Neues BVG-Ticket in Berlin: Bloß nicht zu flexibel
Der Verkehrsbetrieb Berlin Brandenburg und die BVG werben für ihr neues Flexticket. Doch wer soll das nutzen?

taz | Berliner*innen wollen sich nicht binden. Das sagt man ihnen zumindest nach. Sie lieben die Provisorien, weil ja immer noch was Besseres kommen kann: die bessere Party, der bessere Freund, das bessere Angebot. In Berlin plant man nicht, hier schaut man einfach mal. „Du willst noch nichts Festes?“, fragt jetzt auch die BVG in ihrer Kampagne, mit der sie das neue Flexticket bewirbt. Für 40 Euro kriegt man seit 1. Januar ein Achter-Paket Tageskarten für den Bereich AB: Der Flextarif soll günstiger sein als haufenweise Einzeltickets und unverbindlicher als die Monatskarte.
Reagiert haben der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) und die BVG damit jedoch nicht etwa auf die Bindungsängste ihrer Kund*innen, sondern auf die „Veränderung der Arbeitsmobilität“. Auf gut Deutsch: Wer wegen der Pandemie die meiste Zeit im Homeoffice sitzt, braucht kein Monatsticket mehr. Nun also ein Mittelding für alle zwischen völliger Öffi-Enthaltsamkeit und Dauerfahrerei. Wer braucht das?
„Ein Monatsabo ist uns natürlich immer am liebsten“, sagt ein Sprecher der BVG. „Aber die Menschen sind einfach nicht mehr so viel unterwegs wie vor Corona.“ Und warum ausgerechnet acht Tickets? Man habe den Mittelwert der Bürotage aller Berliner*innen aufs Jahr hochgerechnet, durch zwölf geteilt und so die „Durchschnittsaufenthaltsdauer“ der Kund*innen am Arbeitsplatz bestimmt, so der VBB. Also dem Teil der Kundschaft, der nicht handwerkt, erzieht, pflegt oder putzt.
Gar nicht so viel Spielraum
Das Ergebnis: Das Gros der Berliner*innen nutze aktuell an acht bis zehn Tagen im Monat den ÖPNV. Aber bitte ohne Begleitung: Andere Menschen kann man mit den Flextickets nicht mitnehmen. Weder Erwachsene noch Kinder über sechs Jahren oder Fahrräder können mitfahren, auch nicht nach 20 Uhr oder am Wochenende. Da lassen sogar die regulären Monatskarten mehr Raum für Spontanität.
Sparsam fahren und das übrige Kontingent in den nächsten Monat mitnehmen geht ebenfalls nicht: Alle Tickets verfallen am Ende des Monats. Dafür gilt eine Fahrkarte – und das sei laut VBB der „Schatz des Tickets“ – gleich 24 Stunden. Das sei perfekt für Alleinerziehende, schließlich fahren die nicht nur zur Arbeit, sondern auch zur Kita, zum Kinderarzt oder zum Einkaufen. Aber doch nicht nur an acht von dreißig Tagen? Und ohne ihre Kinder?
Wer das Flexticket nutzen wird, bleibt also unklar. Denn die Büromenschen, die die Zielgruppe sein sollen, legen meist nur zwei Strecken zurück. Bei acht Tagen im Monat kommen sie mit Vierfahrtentickets für insgesamt 37,60 Euro günstiger weg. Wie der Flextarif bei den Berliner*innen ankommt, weiß die BVG noch nicht. Eine Umfrage auf ihrer Webseite soll Licht ins Dunkel bringen.
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