Neues Album von Bob Dylan: Der Nichtsänger zeigt Respekt
Lange wude das neue Dylan-Album „Shadows in the Night“ erwartet, diskutiert und überhöht. Nun lässt es den Hörer tatsächlich staunen.
Als Bob Dylan 1969 zum Schrecken seiner revolutionär gesinnten Hippie-Fans ein Countryalbum aufnahm und überdies mit dem damals als erzkonservativ verschrienen Johnny Cash musizierte, wurde die Verstörung seiner Hörer nicht zuletzt an der Stimme festgemacht. Er klang plötzlich, als habe er Stimmbildung bei den Regensburger Domspatzen genossen, sich dann aber doch für eine Karriere als Knödeltenor entschieden.
Glockenrein und zugleich künstlich gequält hörte sich diese Stimme an. Wo zu Beginn seiner Karriere noch vermeintlich authentisch Woody Guthrie aus Dylan heraussprach, war nun ein Roy Orbison für Arme am Start (mit Orbison stand Dylan dann später bei den Traveling Wilburys tatsächlich zusammen vor dem Mikrofon). Für das dylanologische Subgenre, das sich mit His Bobness’ Voice beschäftigt, ist „Nashville Skyline“ ein durchaus signifikanter Einschnitt: Hier ließ sich ziemlich genau erkennen, dass seine Stimme schon immer eine Kunststimme war, variabler als man es ihr zutraute – ein Produkt ästhetischer Entscheidungen.
Things have changed. Nun ist es freilich auch eine Leistung, seinen Stimmbändern über 50 Jahre hinweg systematisch tiefe Narben zuzufügen. Wer Dylan in der letzten Zeit hörte, live oder auf Platte, musste einsehen: Diesem rachitischen Bellen würde auch eine mehrjährige Kur auf dem Zauberberg keine Linderung mehr verschaffen können. Phrasierung und Timing wurden zwar immer prägnanter, die letzte Silbe jedes Verses steil gen Himmel gehoben. Nuancierter Gesang allerdings war vom Meister nicht mehr zu erwarten, und man musste sich sagen: Love it or leave it.
Und nun das! Ein neues Dylan-Album, das wie jedes seiner Alben lange vorher in der Dylan-Community ersehnt, diskutiert, überhöht wurde, macht den Hörer tatsächlich staunen. „Shadows in the Night“ ist ein merkwürdiges Ding. Nicht nur, dass Dylan singt, als hätte er die Stimmbänder ein bisschen abhobeln und mit Kreide behandeln lassen, geradezu sanft wispert er manchmal, wenn auch zuweilen bei langgezogenen Tönen recht wackelig.
Er trägt diesmal zudem keine eigenen Songs vor, sondern zehn lebensbegleitende Klassiker aus dem Katalog des Great American Songbook – von „I’m a Fool to Want You“ bis „Autumn Leaves“ –, allesamt Stücke zudem, die Frank Sinatra, der Verführerischste aller Crooner, im Programm hatte.
Der Nichtsänger
Sinatra war einer der ersten Sänger, der mit den Möglichkeiten der Studiotechnik spielte. Dank Mikrofon ließ er leise und zärtlich flüsternd eine ganz neue Intimität zwischen Sänger und Hörer entstehen. Er machte, schreibt Diedrich Diederichsen in seiner Popmusiktheorie, überhaupt erst „Nichtsänger“ möglich. Und Bob Dylan war so ein Nichtsänger. Ohne Verstärker hätte man ihn glatt überhört.
In einem exklusiven Interview für ein Seniorenmagazin (!) zur Einstimmung auf das neue Album sprach der 73-jährige Dylan von seiner Liebe zu diesen Standards und von seiner Bewunderung für Ol’ Blue Eyes: „Er hatte diese Fähigkeit, sich in einer Art Plauderton in einen Song hineinzuversetzen. Frank sang für dich – nicht nur auf dich ein. Ich wollte nie ein Sänger sein, der nur was vorsingt. Ich wollte immer für jemanden singen.“
Das gelingt ihm nun sogar mit diesen fast schon zu Tode interpretierten Klassikern, er schmeichelt, schlüpft geradezu in sie hinein, versucht zumindest, alles Kratzige aus seinem Vortrag zu eliminieren, ohne dabei Sinatra nacheifern zu wollen.
Es ist erstaunlich, mit wie viel Respekt sich Dylan den Songs und damit seinen Hörern nähert, wie er etwa „What I’ll Do“ von Irving Berlin als Liebesschmerzballade nicht zu Tode schmachtet, sondern ihrer Sehnsuchtsglut einfühlsam nachspürt, oder bei „Lucky Old Sun“ an die fast schon altersweise Version des späten Johnny Cash heranreicht.
Ein leichtes Knistern
Zurückhaltend arrangiert und mit seiner Working-Band (kein Klavier, keine Streicherteppiche!) wurden die der Opulenz durchaus zugänglichen Songs live eingespielt. Man hört Dylan am Mikrofon atmen, Luft holen, ein leichtes Knistern bürgt für Teilhabe, und dezente Bläsersätze sind unter die Stücke gelegt, als würde ein Westcoast-Jazzer aus den Fünfzigern dafür verantwortlich zeichnen.
„Shadows in the Night“ scheint wirklich eine Herzensangelegenheit zu sein. Seit vielen Jahren, erzählt Dylan, habe er über diese Aufnahme nachgedacht – seit er Willie Nelsons „Stardust“-Standards-Album, arrangiert von Booker T. Jones, Ende der siebziger Jahre gehört hat.
„Das wollte ich immer schon machen. Und ich fragte mich, ob noch jemand sonst das so empfand wie ich.“ Wohl eher nicht. Dementsprechend wurde das Album von Jack Frost produziert, dem Alter Ego von Bob Dylan. „Shadows in the Night“ ist eine weitere Facette der historischen Selbstvergewisserung Dylans.
Bob Dylan: „Shadows in the Night“ (Columbia/Sony)
Mit den circa 1.000 Eigenkompositionen, der Never-Ending-Tour, Bootlegs, Filmen, der Theme-Time-Radio-Hour, Kunstausstellungen, einer fragmentarischen Autobiografie schließt sich nun ein Kreis, und zugleich öffnet sich das imposante Werk immer weiter.
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