Neue italienische Regierung: Die Fünf Sterne sind jetzt schnuppe
Die Fünf-Sterne-Bewegung bildet eine Koalition mit der rechtsextremen Lega. Der Exberater von Beppe Grillo hält das für einen Verrat an ihrer Idee.
S eit Freitag steht sie also, die 69. Regierung der Repubblica Italiana, am Nachmittag wurde sie nach einigem Hin und Her in Rom vereidigt. An die Macht kommen nun die älteste und die neueste Partei Italiens: die rechtsextreme Lega (17 Prozent Wähleranteil), zum dritten Mal seit 1994, und die Fünf-Sterne-Bewegung (32 Prozent), eine Rechts-Mitte-links-Partei, geschaffen vom E-Marketing-Guru Gianroberto Casaleggio, der 2016 verstarb, die unter dem Komiker Beppe Grillo groß herauskam.
Ich bin überzeugt davon, dass diese Regierungsbeteiligung den Fünf Sternen zum Verhängnis wird. Als Wegbegleiter und Ghostwriter von Grillo erlaube ich mir eine klare Empfehlung: Die Fünf Sterne sollen sich vor sich selbst retten, zu ihren Gründungsprinzipien zurückkehren und in der Opposition reifen – je früher, desto besser. Aber erblindet vom angeblichen Triumph merken nur wenige, dass mit dem Regierungseintritt das grandiose Fünf-Sterne-Projekt grandios gescheitert ist.
Die Fünf-Sterne-Bewegung war nie eine Partei wie jede andere. Allein zu regieren, das war immer ihr Ziel. Ihr Schlachtruf: Alle nach Hause! Entweder wir oder sie! Aber „sie“, also die anderen Parteien, haben am 4. März die Wahlen gewonnen. 40 Millionen der 51 Millionen Wahlberechtigten haben nicht die Fünf Sterne gewählt. Damit ist der immer noch verkündete Anspruch, „die Bürger“ gegen „die Kaste“ zu vertreten, passé. Dieser hohe Anspruch, den „Mumien der Parteien“ etwas entgegen zu setzen.
Wie hat es Parteichef Luigi Di Maio ausgedrückt? „Man kann sich nicht mit den Tätern des Massakers des Landes verbünden, mit denen, die die Probleme geschaffen haben, um sie zu lösen.“ Man kann es offenbar doch.
65, war seit 1992 Berater und Ghostwriter von Beppe Grillo, dem Mitgründer der Fünf-Sterne-Bewegung. Er lehrt Umweltpolitik an der ETH Zürich.
Nix mit „Tutti a casa!“
Das pompöse „Tutti a casa!“-Projekt der Fünf Sterne wird nun kommentarlos begraben – und mit ihm die ursprünglichen Fünf Sterne. Aldo Giannuli, ein Politikwissenschaftler, der jahrelang mit der Bewegung zusammenarbeitete, schreibt: „Der Staatsstreich, aus dem Ende 2017 die zweite Fünf-Sterne-Bewegung hervorging, begann im Sommer 2016. Die bisherige Fünf-Sterne-Bewegung wurde ohne Mitgliederabstimmung aufgelöst, und es wurde eine neue gegründet, mit einem Statut, das von niemandem gebilligt wurde.“ Nach der Wahl vom 4. März begannen die „zweiten“Fünf Sterne mit „den Mumien der Parteien“ zu verhandeln, 88 Tage lang, um doch in einer Regierung zu landen.
Dank dieser Pirouette hat die Bewegung jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Wer die Koalition nicht gut findet, wird der Partei den Rücken kehren, Wähler, einfache Mitglieder und auch Mandatsträger. Schon seit 2013 haben die Fünf Sterne 50 ihrer 180 Sitze im italienischen Parlament und im EU-Parlament verloren.
Regieren heißt Stellung zu beziehen. Das ist jedoch nicht kompatibel mit der echten Identität der Partei – der Ambivalenz. „Wir sind ein wenig rechts, ein wenig links, ein wenig christdemokratisch. Wir passen uns allem an“, sagte Beppe Grillo einmal. Und am Wahlabend rief ein strahlender Di Maio die Geburt einer „Republik der Bürger“ aus. Allerdings: Sind die 40 Millionen Wähler, die nicht Fünf Sterne gewählt haben, vielleicht keine Bürger? Bald werden dann die Fünf Sterne entdecken, dass die Bürger unterschiedliche Interessen haben.
Viele wollen mehr Wirtschaftswachstum, einige wollen weniger. Manche wollen mehr Privatisierungen, andere mehr öffentliche Unternehmen. Mehr fossile Brennstoffe oder mehr erneuerbare Energien. Mehr Einkommen für die Reichen oder mehr für die Armen. Mehr Autobahnen oder mehr Fahrradwege. Den Rückzug oder den Verbleib im Euro. Und so weiter.
Die Linke als das absolute Übel
Gäbe es diese Differenzen nicht, so würde eine einzige „Partei der Ehrlichen“, so die Fünf Sterne, ausreichen, um die „Interessen der Bürger“ durchzusetzen. Regieren heißt in Wahrheit aber, für jemanden einzutreten: entweder für die Bevorzugung der Schwachen oder die der Starken oder für die Aufrechterhaltung des Status quo – also auch für die Bevorzugung der Starken.
Während der Regierungsverhandlungen bemerkten die Fünf-Sterne-Wähler, dass sie einen Blankoscheck für eine Koalitionsregierung erteilt haben. Es hätte ein Bündnis mit dem Partito Democratico werden können. Diese Option würde wahrscheinlich von den siebzehn Fünf-Sterne-Abgeordneten im Europäischen Parlament bevorzugt, die meistens zusammen mit der Vereinten Europäischen Linken und den Grünen abstimmen. Aber die Parteiführung hatte andere Pläne.
Regierungsbildung Nach drei Monaten Chaos kommt in Italien erstmals eine europakritische Regierung an die Macht, die stramm nach rechts strebt. „Fünf Sterne“ und rechte Lega hatten sich am Donnerstag im zweiten Anlauf geeinigt.
Erster Versuch Zuvor hatte Eurokritiker Paolo Savona unter Ministerpräsident Giuseppe Conte Finanzminister werden sollen – doch der Staatspräsident legte sein Veto ein.
Fünf-Sterne-Bewegung Das europakritische und als populistisch kritisierte „Movimiento 5 Stelle“ sieht sich weder rechts noch links.
Sie arbeitet schon länger an einer Koalition mit der Lega. Seit einem Jahrzehnt schon verunglimpfen die Fünf-Sterne-Medien den Partito Democratico und die Linke als das absolute Übel („Kotzbrocken“, „Ihr müsst sterben“); gegen die Rechten wurde nie agitiert. Die Fünf-Sterne-Leute wurden zum Hass gegen links aufgestachelt, viele linke Fünf-Sterne-Anhänger verließen die Partei, und es kam neues rechtes und rechtsextremes Personal.
Es ist ein Paradox: Mit einer Lega-Fünf-Sterne-Koalition führt eine Bewegung, die entstand, um „die Parteien, die dieses Land zerstört haben, nach Hause zu schicken“, plötzlich zur Restauration einer diskreditierten Regierungsmacht – die Lega von Matteo Salvini.
Kein Gefängnis dank der Lega
Salvini – notabene – ist Chef nicht nur der Lega, sondern auch der bestehenden rechten Allianz aus Lega, Forza Italia (Berlusconi), und Fratelli d’Italia (Faschisten), die auf 37 Prozent der Stimmen kam. Die angebliche „Regierung des Wandels“ inthronisiert nun wieder die älteste italienische Partei, gegründet 1989, die einzige überlebende der diskreditierten „ersten“ Republik.
Den Fünf Sternen scheint es egal zu sein, dass es Spitzenmänner der bisherigen Koalition, Silvio Berlusconi und Cesare Previti, der Lega zu verdanken haben, dass sie keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen mussten. Und das, obwohl sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
Die Fünf Sterne haben noch ein anderes Problem: In zehn Jahren ist es der Partei nicht gelungen, intern politische Persönlichkeiten zu finden oder heranzuziehen, die in der Lage wären, alle Ministerposten zu besetzen. Wichtige Ministerien und selbst das Amt des Ministerpräsidenten werden nun mit parteifremden Technokraten besetzt – wobei die Fünf Sterne solche immer heftig kritisiert haben. Die gleiche Unreife gilt für den Parteichef Luigi Di Maio, 31 Jahre alt.
Wie kann man Italien einem Politikneuling anvertrauen, der weder in der Lage war, sein Studium abzuschließen noch eine sinnvolle berufliche Tätigkeit auszuüben? Der nie Exekutiv-Verantwortung trug, nicht einmal in einer kleinen Gemeinde? Wie soll jemand mit diesem Profil auf Anhieb ein G7-Land regieren? In den Trash-TV-Talkshows zu brillieren ist nicht dasselbe, wie mit den Staats- und Regierungschefs der Welt auf Augenhöhe zu verhandeln.
Reift erstmal!
Wenn die Fünf-Sterne-Bewegung ihre Widersprüche überwinden und vielleicht eines Tages das Land wirklich reformieren will, braucht sie drei Dinge.
Erstens: eine Rückkehr zu den ursprünglichen Prinzipien, die den ökologischen und sozialen Wandel in den Vordergrund stellen. Zweitens: die Bildung einer wahren politischen Elite. Und schließlich den Verzicht auf die Fünf-Sterne-typische Politik der systematischen Beleidigungen, des Grolls, des Hasses und der Aberkennung der Legitimation der politischen Konkurrenten.
Vielleicht wäre dann die Fünf-Sterne-Bewegung reif genug, wirklich mehr als die Hälfte der Wähler zu vertreten – wie sie immer beteuerte – und alle verhassten Parteien wenn nicht „nach Hause“ zu schicken, dann zumindest in die Opposition.
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