Neuer Aufbruch in der Arbeitsforschung: Ständig in Alarmbereitschaft

Roboter und Digitalisierung reduzieren die körperlichen Belastungen am Arbeitsplatz. Der psychische Stress hingegen wird größer.

Nach Einbruch der Dunkelheit sitzt ein Angestellter in seinem Büro am Schreibtisch

Der Stress am Arbeitsplatz hat zugenommen. Foto: dpa

BERLIN taz | Als in den 70er Jahren unter Forschungsminister Hans Matthöfer die „Humanisierung des Arbeitslebens“ zum Wissenschaftsthema wurde, da waren die Fabrikarbeitsplätze dreckig, laut und unfallgefährlich. Heute sind die Belastungen der 42 Millionen arbeitenden Menschen in Deutschland zu großen Teilen anderer Natur. Durch Roboterisierung und Digitalisierung sinkt die körperliche Arbeitsbelastung, dafür nehmen psychischer Stress bis hin zu Burnout und Depression als Berufskrankheiten massiv zu.

Die neuen Aufgaben der Arbeitsforschung diskutiert diese Woche in Berlin der Kongress „Arbeit in der digitalisierten Welt“ des Bundesforschungsministeriums im Rahmen der Hightech-Strategie. „Durch die digitale Transformation mit ihren Datenwelten wird die Arbeit zeitlich, räumlich und strukturell entgrenzt“, erklärte Wilhelm Bauer, Leiter des Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart. Die Arbeitsforschung müsse daher „neue Wege einer systemischen Arbeitsgestaltung“ aufzeigen. Bauer: „Sozio-technische Innovationen sind gefragt.“

Während bei der Entwicklung der „Industrie 4.0“, der voll digitalisierten Fabrik, die Forscher bisher nur mit der Unternehmerseite kooperierten, sind im neuen Forschungsprogramm auch die Beschäftigten mit von der Partie. Die Tagung wurde daher neben Forschungsministerin Johanna Wanka und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer auch vom DGB-Chef Reiner Hoffmann eröffnet. Die These des Gewerkschafters: „Die Arbeit der Zukunft wird nicht grundsätzlich von neuen Technologien beherrscht.“

Um einen eigenen Wissens-Pool aufzubauen, hat die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung in der vergangenen Woche eine Expertenkommission „Arbeit der Zukunft“ gestartet. Geleitet wird sie von der Soziologin Kerstin Jürgens von der Universität Kassel und dem DGB-Vorsitzendem Reiner Hoffmann.

Die Gewerkschaftsforscher treibt die Frage um, wie in Zeiten fortschreitender Globalisierung, Digitalisierung und demografischen Wandels die „Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung der Beschäftigten besser statt schlechter werden und sich Arbeit und Leben leichter vereinbaren lassen“. Mit Organisation statt Technik, nämlich durch „eine neue Arbeitszeitpolitik“, so Soziologin Jürgens, könnte die „sich abzeichnende Krise der Reproduktion entschärft“ werden.

Nach Erhebungen der Krankenkassen sind inzwischen 14,6 Prozent des Gesamtkrankenstandes auf psychische Erkrankungen und Erschöpfung am Arbeitsplatz zurückzuführen. „Viele Beschäftigte erleben, dass sich frühere Belastungsspitzen im Arbeitsvolumen als neuer Standard erweisen und man sich ständig in Alarmbereitschaft befindet“, stellt Kerstin Jürgens fest.

Arbeiten, ohne krank zu werden

Mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement – gut gemeint – würden aber nicht die Ursachen erfasst, sondern lediglich die „Symptome von Arbeitsüberlastung und Verschleiß“. Schlimmer noch: die Entspannungsübungen setzen die Beschäftigten, so Jürgens, „unter Druck, ihre Anpassungsfähigkeit zu optimieren“. Arbeiten, ohne krank zu werden – die Arbeitsforschung muss nach neuen Wegen suchen.

In insgesamt 10 Sitzungen befasst sich die BMBF-Tagung mit sozialen und technischen Innovationen in der Industrie 4.0, dem „Digital Working und Crowd Working“ als neuen Arbeits- und Beschäftigungsformen für die Zukunft sowie der Harmonisierung von Arbeit und Privatleben in einer zunehmend digitalisierten Welt.

Thematisiert werden auch das vernetzte Lernen, die Nutzung von Gestaltungsspielräumen für Arbeit durch Automatisierung sowie die Frage, ob den „digitalen Belegschaften und digitalen Arbeitsplätzen auch eine digitale Führung“ folgen müsse.

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