Neue Regierung im Libanon: Dem Untergang geweiht

Das neue Kabinett ist nicht so frisch und unparteiisch, wie es vorgibt. Es ist mit der alten Elite verbandelt und zum Scheitern verurteilt.

Eine Demonstrantin verbrennt ein Plakat mit dem Bild von Hassan Diab.

Protest gegen den euen Premierminister Hassan Diab in Beirut Foto: Bilal Hussein/ap

Auf den ersten Blick scheint die neue Regierung im Libanon wie eine frische Truppe politisch unabhängiger Fachleute mit Doktortiteln. Doch auf den zweiten Blick ist es ein politisch einseitiges Kabinett mit engen Verbindungen zur alten Garde.

Der Libanon befindet sich in der größten Wirtschaftskrise seit dem Ende des Bürgerkriegs vor 30 Jahren. Seit über hundert Tagen protestieren die Libanes*innen gegen Korruption und Misswirtschaft. In der Folge trat der Milliardär Saad Hariri im Oktober als Ministerpräsident zurück. Sein Nachfolger Hassan Diab hat nun sein neues Kabinett vorgestellt. Es musste von 30 Posten auf 20 schrumpfen, sogar der Forderung nach mehr Ministerinnen ist Diab nachgekommen und hat 6 Frauen benannt, darunter seine Stellvertreterin und Verteidigungsministerin Zeina Akar Adra. Dennoch gehen die Proteste weiter.

Das ist verständlich, denn was Diab als technokratische Regierung angepriesen hat, ist in Wirklichkeit ein Aufgebot unbekannter Namen aus der zweiten Reihe. Die Mehrheit sind Professor*innen, dennoch sind viele des neuen Personals mit der alten Elite verbandelt. Der neue Finanzminister Ghazi Wazni ist ein ehemaliger Berater des Finanz- und Haushaltsausschusses des Parlaments. Energieminister Raymond Ghajar war seit 1995 Berater des Ministeriums. Der Professor Nassif Hitti war bereits Vertreter des Libanon in der Liga der arabischen Staaten.

Am brisantesten ist, dass der neue Wirtschaftsminister Raoul Nehme gleichzeitig Geschäftsführer der Bank Med ist, an der wiederum die Familie Hariri die größten Anteile hält. Eine unglückliche Wahl, denn die Proteste richten sich gegen die von den Hariris geprägte neoliberale Politik. Die Banken werden von den Protestierenden für die ökonomische Misere verantwortlich gemacht, weil sie Großanleger*innen mit hohen Zinsen gelockt haben.

Gummigeschosse und Tränengas

Die Haltung des neuen Aufgebots wurde gleich am ersten Tag bei der Namensverkündung deutlich, denn man ließ die Straße zum Parlament und das Regierungsgebäude mit Zementblöcken abriegeln. Dass die Obrigkeit sich hinter Blockaden verschanzt, ist das falsche Signal, um das Vertrauen der wütenden Bürger*innen zurückzugewinnen. Gleichzeitig steigt die Bereitschaft der Polizei, mit aller Härte gegen die Protestierenden vorzugehen. Tränengas vernebelte am Wochenende die Innenstadt und drang bis in eine Moschee, in der Menschen Schutz gesucht hatten. Vier Männer verloren ihr Augenlicht, weil die Polizei mit Gummigeschossen direkt auf sie gezielt hatte.

Am Samstag schnitten Protestierende feierlich eine Torte zur Feier des hundertsten Tags der Proteste an, die Menschen demonstrierten friedlich gegen die neue Regierung. Trotzdem setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein. Mit Letzteren traf sie auch Kinder, die mit ihren Eltern auf den zentralen Platz vor dem Regierungsgebäude gekommen waren.

Verlängerter Arm alter Machthaber

Das neue Kabinett bleibt der verlängerte Arm der alten Machthaber, die während des Bürgerkriegs Milizführer waren und weiter die Geschicke des Landes leiten. Damit sind die auf den Straßen geforderten Neuwahlen unwahrscheinlich. Für einen Wandel braucht es sowieso ein reformiertes Wahlrecht, denn das bisherige komplexe Wahlgesetz sichert den Proporz der konfessionellen Parteien und verfestigt das alte System.

Die aufgeheizte Stimmung wird sich noch verschlimmern. Das Land steht kurz vor einem Staatsbankrott, die gängigen Stromausfälle mehren sich und der größte Internetanbieter droht, seinen Dienst einzustellen. Die libanesische Währung verliert auf dem Schwarzmarkt an Wert und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die bisher feste Kopplung an den US-Dollar aufgehoben werden muss. Dann verliert das Ersparte der Menschen real an Wert.

Die Regierung ist nicht nur zum Scheitern verurteilt, weil sie den Rückhalt der Menschen nicht hat. Sie ist auch aus einem Deal entstanden, den die schiitische Hisbollah mit ihren politischen prosyrischen Verbündeten besiegelt hat. Ihre politischen Opponenten haben keine Minister*innen gestellt. Weil viele Staaten die Hisbollah als Miliz oder Terrororganisation einstufen, werden Hilfsgelder aus den Golfstaaten, den USA oder Europa ausbleiben.

Die Staatsschulden entsprechen 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ihre Rückzahlung mit einem Zinssatz von knapp 15 Prozent ist unmöglich. Das ist nicht das einzige Problem, das die Regierung stemmen muss. Es benötigt Fiskalreformen und die Bekämpfung der Korruption, die alle Staatsorgane durchzieht. Die Arbeitslosenrate liegt bei 35 Prozent, die gut ausgebildete Jugend verlässt das Land, und weil kaum etwas im Land produziert wird, ist man auf teure Importe von Medizin, Benzin und Nahrungsmitteln angewiesen. Der ehemalige Außenminister Gebran Bassil sagte deshalb auf dem Weltwirtschaftsforum, es müsse mehr für den Agrarsektor getan werden. Seine Partei stellt die Mehrheit im Parlament und hat die meisten Posten des neuen Kabinetts besetzt. Wie ernst seine Aussage genommen werden darf, zeigt die Zuständigkeit des Ministeriums: Es ist nicht nur für Agrarkultur verantwortlich, sondern auch für den Kultursektor.

Der neue Bildungsminister kündigte mit einem freudschen Versprecher „Worte statt Taten“ an. Viele Worte verliert auch Regierungschef Diab. Der ehemalige Bildungsminister (2011–2014) und Professor wartet mit einem 136-seitigen Lebenslauf auf, gespickt mit Kalenderweisheiten wie diesen: „Ich habe gelernt, dass pure Freude im Leben vom Geben, nicht vom Nehmen kommt, berücksichtigt man, dass die besten Dinge im Leben umsonst sind: Familie, Freunde, Umarmungen, Lächeln, Küsse, Schlaf, Liebe, Lachen und gute Erinnerungen.“ Ein Rat, den die Menschen im Land sicher gut gebrauchen können. Aufgrund des Mangels an US-Noten im Land dürfen sie maximal 200 Dollar pro Woche abheben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Auslandskorrespondentin für Westasien mit Sitz in Beirut. Hat 2013/14 bei der taz volontiert, Journalismus sowie Geschichte und Soziologie des Vorderen Orients studiert. Sie berichtet aus dem Libanon, Syrien, Iran und Irak, vor allem über Kultur und Gesellschaft, Gender und Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Für das taz Wasserprojekt recherchiert sie im Libanon, Jordanien und Ägypten zu Entwicklungsgeldern.

Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.