Neuer Wehrdienst: Antritt im Bundestag verschoben
Selbst der Kanzler sieht den eigenen Gesetzesplänen skeptisch gegenüber. Die SPD reagiert entrüstet auf die Volten des Koalitionspartners.
Es sind Politiker der Union, die deshalb eine Nachschärfung des bereits beschlossenen Gesetzentwurfs fordern. Besonders pointiert hatte CSU-Chef Markus Söder auf eine strengere Regulierung gepocht. Er bezeichnete den Gesetzentwurf aus dem Verteidigungsministerium in der Bild am Sonntag als „Wischiwaschi-Wehrpflicht“, die niemandem helfe. „In Zeiten großer Bedrohung brauchen wir mehr als eine Fragebogen-Armee.“
Damit spielte Söder auf die Pläne an, auf die sich die Bundesregierung bereits im August geeinigt hatte. Demnach sollen ab dem 1. Januar 2026 alle Jugendlichen über 18 Jahren einen Brief von der Bundeswehr erhalten, in denen ihre Dienstbereitschaft abgefragt wird. Nur für junge Männer ist die Antwort verpflichtend, Frauen und andere Geschlechter können das Schreiben direkt in den Papierkorb werfen. Auf diese Weise soll die Zahl der Soldat*innen bei der Bundeswehr von derzeit knapp 183.000 auf 260.000 steigen.
Allerdings sehen die Reformpläne auch vor, dass die Regierung per Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundestags die Wehrpflicht wieder aktivieren könnte, sollte die „verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordern“. Ein Rechtsgutachten im Auftrag der Organisation Greenpeace befand diesen Mechanismus als verfassungswidrig, weil ein solcher Grundrechtseingriff nur per Gesetz im Bundestag beschlossen werden könne.
Die SPD ist verärgert
Die Union wünscht sich mehr Klarheit darüber, was zu tun wäre, wenn die Zielmarke der Soldat*innen nicht über das freiwillige Modell erreicht werden kann. So sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann, die Union wolle „mehr Verbindlichkeit“. Darüber werde „man in den nächsten Tagen mit der SPD sprechen“. Der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Thomas Erndl, sagte der taz, es brauche klare Vorgaben, was passiere, wenn die Ziele nicht erreicht würden. „Vor diesem Hintergrund kann die Freiwilligkeit tatsächlich zunächst der erste Schritt sein – dem dann aber klare Schritte folgen müssen, wenn sich nicht genügend melden.“
Auch Bundeskanzler Friedrich Merz äußerte Zweifel an der erhofften Wirkung des Gesetzes. „Ich vermute, es wird bei Freiwilligkeit allein nicht bleiben“, sagte der CDU-Chef am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Caren Miosga“. Merz sprach in dem Zusammenhang auch über die Forderung, ein verpflichtendes Dienstjahr für alle jungen Menschen einzuführen. Dazu braucht es allerdings eine Grundgesetzänderung, wofür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig wäre.
In der SPD ist man verärgert über die Bedenken auf Seiten der Union. „Wir haben uns in der Koalition auf einen ganz klaren Weg verständigt: Das ist der freiwillige Wehrdienst“, sagte Generalsekretär Tim Klüssendorf am Montag in Berlin. Er könne nicht nachvollziehen, dass dies aus den Reihen von CDU und CSU infrage gestellt werde.
Die Linke war der Bundesregierung „unprofessionelles Arbeiten“ vor. Die Verschiebung der parlamentarischen Debatte offenbare außerdem „die tiefen inhaltlichen Differenzen“ innerhalb der Regierungskoalition, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der Fraktion, Ulrich Thoden, der taz. Die Partei lehne den Gesetzentwurf grundlegend ab. „Die Personalbedarfsplanungen sind an das Ziel gekoppelt, die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee in Europa aufzurüsten.“ Die Linke befürworte dagegen eine Bundeswehr, die die äußere Sicherheit Deutschlands zu garantieren vermöge, was mit geringeren Streitkräften möglich sei.
Auf Seiten der Zivilgesellschaft sorgen die Diskussionen in der Regierung für Kopfschütteln. „Es ist schon originell, dass es nun doch zu einer Verschiebung kommen soll, obwohl man sich angeblich trotz Widerständen im Vorfeld schon geeinigt hatte“, sagte Cornelia Mannewitz von der Friedensgesellschaft DFG-VK. Die Debatte zeige, wie sehr konservative Kräfte offensichtlich die Rückkehr zu einer „richtigen“ Wehrpflicht wollen.
Mannewitz forderte eine „breite gesellschaftliche Debatte“ darüber, was nun vor allem auf junge Menschen zukomme. „Denn lange Jahre hat die Wehrpflicht in ihrer Lebensplanung keine Rolle gespielt.“ Angesichts „des permanenten Säbelrasselns“ ändere sich das erst allmählich. „Vor allem die jungen Menschen müssen sich darüber klarwerden, was jetzt auf sie zukommt.“
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