Neues Kabinett im Libanon: Fachleute sollen regieren
Mit Massendemos haben die Libanes*innen ihre Regierung gestürzt. Nun hat das Land ein neues Kabinett. Doch der Protest geht weiter.

Professor Hassan Diab war Mitte Dezember mit der Regierungsbildung beauftragt worden. Er berief 14 Männer und 6 Frauen, die Fachleute auf ihrem Gebiet und weitestgehend unbekannt sind. Als seine Stellvertreterin und erste Frau im Ressort Verteidigung ernannte er Zeina Akar Adra zur Ministerin.
Dennoch haben viele Protestierende kein Vertrauen in das neue Kabinett. Schnell füllte sich nach der Verkündung am Dienstagabend die Straße vor dem Parlamentsgebäude in Beirut. Auch Roy Boukhary war dabei, der ein Schild hochhielt mit der Aufschrift „Kein Vertrauen in die Regierung“.
Er sagt: „Die Regierung erfüllt nicht meine Erwartungen. Sie zieht eine Maske auf, als ob sie uns unterstützte, aber in Wahrheit ist sie die rechte Hand der politischen Elite.“ Der 26-Jährige arbeitet für eine Hotline des Gesundheitsministeriums. Er hat einen Masterabschluss in Rechtswissenschaft, konnte bislang aber keine Arbeit in dem Bereich finden.
Parlament muss Kabinett noch bestätigen
Der Libanon steckt in der schwersten Politik- und Wirtschaftskrise seit dem Ende des Bürgerkriegs vor dreißig Jahren. Die Staatsschulden betragen über 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das libanesische Pfund hat auf dem Schwarzmarkt stark an Wert eingebüßt. Viele Menschen haben ihre Jobs verloren.
Jana Yousef, 22, würde gerne Kriminologie studieren und protestiert gegen fehlende Bildungschancen. „Ich bin gezwungen, dieses Land zu verlassen, weil wir kein gutes Bildungssystem haben.“ Yousef ist mit Hassan Diab nicht zufrieden, weil er als Bildungsminister von 2011 bis 2014 nichts Bedeutendes geleistet habe. „Er repräsentiert uns nicht. Die Leute, die ihn in diese Position gebracht haben, sind die Leute, gegen die wir kämpfen.“
Seit Beginn des Aufstands im Oktober fordern die Protestierenden eine von den politischen Parteien unabhängige Regierung, die eine Neuwahl des Parlaments vorbereitet. Dieses muss Diabs Kabinett noch in einem Vertrauensvotum bestätigen.
Das Vertrauen der Straße genießt die neue Regierung jedenfalls nicht. Am Dienstagabend versuchten Protestierende, den Stacheldrahtzaun und Metallgitter zu durchbrechen, die das Parlament abschirmen. Einige hielten sich mit der Hand ein Auge zu, um auf die Polizeigewalt aufmerksam zu machen. Am Wochenende war es zu Ausschreitungen gekommen, bei denen die Polizei mit Gummigeschossen direkt auf Protestierende zielte.
Hisbollah und ihre Verbündeten
Über die sozialen Medien verbreitete sich der Hashtag „Regierung des Versagens“. Besonders in den sunnitischen Regionen blockierten Menschen die Straßen mit brennenden Reifen. Die neue Regierung wird als politisch einseitig eingestuft. Diab wird von der schiitischen Hisbollah und ihren Verbündeten gestützt, die der Führung im Nachbarland Syrien nahestehen. Diese Allianz habe nun die Kabinettsposten besetzt, während sich ihre Gegenspieler um den bisherigen sunnitischen Ministerpräsidenten Saad al-Hariri nicht beteiligt hätten.
In einer Rede am Dienstagabend wehrte sich Diab gegen die Vorwürfe. Er beteuerte, sein Kabinett bestehe aus parteilosen Spezialist*innen. Unter ihnen sind einige Akteur*innen aus der zweiten Reihe. Der neue Finanzminister Ghazi Wazni ist ein ehemaliger Berater des Haushaltsausschusses des Parlaments sowie Berater des Parlamentssprechers. Energieminister Raymond Ghajar war seit 1995 Berater des Ministeriums. Der neue Wirtschaftsminister, Raoul Nehme, ist Geschäftsführer der Bank Med, an der wiederum die Familie Hariris die größten Anteile hält.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!