piwik no script img

Neues Album von Jazzerin Nala SinephroUnendlichkeit als Musiktherapie

Jazz meets Electronica: Die in London ansässige belgische Harfenistin Nala Sinephro mischt diese beiden Zutaten auf „Endlessness“ elegant zusammen.

Stufen des Erfolgs: Nala Sinephro Foto: Kris Tofjan

Wie aus einer Spielkonsole tönt ein pluckernder Synthiesound in Form eines Arpeggios: ein Akkord, dessen Töne nicht gleichzeitig erklingen, sondern kurz hintereinander abgespielt werden. Dieses Motiv wird in den weiteren Tracks des zweiten Albums der in London lebenden belgischen Harfenistin und Jazzkomponistin Nala Sinephro oft erklingen; bezeichnenderweise bedeutet der Titel ihres Albums „Endlessness“ auf deutsch Unendlichkeit.

Beim Auftaktsong „Continuum 1“ – die weiteren neun Stücke tragen den exakt gleichen Titel und sind zur Unterscheidung durchnummeriert – schmiegt sich bald schon das warme, luftig flatternde Saxofon von James Mollison (Ezra Collective) kontrapunktisch an das Arpeggio.

In den folgenden 45 Minuten steht das Motiv zwischendurch im Vordergrund, ein anderes Mal verschwindet es langsam, um erneut wie aus dem Nichts aufzutauchen. Mal langsamer oder von einem Instrument gespielt, dann wieder, wie beim Track „Continuum 8“, als Vorlage eines Drum-Pattern.

Ein Nerv mit der Harfe treffen

Sinephros großartiges Debütalbum „Space 1.8“ (2021), eine elegant erhabene Verschränkung von Jazz und elektronischem Ambientsound, traf mit seiner tröstlichen Anmutung im Jahr zwei der Pandemie einen Nerv beim Publikum. Kaum eine der enthusiastischen Plattenkritiken kam umhin, Sine­phros soghafte und doch beruhigende Musik als meditativ oder gar heilsam zu feiern – und Vergleiche zum Spiritual-Jazz einer Alice Coltrane zu ziehen.

Nala Sinephro

Nala Sinephro: „Endlessness“ (Warp/Rough Trade/Indigo)

Von der US-Jazzkünstlerin hörte Sinephro offenbar jedoch erst, als sie sich längst in ihre Harfe verliebt hatte. Auch die 28-jährige Belgierin, die schon seit einer Weile Teil der umtriebigen Jazzszene von London ist, nennt ihr Musikschaffen „therapeutisch“ – und berichtet in Interviews, ihre Synthesizer seien auf eine Frequenz von 432 Hertz gestimmt. Diese sorge für Klarheit, innere Ruhe und dergleichen.

An das Nachfolgealbum ging Sinephro, vielleicht aus Angst, sonst in einer Schublade zu laden, ziemlich anders heran. Musik will sie ganz sicher nicht als Entspannungs-App machen, dazu ist die Multiinstrumentalistin und Autodidaktin zu experimentierfreudig. Und dockt nicht zuletzt an ihre eklektizistische Sozialisation an, die auch bei ihren Sendungen für das britische Online-Radio NTS stets durchschien.

Jamsession statt Vorlesung

Aufgewachsen ist sie in einem musikaffinen Haushalt: Die Mutter Klavierlehrerin, der Vater Saxofonist mit karibischen Wurzeln. In ihre Jugend stürzte sie sich in die Brüsseler Hardcore-Techno-Szene. Später zog sie nach London, um Jazz zu studieren – was sie nach drei Wochen abbrach; ihr Jamsessions bei der dortigen Jazzszene erwiesen sich als zielführender. Schon bald arbeitete sie eng mit der Saxofonistin Nubya Garcia.

Auf dem neuen Album steuerten unter anderem Sheila Maurice-Gray, Trompeterin der Afrojazz-Band Kokoroko, und die beiden Schlagzeuger Morgan Simpson, vormals bei black midi, und Edward Wakili-Hick (Sons of Kemet) teils wilde Improvisationen bei.

Ihr Musikschaffen beschreibt Sinephro als „exercise in simplicity“. Diesmal lässt sie mit ihren Mit­strei­te­r:in­nen jedoch etwas Chaos zu, das stets nach seiner Auflösung strebt. Die Songs auf dem neuen Album sind alles andere als gleichförmig und doch schwer auseinanderzuhalten: Ein klanggewordener See, an dessen Oberfläche es Turbulenzen gibt, der stets jedoch nach Ausgleich strebt – wie Wasser es eben tut.

Dabei gelingt es Sinephro, Instrumente mit eindeutigem Image in ein neues Licht zu setzen: ihr Harfenspiel bedient kein Klischee entrückten Wohlklangs, sondern wirkt fast agitiert; die Streicher sorgen nicht für Überzuckerung, sondern erzeugen nüchterne Zurückgenommenheit.

Und das Arpeggio-Motiv dient nicht nur als Anker, sondern wird immer wieder neu kontextualisiert – auch wenn Sine­phros konsequentes Durchexerzieren ihres Konzepts bisweilen etwas ermüdet. Doch über weite Strecken gelingt ihr mit „Endlessness“ ein bemerkenswerter Spagat: Die kaum kategorisierbaren Tracks, eher Avantgarde-Electronica als Ambient, sind präzise und ausufernd zugleich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen