„Neues Deutschland“-Auflage bröckelt: Grundstück boomt, Zeitung kriselt
Kaum einer Tageszeitung geht es so schlecht wie dem „ND“. Die Belegschaft fürchtet, dass Die Linke eher auf das Redaktionsgelände setzt.
Heute erinnert wenig an den Glanz der alten Zeit: Die Auflage des Neuen Deutschland (ND) sinkt kontinuierlich, von einer Million vor der Wende auf knapp 25.000 Exemplare heute. Die Leserschaft ist überaltert, die Anzeigenumsätze sinken und online nimmt das Blatt kaum Geld ein.
Dafür ist das Grundstück, auf dem das Verlagshaus steht, von großem Wert: Der Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin-Friedrichshain liegt lukrativ am Ostbahnhof, hat mehrere Tausend Quadratmeter und soll Schätzungen zufolge mehrere Millionen Euro wert sein. Die Eigentumsverhältnisse sind verschachtelt: Laut der aktuellsten Jahresbilanz des ND-Verlags aus dem Jahr 2016 und der Gesellschafterliste, die im März 2017 beim Handelsregister hinterlegt wurde, gehört die Gesellschaft, die das Grundstück bewirtschaftet, zu einem großen Teil dem „Verlag Neues Deutschland“. Der Verlag wiederum gehört der Vermögensgesellschaft der Partei Die Linke, FEVAC, und der Beteiligungsgenossenschaft communio eG.
Zeitung ohne Grundstück?
Der Schatzmeister der Linken, Thomas Nord, sagt auf taz-Nachfrage, dass das Grundstück „direkt sowie wirtschaftlich eigenständig von den beiden Gesellschaftern geführt“ wird. Das hieße also: von der FEVAC für die Linke und der communio. Das heißt aber nicht unbedingt, dass das Grundstück ausschließlich den beiden gehört. Bis jetzt zumindest. Sollte das Neue Deutschland Insolvenz anmelden müssen, könnte auch das lukrative Grundstück bedroht sein. Das will die Partei offenbar verhindern. Bei einem Besuch in der Redaktion im April teilte der Parteivorsitzende Bernd Riexinger mit, „dass die Gesellschafter beabsichtigen, das Grundstück am Franz-Mehring-Platz 1 dem ND als Beteiligung zu entziehen“. So wird Riexinger in einem Brief zitiert, den die ND-Belegschaft Ende April an den Parteivorstand geschrieben hat. Er liegt der taz vor.
„Diese Maßnahme“, schreiben die RedakteurInnen, „bedroht massiv die finanzielle Stabilität der Zeitung“. Denn, so glaubt die ND-Belegschaft: Wenn die Zeitung pleite geht, ist das Grundstück ihre letzte finanzielle Sicherheit.
Das ist nicht die einzige Sorge der Redaktion. Seit November 2017, schreiben die RedakteurInnen, befindet sich der Zeitungsverlag „in großer Unruhe“. Die Angestellten fürchten um ihre Arbeitsplätze. Denn vieles, heißt es aus der Redaktion, deute darauf hin, dass die beiden Gesellschafter die Zeitung abwickeln wollten. Ende 2017 sollte das Weihnachtsgeld gestrichen werden. Die Zeitung stand offenbar kurz vor der Insolvenz. Schon bei der Gesellschafterversammlung im September 2017 sprachen die Gesellschafter, also ein Vermögensverwalter der Partei und die communio eG, über die „angespannte Liquiditätssituation“. Der damalige Geschäftsführer des ND bat den Vertreter der Partei um ein Darlehen.
Thomas Nord, Partei-Schatzmeister
Die RedakteurInnen, die ohnehin nur rund 60 Prozent des Tariflohns verdienen, protestierten gegen die Kürzung des Weihnachtsgeldes. Mit Erfolg: Die Gesellschafter schossen neues Geld zu, das Weihnachtsgeld konnte gezahlt werden. Kurze Zeit später verkündete Chefredakteur Tom Strohschneider überraschend, dass er die Zeitung aus gesundheitlichen Gründen verlassen werde. Strohschneider, ehemaliger Freitag- und taz-Redakteur und beim ND ausgebildet war 2012 Chefredakteur geworden. Er sollte jüngere Leser gewinnen. Die Auflage sank weiter. Mit Strohschneider musste der langjährige Geschäftsführer gehen. Sein Nachfolger in Teilzeit wurde Matthias Schindler, ex-Stasi-Offizier – und Inhaber der communio eG. Er ist nun also beides: Gesellschafter und Geschäftsführer.
Anfang dieses Jahres startete die Belegschaft eine Petition: Sie bat die Geschäftsführung, eine öffentliche Rettungskampagne zu lancieren, so wie einst die taz. Drei Viertel der Angestellten unterschrieben, der neue Geschäftsführer lehnte ab. Dennoch verwehren sich beide Gesellschafter gegen den Vorwurf, das ND abwickeln zu wollen. „Ich glaube an das ND und will es erhalten“, sagt Schindler.
„Die Linke will am ND festhalten“, sagt auch Thomas Nord, Schatzmeister der Partei. Zu den Grundstücksplänen äußern sich Nord und Parteichef Bernd Riexinger nur vage: „Die Grundstücksgesellschaft wird zurzeit und auch künftig von den jetzigen Gesellschaftern sowie Eigentümern des ND (Die Linke und communio eG) verwaltet und weiterentwickelt“, sagt Thomas Nord. Bernd Riexinger teilt mit, dass sich „wie bereits mehrfach in der Vergangenheit, einzelne Gesellschafterstrukturen“ ändern können. Welche sich nun wie ändern könnten, lässt er offen. Eine Überprüfung beim Handelsregister zeigt, dass die Partei schon seit Längerem in die Grundstücksgesellschaft eingestiegen ist: Während die Vermögensverwalterin der Linken, die FEVAC, vor zehn Jahren noch keine Anteile am Grundstück besessen hat, wird sie in der aktuellsten Gesellschafterliste vom März 2017 als Gesellschafterin mit gut zwölf Prozent der Geschäftsanteile ausgewiesen. Nach dem Parteitag Anfang Juni will die Linke ein Gremium einrichten, das über die Zukunft des ND diskutieren soll.
Die ND-Belegschaft ist unsicher, ob sie sich daran beteiligen wird. Man wolle sich nicht von der Partei redaktionell beraten lassen. Die Unabhängigkeit der Zeitung sei schließlich im Redaktionsstatut festgeschrieben. Lieber wolle man einen neuen Chefredakteur, der zusammen mit der Redaktion Konzepte erarbeite. Aktuell diskutiert die Belegschaft beispielsweise über ein Genossenschaftsmodell.
Nach Strohschneiders Weggang hat dessen Stellvertreter Wolfgang Hübner kommissarisch übernommen. Geschäftsführer Matthias Schindler sagt gegenüber der taz, er plane schon, den Job wieder mit einem oder einer festen Kandidatin zu besetzen. Aber: „In der jetzigen Situation einen neuen Chefredakteur zu finden, ist nicht einfach. Es geht zunächst darum, die Voraussetzungen für zukünftige Gestaltungsmöglichkeiten zu schaffen.“
Zwei Jahre, soll Riexinger im April vor der ND-Belegschaft gesagt haben, gebe man der Zeitung, um sich zu erneuern. Das reicht nicht, entgegnet die Redaktion. Sie schätzt, es werde fünf bis sieben Jahre dauern. Die Partei steht vor einem Dilemma: Sie kann als Kämpferin für Arbeitnehmerrechte ihr Traditionsblatt sichern und damit rund 100 Arbeitsplätze erhalten. Oder sie agiert rein unternehmerisch und rettet, was zu retten ist.
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