Neuer Bericht des Weltklimarats IPCC: 1,5-Grad-Grenze wohl bald erreicht
Die Klimakrise macht das Leben auf der Erde gefährlicher. Der Weltklimarat zeigt, was dagegen zu tun ist: CO2-Emissionen bis 2030 halbieren.
Es war ein Paukenschlag, als der Weltklimarat im Jahr 2018 feststellte: Es wäre gefährlicher als zuvor gedacht, die Erde um mehr als 1,5 Grad aufzuheizen – aber um das zu verhindern, müssten sich die CO2-Emissionen bis 2030 fast halbieren. Das waren schließlich nur zwölf Jahre für einen unvorstellbar großen Umbau der Weltwirtschaft.
Fünf dieser wenigen Jahre sind nun schon um, aber die Zahlen haben sich kaum verändert. Im Vergleich zum Jahr 2019 müssten die globalen CO2-Emissionen bis 2030 um 48 Prozent sinken, 2050 praktisch bei null liegen, heißt es in dem neuen Bericht. Seit 2019 sind die globalen Emissionen eher noch weiter angestiegen, statt zu sinken. Das Problem wird also größer statt kleiner.
„Wir müssen anfangen, uns ernsthaft mit der Welt jenseits von 1,5 Grad Erderhitzung zu beschäftigen“, sagte der Klimawissenschaftler Oliver Geden am Montagmorgen, einer der Autor:innen des Berichts. Selbst unter optimistischen Emissionsszenarien wird die Marke „kurzfristig“ wahrscheinlich erreicht, in Szenarien mit höheren Emissionen noch überschritten.
Nachträgliche Temperatursenkung ist schwierig
Mit jedem Zehntelgrad steigt das Risiko für mehr extremes Wetter, das zum Beispiel zu Zerstörung, Hitzetoten, Krankheiten und Verletzungen, Ernteausfällen und Hunger führen kann. Hinzu kommen schleichende, langfristige Folgen wie der Anstieg des Meeresspiegels, der zahlreiche Küstenstädte und ganze Inselstaaten dem Untergang weihen könnte.
Es ist theoretisch möglich, die Temperaturen nachträglich wieder zu senken. Dafür müsste die Menschheit klimaneutral werden und der Atmosphäre anschließend sogar Treibhausgase entziehen. Die Rede ist dann von „negativen Emissionen“. Das geht durch Aufforstung oder auch verschiedene Technologien, die aber noch an ihrem Anfang stehen.
Für ihren Einsatz in allzu großem Maßstab bestehen laut Weltklimarat „Machbarkeits- und Nachhaltigkeitsbedenken sowie soziale und ökologische Risiken“. Hinzu kommt: Einmal verloren gegangene Ökosysteme wie Korallenriffe kann man nicht wiederbeleben.
Der Weltklimarat gilt als Goldstandard der Klimawissenschaft. Führende Forscher:innen aus verschiedenen Fachgebieten kommen dort zusammen, um den aktuellen Wissensstand der Menschheit zur Klimakrise zusammenzutragen. In ihre Berichte fließen Tausende von Studien ein. Manchmal bringt der Weltklimarat Sonderberichte zu einzelnen Themen heraus. Alle paar Jahre geht es aber um einen Rundumschlag zur Klimakrise im Allgemeinen – so wie jetzt, zum mittlerweile sechsten Mal.
Diese sogenannten Sachstandsberichte erscheinen in vier Teilen. Im ersten geht es um physikalische Grundlagen des Klimawandels, im zweiten um die praktischen Folgen für Natur und Gesellschaft, im dritten um Handlungsoptionen für den Klimaschutz. Zum Schluss erscheint ein Synthesebericht, der die Erkenntnisse aus allen Teilen zusammenführt. Dieses Werk ist es, das am Montag erschienen ist.
Folgen der Klimakrise lange unterschätzt
Eine der unbequemen Wahrheiten darin: Die Folgen der Klimakrise wurden lange unterschätzt. In den vergangenen Jahren ist die Forschung immer genauer geworden. „Für jedes Level an Erwärmung sind viele der klimawandelverbundenen Risiken größer, als es im fünften Sachstandsbericht festgestellt wurde“, steht in dem aktuellen Dokument.
Technisch wäre die nötige Emissionsminderung machbar und sogar wirtschaftlich sinnvoll, ergibt sich aus dem Bericht. Schlüsseltechnologien für eine klimaneutrale Welt sind im vergangenen Jahrzehnt deutlich billiger geworden, Solarstrom und Batterien zum Beispiel um 85 Prozent, Windstrom um 55 Prozent. Dem Report nach fließt aber immer noch mehr Geld in die fossile Infrastruktur, die die Klimakrise weiter antreibt, als in Klimaschutz und -anpassung.
„Wir haben es leider in den letzten Jahren dringlicher werden lassen, wir haben nicht schnell genug gehandelt“, sagte der Klimawissenschaftler Matthias Garschagen, der ebenfalls zu den Autor:innen des Berichts gehört. „Wir sehen den Klimawandel viel, viel stärker als vor einigen Jahren. Gleichzeitig haben wir es noch in der Hand, das Allerschlimmste abzuwenden. Aber dieses Fenster schließt sich rapide.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative