Neues Album der Jazz-Allstar-Band KUU!: Brain in Pain
Auf „Artificial Sheep“ setzt das Berliner Quartett KUU! dem Wahnsinn der Gegenwart einen friemeligen und ausfransenden Sound entgegen.
D er Wahnsinn der Welt ist dieser Tage manchmal schwer zu fassen – will man es aber versuchen, so sollte man es so machen wie die Band KUU!. Das Berliner Quartett, musikalisch zwischen Jazz, Indie, Prog-, Math- und Noiserock zuhause, widmet sich in seinem Song „Shepherd“ jenen Mitmenschen, die sich in einer irrationalen Parallelwelt eingerichtet haben. Sängerin Jelena Kuljić singt über „Qanon, pizzagate, illuminati turned into fate / a strain of madness arises out of thin air, easy answer has a firm flair“, sie singt vom „lonely brain in pain“, das Stück klingt wie ein an die Verschwörungsgläubigen gerichteter Bewusstseinsstrom.
„Shepherd“ ist so etwas wie der Titeltrack des neuen KUU!-Albums „Artificial Sheep“. Der Name des Albums referiert auf „Blade Runner“ und Philipp K. Dicks Romanvorlage „Do Androids Dream of Electric Sheep?“ (1968), Kuljić spielt in ihren Texten auf die Macht von Algorithmen und KI, auf Filterblasen und Echokammern an.
„Artificial Sheep“ ist das dritte Album von KUU! (finnisch „Mond“), die Band hat sich auch auf ihrem 2018er-Album „Lampedusa Lullaby“ schon mit großen politischen Themen auseinandergesetzt. Neben Schauspielerin und Musikerin Kuljić wirken noch die Berliner Szenegrößen Kalle Kalima (Gitarre und Bass), Frank Möbus (Gitarre) und Christian Lillinger (Schlagzeug) mit.
KUU!: „Artificial Sheep“ (ACT Records)
KUU! spielen einen sperrigen Sound, der live zu ganz großer Form aufläuft, hier aber auch auf Tonträger gut funktioniert. Für Einsteiger empfiehlt sich das Beastie-Boys-Coverstück „Sabotage“ (1994), das KUU! in ein Progrock- und Jazzstück überführen. Wie in vielen anderen Stücken macht es auch hier Spaß, den Wendemanövern der Rhythmussektion und den friemeligen Gitarrenklängen zuzuhören. Das zweite Coverstück, Arcade Fires „My Body Is A Cage“ (2007) ist etwas originalgetreuer, passt aber sehr gut in die pandemische Zeit.
„Artificial Sheep“ ist definitiv nicht nur für Jazzfans, am ehesten ist es als sehr gelungenes Postrock-Album zu bezeichnen, das angenehm abschweift und ausfranst in alle Richtungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!