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Neues NetzwerkdurchsetzungsgesetzÜberhastete Gesetzreform

Daniél Kretschmar
Kommentar von Daniél Kretschmar

Wer löscht Hassposts? Auch die Neufassung des Gesetzes krankt daran, dass die Entscheidungsinstanzen intransparent bleiben.

Hass im Internet und Ärger übert den Hass im Internet Foto: Helmut Fohringer/apa/picture alliance

H ass und Hetze, Bedrohungen, Propagandadelikte, die Sammlung und Veröffentlichung personenbezogener Daten: Das Netz ist Raum für eine ganze Phalanx diverser unangenehmer Phänomene. Keines davon ist neu oder dem Digitalen völlig eigen. Nicht alle wären in der physischen Welt strafbar.

Die Unmittelbarkeit ihrer Wirkung und die potenziell riesige Verbreitung des Materials aber machen es dringend nötig, Regularien zu finden, die helfen, digitale Kommunikation möglichst zivil zu gestalten und zu versuchen, eine gute Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu finden. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist so ein Versuch.

Schon bei seiner Einführung jedoch wurde das NetzDG heftig kritisiert. Selbst jene zivilgesellschaftlichen Organisationen, die explizit für ein strengeres Vorgehen lobbyierten, liefen gegen das Ergebnis Sturm. Noch nicht einmal zwei Jahre nach Inkrafttreten muss das Gesetz deshalb novelliert werden.

Einerseits ist das eine gute Nachricht, zeigt der Gesetzgeber doch die Einsicht, dass Regeln im digitalen Raum sehr viel schneller als gewohnt angepasst werden müssen. Andererseits wirkt der ganze Prozess jedoch genauso überhastet und unüberlegt wie bei der letzten Verabschiedung.

Privatisierung staatlicher Aufgaben

Nach kurzer Beratungsphase und geringen Änderungen stimmte das Bundeskabinett nun für einen Entwurf, der ebenso harter und berechtigter Kritik wie sein Vorgänger ausgesetzt war. Denn letztendlich wird das vielleicht größte Problem des NetzDG in der Novelle überhaupt nicht angegangen. Soziale Netzwerke sollen sogenannte Bestandsdaten und Nutzungsdaten zum Beispiel an Strafverfolgungsbehörden weitergeben.

Egal, wie Löschungen und Meldungen von inkriminierten Posts in sozialen Medien letztlich ausgestaltet werden: Dass zum Beispiel Facebook, wahrscheinlicher noch ein externer Dienstleister, statt einer dafür qualifizierten Behörde entscheidet, was Recht und was Unrecht ist, kommt einer Privatisierung staatlicher Aufgaben gleich. Auf der Grundlage einer solchen Kapitulation aber können weder Freiheit noch Sicherheit gedeihen.

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Daniél Kretschmar
Autor
Jahrgang 1976, Redakteur für die tageszeitung 2006-2020, unter anderem im Berlinteil, dem Onlineressort und bei taz zwei. Newsletter unter: https://buttondown.email/abgelegt
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11 Kommentare

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  • Wir können ja mal was versuchen. Jeder hier veröffentlicht seine Meinung unter Klarnamen. Ich schätze, wir hätten sofort einen viel moderateren und höflicheren Umgangston. Auch Unterstellungen und wirre Schlüsse würden weniger werden. Bin ich überzeugt. Ich habe mich schon früher gewundert, wie es sein konnte, daß auf öffentlichen Männerklos auf Wandschmiereien Leute doch tatsächlich nach Frauen gesucht haben. Auf einem Klo für Männer! Uns solange hier die große Anonymität herrscht, kann jeder unter diesem Schutz auch unüberlegt den großen Mist raushauen. Rein deshalb sind ja auch die Zensoren/Mentoren notweniggeworden. Oder?

    • 0G
      07324 (Profil gelöscht)
      @Thomas Schöffel:

      Eine Herrentoilette hat aber keine Big Data Anwendung dahinter. Diese Schmierereien führen auch nicht zur Kategorisierung von Menschen in irgendwelchen Datenbanken. Die Daten landen dann bei Behörden, die selbst ein Problem mit Unterwanderung von Extremisten haben.



      Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, dann hat der Staat erst mal nichts im Privatleben der Bürger verloren.



      Dann kann man gleich eine Audioüberwachung von privatem Wohnraum einführen, um so nach Extremisten zu suchen. Wo ist denn bitte die Grenze?



      Die Gesetzesänderung betrifft nicht nur die Verbreitung von Hass oder ähnliche Delikte. Praktisch alle Behörden bekommen ohne viel Aufwand Zugriff, auch bei Ordnungswidrigkeiten.



      Nachdem die Regierung dann festgestellt hat, dass dies auch nicht hilft was nun kommen soll, muss es natürlich dann weitergehen. An Backdoors in Encryption Standards wurde schon offen gedacht. Verbot von Tor und VPN ist sicher auch ein Thema.



      Sorry. Aber diese lasche Analyse geht mir nicht weit genug, auch wenn du nichts zu verbergen hast und damit kein Problem hättest.

      • @07324 (Profil gelöscht):

        Ich bin gern für weitere Vorschläge offen. Natürlich sind Scheißhausparolen auf öffentlichen WCs nicht überwacht worden, aber heute kann jeder im Notfall über seine IP-Adresse gekriegt werden. Ich glaube halt nur, wenn jemand weiß, daß er zumindest namentlich oder sogar mir Adresse beim Blogbetreiber bekannt ist, die Leute vielleicht etwas zurückhaltender sind.

        • 0G
          07324 (Profil gelöscht)
          @Thomas Schöffel:

          Für weitere Vorschläge offen? Ich weiss nicht was du erwartest? Verhaltenskontrolle und Bestrafung die zu Persönlichkeitsveränderungen nachhaltig führt?



          Die Regierung ist ja nicht für ihre Förderung von sinnvollen Veränderungen im Bildungssystem bekannt, auch nicht für alles was unser System noch an schlechten menschlichen Eigenschaften führt anzugehen.



          Das Problem wird erst erzeugt und dann versucht man es mit Bestrafung zu lösen?



          Nachhaltige Lösungen kommen nicht über Nacht und Ergebnisse sind vielleicht erst in 10-20 Jahren sichtbar.

          Wenn es heute schon möglich ist über die IP-Adresse, den User herauszubekommen, warum dann die Gesetzesänderungen? Nur mal so nebenbei.



          Fakt ist doch, dass selbst heute noch nicht mal die bestehenden Gesetze ausgenutzt werden, aber trotzdem wird nach mehr und mehr geschrien.

          • @07324 (Profil gelöscht):

            Ich wüßte nicht, daß wir uns duzen. Vielleicht reden wir auch aneinander vorbei. Die staatliche Überwachung ist schlimm genug, da stimme ich Ihnen ja zu und wie wir die eindämmen können, weiß ich auch nicht. Was mir hingegen immer wieder sehr negativ auffällt, ist der ätzende Ton im Netz. Ich meine, wir müssen uns doch nicht immer alle anschreien und anpöbeln. Ich bevorzuge da einen neutralen, eher wissenschaftlich ausgerichteten Diskurs. Und wenn man sich vorstellt, dann ist die Unterhaltung schon mal persönlicher. Hier im Blog sitzen wir quasi alle wie in einer großen Turnhalle und fast jeder hat einen Sack über dem Kopf, oder?

            • 0G
              07324 (Profil gelöscht)
              @Thomas Schöffel:

              Sehr geehrter Herr Schöffel



              In der Turnhalle hätte ich die Möglichkeit mich nach meinen Sinnen zu richten, um ihre Position zu bestimmen und ihnen dann anonym für ihre Meinung eine überzubraten.



              MfG



              sowasvonunwichtig

              • @07324 (Profil gelöscht):

                Ich bin überrascht, was man gegen den Protest gegen überbordende Überwachung haben kann und warum Sie dann auch noch meine Abneigung gegen Netzpöbeleien kritisieren. Ihre Aggression zeigt mir aber, daß Sie sich Ihren Blog-Namen zurecht gegeben haben und warum Sie anonym unterwegs sind, ist mir jetzt auch klar. Wenn Sie schon jemandem einen überbraten wollen, dann tun Sie das dann doch bitte in Ihren Kreisen.

                • 0G
                  07324 (Profil gelöscht)
                  @Thomas Schöffel:

                  Das war Sarkasmus bzgl. ihres Beispiels mit der Turnhalle.



                  So wie sie überrascht sind, bin ich überrascht. Und nun. Überraschungseier auspacken?



                  Ich kenne Leute wie sie. So wie es andere Extreme gibt, sind sie nur ein andere Seite der Medaille.



                  Nachdem die Diskussion zu nichts führt, zumindest bei mir, beende ich diese nun von meiner Seite aus.



                  MfG foobar

  • 0G
    07324 (Profil gelöscht)

    Hier fehlen mal wieder 80% Information.

    netzpolitik.org/20...asswortherausgabe/

    www.heise.de/meldu...sgabe-4663947.html

    Um mal die TAZ Forum Poster aufzuklären. Sollte also eine Anfrage einer Behörde kommen, muss demnächst auch die TAZ die Passwörter von euch rausrücken. Normal sollten die heute verschlüsselt gespeichert sein. Wie dies also umgesetzt wird, ist noch offen. Man müsste also als Erstes einen Passwortwechsel erzwingen.

    Nachdem hier viele Abonnenten mit Adresse und Klarnamen registriert sind, wandern alle Daten dann an das Amt und nicht nur der Content und die IP-Adresse.

    Dem Blaming und Anzeigen steht also Tür und Tor offen. Dies betrifft nun nicht mehr nur grosse Plattformen wie Facebook, Twitter oder Youtube, sondern auch private Seiten.

    Nachdem dies alles sehr schwer umzusetzen sein wird, bin ich schon gespannt was als Nächstes kommen wird. Wer glaubt, dass dies nun der letzte Schritt ist, der muss blind sein.

    Viele User nutzen Tor oder VPN's. One Time Emails für die Registrierung.

    Dieses Gesetz wird nicht davon abhalten, dass es so weiter geht wie bisher, sondern ist nur ein Schritt hin zum Verbot von Umgehungsmöglichkeiten wie VPN, um die Identität zu verbergen.

    Vor einiger Zeit wurde ich belächelt, als Vergleiche mit China zog und die Überwachung und Bevölkerungskontrolle als neues Leitbild für unsere "Demokratie" nannte. Nicht das ich hier recht behalten will, aber wir wissen alle, dass die Zeit dieses Systems gekommen ist und hier die Anstrengungen unternommen werden, irgendwie die Oberhand zu behalten. Koste es was es wolle. Eben auch Grundrechte wie freie Kommunikation und Privatsphäre.

  • Das ganze ist ein übliches Feigenblattgesetz.



    Man ist unfähig (und unwillig) eine funktionierende Lösung auf die Beine zu stellen.



    Leute die wirklich professionell Hetzen und Meinungsmache betreiben erwischt man natürlich nicht. Die sitzen im Ausland, hinter irgendwelchen dubiosen VPN-Tunneln oder heißen "Adelheit Kümmertnichts" - zufällig genau wie die alte Dame aus der Seniorenresidenz um die Ecke...

    • @Bolzkopf:

      Grundsätzlich stimme ich zu, es ist ein Notbehelf. Eigentlich war es vorher schon verboten zu hetzen, egal ob offline oder online. Leider wurde der "Melden"-Button zu selten benutzt. Auch gibt es viele gesunde Communitys im Netz, gerade aus der IT-Szene, da hätte man sich was abgucken können - auch als Kommentarbereich- und Forenbetreiber.

      Klar, professionelle Hetzern kann man das Leben im besten Fall nur komplizierter machen. Aber alle anderen überlegen sich dann doch vielleicht zweimal, was sie schreiben...