“ über die Pet Shop Boys (2019 bei Ventil erschienen) herausgearbeitet, dass man die politischen Dimensionen des Duos bloß nie unterschätzen sollte. Dass Tiefgründigste bei ihnen ist nämlich nicht der Bass. Obwohl auch nichts dagegenspricht, mit ihnen tatsächlich zu tanzen oder Autoscooter zu fahren, Energie genug bringen sie ja.

Tagespolitisch positioniert

Doch von ihren frühen Smashhits „West End Girls“ (1985) und „Suburbia“ (1986) an tauchte oft Sozialkritik in den Liedern der Tierhandlungsjungens auf. Ja, Lieder muss man schon sagen, denn das sind nicht einfach Tracks zur Beschallung der Tanzfläche. Es lohnt sich, genau hinzuhören. Mit ihrer 2019er EP „Agenda“ hatten sich die Pet Shop Boys sogar derart tagespolitisch positioniert, dass die taz sie gar zu Sozialdemokraten erklärte.

So weit treiben die Pet Shop Boys es diesmal nicht, das Album ist erklärtermaßen ein Berlin-Werk. Aber auch da steckt natürlich politische Musik drin, mit einem Pop-Vocal-House-Sound, der diesmal etwas verwaschener klingt als das puristisch Saubere, das die Pet Shop Boys auf vielen Alben zelebriert haben. Sogar Gitarren lässt Keyboarder Chris Lowe mal ran. „Wedding in Berlin“ heißt das Finale des Albums, das die Pet Shop Boys in Gänze in Berlin aufgenommen haben, in den Hansa Studios wie seinerzeit schon David Bowie.

Geht’s bloß um den Berliner Stadtteil namens Wedding? Aber nicht doch! Es geht wirklich ums Heiraten. Sogar einen Hochzeitsmarsch haben die Pet Shop Boys als Marzipan­melodiefigur obendrauf garniert: zum Glück nicht den von Richard Wagner, sondern den des jüdischen Komponisten ­Felix Mendelssohn Bartholdy, den Wagner seinerseits in seinem antisemitischen ­Pam­phlet „Das ­Juden­thum in der Musik“ beschimpft hatte. Dem gehen die Pet Shop Boys natürlich nicht auf den Leim. Und der Text? „We’re getting married / Because the time feels right / We’re doing it with­out delay / We’re getting married / A lot of people do it / No matter if they’re straight or gay.“

Vollwertige Ehe für alle

Die Pet Shop Boys haben ja trotz ihres queeren Images nur ungern übers Schwulsein gesprochen. Aber hier klingt sie an, die sogenannte Homo-Ehe, die man besser gar nicht mehr so nennen sollte, da es ja nun eine vollwertige Ehe für alle gibt, sogar in Deutschland.

Wobei der Song der Pet Shop Boys in der letzten halben Minute mindestens so noisy und so blurry ausgleitet, wie auch das „Hotspot“-Cover schon aussieht: nicht freudigfarben, wie es typisch für die Boys wäre, sondern diffus unheimlich. Ob da schon anklingt, dass die Ehe für alle bald Geschichte sein könnte und zur Ehe für ­einige re­mutiert, wenn das mit dem Rechtsruck so weitergeht?

Nicht mal die in Berlin gültige Verfassung schützt sie besonders: Artikel 3 des Grundgesetzes besagt zwar, dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen“ diskriminiert werden darf – von sexueller Identität ist da aber nicht die Rede. Diese Autoscooterfahrt mit den Pet Shop Boys, sie kann einen auch politisch wachrütteln.

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