Neues Buch über die Band Pet Shop Boys: Adorno zum Mitstampfen

Jan-Niklas Jägers Buch „Factually“ stellt die Pet Shop Boys in Theorie und Praxis vor. Es zeigt, dass die Haltung der Band reine Gegenkultur ist.

Neil Francis Tennant und Christopher Sean Lowe stehen als Band Pet Shop Boys auf einer Bühne und treten auf.

Die Musik von PSB berücksichtige „welt- und sozialpolitische Ereignisse“, auch hier 2017 in Montreux Foto: dpa

Wir tanzen in einer politischen Welt. Und die Disco-Hymnen der Pet Shop Boys kommen weltweit gut an – vom schwulen Underground-Schuppen in San Francisco (wo die Debütsingle „West End Girls“ 1984 zum Hit wurde, bevor es überhaupt ein Album gab) bis hin zum homophobsten Fußballstadion, in dem viele Fans unbewusst die Melodie von „Go West“ etwa zum Schlachtruf „Steht auf, wenn ihr Schalker seid“ schmettern.

„Kann eine Chartband subversiv sein? Schließen kommerzieller Erfolg und kritischer Anspruch einander nicht aus?“, fragt der Autor Jan-Niklas Jäger rhetorisch in seinem Essay „Factually. Pet Shop Boys in Theorie und Praxis“, der im Mainzer Ventil Verlag in der Reihe „Testcard Zwergobst“ veröffentlicht ist. Sie hat ihren Titel aus einer Adorno-Überschrift in den „Minima Moralia“ stibitzt. Hört, hört!

Pet Shop Boys und Adorno? Warum nicht! Jäger verspricht „ein Buch über die Möglichkeiten von Pop“, er behandelt „das dialektische Spannungsfeld zwischen Massenunterhaltung und Subversion“, die beiden Pole, zwischen und mit denen die Pet Shop Boys (PSB) so subtil spielen wie niemand sonst. Jägers These klingt spannend, aber stimmt auch skeptisch: Will hier ein bekennender Fanboy sein privates guilty pleasure zum intellektuellen Abenteuer nobilitieren, indem er ihm einen politischen Anstrich verpasst und somit zumal beim linken Publikum mit sozialer Relevanz punktet?

Keineswegs: Jäger macht keinen Hehl daraus, dass er Fan ist, gerade deshalb hat er es nicht nötig, im Vagen zu fabulieren. Zwar zitiert er ausgiebig Interviews mit den PSB und versorgt so auch uneingeweihte LeserInnen mit popkulturellem Kontextwissen. Vor allem aber legt er das Vergrößerungsglas auf klangliche und lyrische Details.

Passt für den Jahrmarkt, ist dennoch weltpolitisch

Von den Powerplay-Megahits bis hin zu unbekannten B-Seiten: Jäger beschreibt präzise, seine Sätze reißen mit, Les- und Hörarten überzeugen. Der Autor vollzieht nach, wie das britische Popduo eine erstaunlich komplexe Gesellschaftsgeschichte komponiert, und zwar mit Songs, die auf dem Jahrmarkt mitgestampft werden.

Jan-Niklas Jäger: „Factually. Pet Shop Boys in Theorie und Praxis“. Ventil Verlag, Mainz 2019, 160 Seiten,14 Euro.

Die Musik von PSB berücksichtigt „welt- und sozialpolitische Ereignisse, porträtiert Menschen, die von ihnen betroffen sind, hat Kenntnis von Ideengeschichte und den verschiedensten Diskursen, beschäftigt sich mit Identität und Sexualität, kommentiert (massen- wie sub-)kulturelle Entwicklungen“ – und das in einer Kunstform, deren „Qualität sich zum Teil über Simplizität definiert“. Wobei PSB natürlich kein Problem damit haben, in ihren Tracks Thatcher und Tschaikowski zu ­verwursten.

Chris Lowe und Neil Tennant schafften es mit Por­träts der britischen Klassengesellschaft in die Charts: „West End Girls“, die erste PSB-Single überhaupt, verknüpft die soziale Dynamik des reichen Londoner West End mit dem armen East End. Und so ging es weiter: „Suburbia“ (1986) seziert die selbstgerechte, ausgrenzende Mittelschicht der posheren Vorstädte.

Der Autor jagt die LeserInnen kreuz und quer und queer durch das Œuvre der beiden Jungs von der Zoohandlung, zeigt, wie sie sich in ihrer auch vokal heruntergekühlten Künstlichkeit von der behaupteten Authentizität des Mainstream-Rock der Achtziger abgrenzten. Und das nicht bloß durch eine schamlose, bedeutungsverschiebende Coverversion („Where the Streets Have No Names“) der von PSB verabscheuten irischen Emoband U2.

PSB sind in ihrer Haltung Gegenkultur

In ihrer Haltung waren und sind PSB wie einst Punk: Gegenkultur. So manch vermeintlichen Schmachtfetzen schält Jäger bis zu seinem politischen Kern blank. Der Song „Rent“ erzählt konkret vom Sugar Daddy, der die Miete blecht, aber eben auch von entmenschlichender Verwertungslogik. „I’m With Stupid“ lästert aus der Sicht von Tony Blair über George W. Bush.

Wobei auf den 150 Seiten auch klar wird, dass Plakatives eher zu den simpelsten Späßen gehört; die Idee, dass Liebe nur ein bourgeoises Konstrukt sei, entlarven die beiden Künstler im gleichnamigen Song als Selbstbetrug eines linken Akademikers. PSB denken um viele Ecken und sind historisch versiert; um das herauszuarbeiten, braucht es ein Buch. „Factually“ ist dieses Werk.

Ambivalent ist der Umgang von PSB mit ihrem Schwulsein, das arbeitet Jäger gut heraus. Die Coming-outs kamen spät, Lowe und Tennant haben keine Lust, aus ihren Privatleben zu plaudern; und doch waren Themen wie Aids, sexuelle Freiheit, unkonventionelle Beziehungsmodelle immer präsent. Jäger inspiriert mit seinem Buchessay, gerade indem er so nah ranzoomt, denkt er weit über das Phänomen Pet Shop Boys hinaus.

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