Neuer Medienstaatsvertrag: Regeln online und offline
Der Entwurf des neuen Medienstaatsvertrags steht online. Änderungen betreffen Zockervideos, „Medienintermediäre“ und Tabakkonzerne.
Nächstes Jahr soll er endlich kommen: der neue Medienstaatsvertrag. Seit Jahren wird daran gearbeitet, seit Anfang Juli ist ein neuer Entwurf online – und wie schon beim letzten Entwurf vor einem Jahr dürfen Verbände und Bürger der Rundfunkkommission ihre Meinung sagen. Medienstaatssekretärin Heike Raab koordiniert das alles in der Rundfunkkommission für das Vorsitzland Rheinland-Pfalz. Schon beim letzten Entwurf vor einem Jahr wäre über 1.200 Mal Feedback gesendet worden. Diesen Dialog wolle man fortsetzen.
Die Zeit für die Rundfunkkommission drängt: Bis September 2020 muss der neue Staatsvertrag stehen, sonst verpasst man eine EU-Frist. Drängender jedoch: das Internet und der Zeitgeist. Denn seit Jahren produzieren nicht mehr nur Radio- und Fernsehsender Sendungen, sondern auch Privatmenschen und professionelle YouTuber und Streamer. Der Medienstaatsvertrag soll nun auch an sie angepasst werden. Erster Schritt: Die altbackene Verbreitungsmethode „elektromagnetische Schwingungen“ wird durch „Telekommunikation“ ersetzt.
Die Rundfunkkommission wolle nun kommunikative Chancengleichheit sichern, so Raab. „Offline und online.“ Es geht um gemeinsam akzeptierte Regeln, „die unsere gemeinsamen Werte und Standards sichern“. Im Fernsehen, beim Streamen und Intermediären. Das könnte in vielen Fällen auch für mehr Klarheit sorgen.
Wie unklar die aktuellen Regelungen aussehen, zeigt der Fall von PietSmiet. Sie gehören zu den Großen der deutschsprachigen Let’s-Player, ihre Zocker-Sessions wurden allein auf einem ihrer YouTube-Kanäle über zwei Milliarden mal aufgerufen. Ihren beliebten Twitch-Kanal, auf dem sie rund um die Uhr alte Videos zeigten, sperrten sie 2017 trotzdem. Denn für die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) war er ein Rundfunkangebot, hätte also eine Lizenz benötigt. „Aus prinzipiellen Gründen“ entschieden sich PietSmiet allerdings dagegen. Kollege Gronkh hingegen besorgte sich eine Lizenz. Eine einheitliche Linie existiert bisher offensichtlich noch nicht.
Grundlegende Neuerungen
Aktuell gilt als Rundfunkangebot jedes lineare Medienangebot, das sich an mehr als potenziell 500 gleichzeitige User*innen richtet, journalistisch-redaktionell gestaltet ist und einem Sendeplan folgt. Wann ein Stream jedoch einem Sendeplan folgt, ist Interpretationssache, 500 potenziell gleichzeitige Nutzer*innen für viele Let’s-Player eine lachhaft kleine Zahl.
Um die Streamer*innen zu entlasten, wird jetzt also eine neue Grenze vorgeschlagen. Wer durchschnittlich weniger als 20.000 Zuschauer*innen im Monat hat, muss sich nicht mehr umständlich um eine Rundfunklizenz bemühen. Das schützt vor allem Privatpersonen. Profis knacken diese Grenze locker, müssen also eine Lizenz beantragen, die bis zu 10.000 Euro kosten kann. Im ersten Vertragsentwurf sah das noch anders aus. Dort gab es eine Hintertür für die Let’s-Gamer: Programme, die „vorwiegend dem Vorführen und Kommentieren eines virtuellen Spiels dienen“, waren von der Regelung ausgeschlossen. Diese Ergänzung ist nun gestrichen.
Eine grundlegende Neuerung im Entwurf ist eine neue Kategorie, die sogenannten „Medienintermediäre“, Telemedien, die auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter „aggregieren, selektieren und allgemein zugänglich machen“. Im Entwurf vor einem Jahr war dabei noch explizit von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und News-Aggregatoren die Rede. Wer aktuell in die Kategorie fällt, ist nicht klar. Wikipedia? Facebook? Google News? Auf jeden Fall dürfen sie nicht grundlos einzelne Beiträge von Dritten präferieren oder diskriminieren. Außerdem müssen sie transparent machen, welche Kriterien sie bei der Auswahl und Sortierung der Beiträge anwenden, und müssen Inhalte von öffentlichem Interesse besonders sichtbar machen.
Am 9. August endet die Frist für die Stellungnahmen, danach macht sich die Rundfunkkommission an die Auswertung. Im Herbst soll dann eine Entscheidung fallen. Eine skurrile Änderung zum Schluss: Das Verbot für Tabakhersteller, Sendungen zu sponsern, wurde gestrichen. In Zukunft könnten wir also im Fernsehen oder auf Twitch bald in den Genuss von Kippen-finanzierten Inhalten kommen. Warum auch immer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Gespräche in Israel über Waffenruhe
Größere Chance auf Annexion als auf Frieden