Neues Buch von Filmemacher Klaus Maeck: Das Virus im Quicktime-Garten
Das Buch „Volle Pulle ins Verderben“ des Hamburger Produzenten Klaus Maeck beleuchtet die Punk-Frühzeit. Es zeugt von einem Leben für den Undergroundfilm.
„Lass es mich so sagen: Gibt es auf der Welt irgendwo Stunk, ist meistens Kunst am Werk“, behauptet der reiche Schnösel Bertie Wooster seinem Butler gegenüber im Roman „Der unvergleichliche Jeeves“ von P. G. Wodehouse. Wodehouse, der britische Autor des Fin de Siècle, liefert keine weiteren Belege für die etwas herablassend vorgetragene steile These. Kammerdiener Jeeves pflichtet ihm pflichtbewusst bei.
Bestätigen lässt sie sich auf jeden Fall am Werk des Hamburger Musikverlegers und Filmproduzenten Klaus Maeck. Anders als Bertie Wooster stammt Maeck aus eher bescheidenen Verhältnissen in Hamburg-Poppenbüttel. In diese kehrt er nun nochmal symbolisch zurück.
„Volle Pulle ins Verderben“ ist Maecks Buch mit Erinnerungen und Storys betitelt, das Täuschungsmanöver nimmt schon beim Titel seinen Lauf. Was nach „lustigem Taschenbuch“ und Speedpunk-Actionthriller klingt, ist einer mexikanischen Raubkopie von Fatih Akins Erfolgsfilm „Gegen die Wand“ entlehnt.
Spärliche Glücksmomente
Mal blinkt Maecks Leben in der Subkultur darin autobiografisch auf, dann wieder wird es fiktional aufgeladen und mit surrealer Verve versehen. Anders auch, als es der Titel vermuten lässt, sind darin Scheitern und Neubeginn unsentimental geschildert. „Immerhin habe ich gelernt, spärliche Glückmomente zu nutzen, um Energie zu tanken.“
Buch: Klaus Maeck: „Volle Pulle ins Verderben“. Moloko Print, Schönebeck 2024, 235 Seiten, 17,50 Euro
Soundtrack zum Film: „Decoder“, OST (Replica Nova)
Die Energie ist in „Volle Pulle ins Verderben“ spürbar. Trotz inzwischen großem Œuvre fällt Klaus Maeck oft hinten runter. Das sagt er selbst auch, obwohl viele Fäden über ihn zusammenlaufen, Themen multipliziert und Leute miteinander verzahnt werden. Für das, was er seit den späten 1970ern für die Subkultur hierzulande erreicht hat, müsste er viel bekannter sein. Angefangen mit dem Plattenladen „Rip Off“, den er im April 1979 in Hamburg eröffnete und bis 1983 führte.
Zum Gespräch sind wir an den alten Tatorten im Karolinenviertel verabredet. Nach Punk sieht dort im Herbst 2024 nichts mehr aus, die meisten Häuser sind auf Hochglanz renoviert, die Gegend ist weitgehend gentrifiziert, schmucke Boutiquen reihen sich an hippe Cafés. In nächster Nähe befinden sich vier Plattenläden, scheinbar funktioniert ihr Nebeneinander.
Feldstraße/Glashüttenstraße
An der Ecke von der Feldstraße zur Glashüttenstraße eröffnete Maeck im April 1979 seinen eigenen Laden (den es unter dem Namen Ruff Trade noch an gleicher Stelle gibt). Damals existierte weder ein Treffpunkt für die lokale Punkszene noch ein Laden, der ihre unabhängig produzierten Alben und Singles angeboten hätte. Mindestens so wichtig wie Tonträger war das Geschäft mit Badges, Ansteckern, die Maeck zunächst aus England importiert und dann selbst herstellt.
Zufall war ein Faktor. Den Konzertveranstalter Alfred Hilsberg lernt er 1977 kennen, während er seinen Unterhalt als Taxifahrer verdient. Hilsberg unterhält sich mit einem weiteren Passagier über Punk, Maeck schaltet sich ins Gespräch ein, Beginn einer langen Freundschaft. Während Maeck ins Hinterzimmer von „Rip Off“ zieht, gründet Hilsberg zwei Häuser weiter in seinem Zimmer in einem Hinterhaus an der Glashüttenstraße ein eigenes Label. Gearbeitet wird meist vom Bett aus, erinnert Maeck.
Das Karoviertel war damals Zentrum der Hamburger Subkultur, um die Ecke in der Markstraße ist die Buchhandlung „Welt“ von Hilka Nordhausen und die Kneipe „Markstube“. An die Buchhandlung erinnert inzwischen an ehemaliger Stätte eine Plakette.
Musik im Drehbuch mitdenken
Den 1954 geborenen Maeck nimmt man heute am ehesten als Produzent der Filme von Fatih Akin wahr. Um die Jahrtausendwende hatte Maeck Akin, der genervt war von den Publishing-Consultants der Major Labels, in Musikfragen beraten. Sie gründeten eine Produktionsfirma. Maeck lobt seinen Geschäftspartner, dieser würde „bereits im Drehbuch die Rolle von Musik in seinen Filmen mitdenken“. Das sei zu Punkzeiten anders gewesen.
Damals mussten erst mal die Produktionsmittel angeeignet werden. Kleine Labels gegründet, Platten selbst herausgebracht werden. An dieser Umwälzung in Westdeutschland war Maeck von Anfang beteiligt. Er weitet „Rip Off“ vom Plattenladen zum Tonträgervertrieb aus, geht damit allerdings pleite, als Major Labels die Neue Deutsche Welle mit Schlager zu Tode reiten. Mehr Glück hat Maeck bei der Gründung des Musikverlags Freibank, mit dem er etwa Abwärts und den Einstürzenden Neubauten die Rechte an ihrer Musik sichern hilft.
Von Anfang an hatten es ihm auch die Bilder angetan. Erste Super-8-Filmrollen wurden noch im Fotoladen geklaut. 1979 schuf er dann selbst Filme. Zuerst Flickerfilme, etwa „Denn sie wissen nicht, was sie tun sollen“: eine zehnminütige „Westside Story“ im Hamburger Subkulturmilieu, die Hauereien zwischen Punks und Teds in einer Art Choreografie festhält.
In Deutschland kein Kultfilm
Dann zusammen mit Trini Trimpop und Muscha (Jürgen Muschalek) den Spielfilm „Decoder“ (1982), für den Maeck das Drehbuch geschrieben, den er produziert hat. Er gründet die Produktionsfirma „Fettfilm“. Zumindest im Ausland ist „Decoder“ zum Kult avanciert. In Italien hat sich eine unorthodoxe linke Zeitschrift nach dem Film benannt, aus diesem Umfeld ging in den Achtziger die Hackerszene hervor.
In Japan, USA und England kamen jeweils Videoversionen, später DVDs des Films auf den Markt. Der Soundtrack, komponiert von Dave Ball (Soft Cell), FM Einheit (Abwärts/Neubauten) und Genesis P-Orridge (Throbbing Gristle), ist so gut, dass er auch ohne Film als Industrial-Funk-Synthpop-Meisterwerk funktioniert. In Deutschland bleibt „Decoder“ bestenfalls Geheimtipp.
Dabei hat der Film eine prophetische, medienkritische Botschaft. Im Zentrum steht ein Konzern, der die Kunden einer Fastfood-Kette mit Muzak einlullt, wogegen ein Musiker (FM Einheit) aufbegehrt, der die Muzak mit Krach und Feedbackschleifen aus dem Walkman subvertiert. An seiner Seite ist die Sexarbeiterin Christiane (Christiane F), damals Sündenbock der Springerpresse. In Klaus Maecks kreativem Umfeld fand sie Wege aus ihrer Drogensucht.
Elektronische Revolution
Auch der Schriftsteller William S. Burroughs taucht in „Decoder“ in einem Cameo auf und nimmt einen Kassettenrekorder auseinander. Wie in seinem Essay „Elektronische Revolution“ angeleitet, werden in „Decoder“ Geräte gegen die Gebrauchsanweisung benutzt und stiften Aufruhr. In den postorwellianischen Zeiten von Elon Musk und Google wirkt „Decoder“ null Komma null naiv, wie er von der bornierten deutschen Filmkritik in den 1980ern heruntergeputzt wurde. „Information ist wie eine Bank. Unser Job ist es, die Bank auszurauben“, bekundet Genesis P-Orridge, der in „Decoder“ als Sektenführer auftritt.
Schon zu Schülerzeiten war Maeck an angloamerikanischer Underground-Literatur interessiert, begeisterte sich für die Werke von William S. Burroughs. Mitte der 1970er brachte er die Zeitschrift „Cooly Lully“ heraus, arbeitete im linken Hamburger Buchladen „Schwarzmarkt“. Da ist er längst von zu Hause weg. Als Fünfjähriger erlebt Maeck, wie sein jüngerer Bruder Max von einem Lkw überrollt wird.
Die Mutter kommt über den Tod nie hinweg. Seinen Vater, in der NS-Zeit bei der Waffen-SS, erlebt Klaus Maeck nur als prügelndes Ekel, das die Mutter misshandelt. Das Text-Ich sucht sich bald Ersatzväter in Literatur und Musik (Captain Beefheart). Familiäres Trauma wird Maecks Leben begleiten, auch wenn er schon in der Pubertät gegen die Enge des Alltags rebelliert, die Schule vorzeitig abbricht und auszieht.
Dias de los Muertos
In „Volle Pulle ins Verderben“ findet Maeck Trost auf Reisen. Mexiko, Peru, China, reportageartig taucht er ein in fremde Welten und blendet ab, bevor es zu ethnografisch wird. Nach Mexiko kehrt er regelmäßig zurück, um der mehrtägigen traditionellen Totenfeier „Dias de los muertos“ beizuwohnen.
Die elf Kapitel im Buch mischen Autofiktion mit Interviewausschnitten und Drehbuchskizzen. Zwischen jedem Kapitel ist eine Collage gesetzt. Zum Finale in einem lakonisches Cut-up-Gedicht mit unterschiedlichen Schrifttypen, blitzt die Medienguerilla kurz auf: „Virusarten im Quicktime-Garten der Ewigkeit“, Ende offen, trotzdem alles gut. Die Begebenheiten mögen haarsträubend sein, Klaus Maeck hat sie aufgeschrieben, das Anverwandeln hilft ihm beim Sortieren des Erlebten.
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