Neuer Hype „Mouth Taping“: Angesteckt im Freundeskreis
Die Freunde unserer Kolumnistin kleben sich den Mund zu, um besser zu schlafen. Ist da was dran? Und warum beeinflussen uns unsere Freunde so sehr?
![Eine Rolle Klebeband Eine Rolle Klebeband](https://taz.de/picture/7085969/14/Influencer-Freunde-Mouth-Taping-1.jpeg)
M it Freunden in den Urlaub fahren ist auch deshalb so schön, weil man im Bett kurz vorm Schlafen die besten Gespräche hat. Aber meine Reisebegleitung klebt sich den Mund mit einem H-förmigen Tape zu. Er winkt noch von seiner Matratze „Gute Nacht“ und der Rest ist mhh hm mhhh.
Mein Kumpel ist dem Mouth-Tape-Trend verfallen. Deswegen sieht er beim Schlafen so aus, als wäre er gekidnappt worden. Durch den zugeklebten Mund atmet man im Schlaf nur durch die Nase. Morgens soll man sich fitter fühlen, nicht mehr mit staubtrockenem Rachen aufwachen und auch die Mundhygiene soll sich verbessern. Wissenschaftlich bewiesen ist das alles nicht. Aber tatsächlich ist es gesünder durch die Nase zu atmen, weil unsere Nasenhaare die Luft filtern und sie aufgewärmt wird.
Mouth Taping geisterte vor einigen Monaten durch Social Media, aber da schaffte der Trend es nicht in mein Schlafzimmer. Dass Schauspielerinnen und Fußballstars gerne zugeklebten Mund tragen, ließ mich kalt. Schließlich war weniges so befreiend wie das Ende der Zahnspangenära. Jahrelang hat sie mich beim Einschlafen gestört, meinen Mund versperrt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Aber bei einem Tape-Anhänger ist es in meinem Freundeskreis nicht geblieben. Sie alle schwärmen: „Ich habe noch nie so tief geschlafen“, „ich fühle mich fit wie nie“, „ich fahre damit vorm Einschlafen komplett runter“.
Ich merke, meine Freunde haben eine einflussreichere Wirkung auf mich als jede Influencerin. Ich vertraue ihnen ja auch sonst mein Leben an: Ist der Typ ein Reinfall? Kann ich das so sagen? Steht mir diese Hose? Wenn sie sich also nachts den Mund zukleben, könnte mir das nicht auch guttun?
Unsere Peergroup beeinflusst uns am meisten
Von sozialer Ansteckung spricht die Forschung. Unsere Peergroup kann uns am besten beeinflussen. Es gibt zig Studien, die das bestätigen. Wir gehen zum Beispiel häufiger Blut spenden, wenn das in unserem Umfeld ein Ding ist. Und wir lassen uns stärker vom Gähnen unserer Freunde anstecken als von der Sitznachbarin in der U-Bahn. Wir sind völlig freundbestimmt.
Der Ansteckungseffekt kann sogar politisch relevant werden. In Nachbarschaften mit Solar auf dem Dach wurden immer mehr Anlagen installiert. Solar-Hotspots entstanden, weil alle dazugehören wollten. So wichtig wird das hier nicht, aber ich will jetzt das Tape testen.
Ich vergewissere mich noch, dass ich nicht ersticke, sollte meine Nase nachts verstopfen. Aber unser Gehirn hat wohl einen Notfallmechanismus und wir wachen auf, wenn wir nicht genug Luft bekommen.
Weil ich keine Lust habe das Profitape in H-Form zu kaufen (ein Monat Mund zukleben für 19,99 Euro), schneide ich Pflastertape in zwei schmale Streifen und klebe sie als X über meine Lippen.
Schnell fühlt sich meine Zunge schwer an, als wäre sie zu groß für meinen Mund. Ich versuche es zu ignorieren, wie wenn es im Sommer zu heiß zum Einschlafen ist. Nicht bewegen und aushalten.
Im Schlaf muss ich mich von dem Klebeband befreit haben. Am Morgen klebt es über meinem Bett an der Wand. Auch die zweite Nacht halte ich nicht durch. Ich werde fast stündlich wach und gebe auf.
Wie weit die Macht des sozialen Ansteckens wohl geht? Vielleicht sollte ich das mal testen und meinen Freunden raten, mit einem Kieselstein im Schuh durch die Gegend zu laufen. Das trainiert nämlich die Resilienz.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!