Debatte Italiens neue Regierung: Ciao, Establishment

Viele in Europa fürchten die neue populistische Regierung in Rom. Was die Allianz aus Fünf Sternen und Lega beabsichtigt, ist noch offen.

An einem Nudelschöpfer hängen wirre Spaghetti

Noch ist völlig unklar, wie radikal die Wende der neuen Regierung ausfällt Illustration: Imago/Ikon Images

War’s das jetzt? Wenn man einem großen deutschen Nachrichtenmagazin glauben darf, hängt die Zukunft Europas zwar nicht an einem seidenen Faden – wohl aber an einer Spaghetti, geknotet zum Henkerstrick. Damit auch wirklich jeder begreift, was droht, heißt es unter der kunstvoll gerollten Nudel auf dem Titelblatt des Spiegel: „Ciao Amore! Italien zerstört sich selbst – und reißt Europa mit.“

Wahr ist, dass die EU und Italien vor einem Novum stehen. In Rom hat sich eine Regierung gebildet, die ganz ohne Parteien aus den traditionellen europäischen Familien, den Sozial-, den Christdemokraten, den Liberalen auskommt. Selbst bei Silvio Berlusconis Wahlsieg 1994 war das anders. Er nämlich hatte eine kleine christdemokratische Partei mit im Boot und trat mit seiner Forza Italia dann selbst, gesponsert von Helmut Kohl, der Europäischen Volkspartei bei.

In Rom dagegen ist jetzt eine lupenreine Anti-Establishment-Regierung am Ruder, getragen von der Protestbewegung der Fünf Sterne und der radikal rechten, fremden- und EU-feindlichen Lega, die in den letzten Jahren einen U-Turn vom Sezessionismus der reichen Nordregionen zum souveränistischen „Italien zuerst!“ hingelegt hat.

Gewonnen haben diese beiden Parteien – sie vereinten bei den Wahlen vom 4. März insgesamt 51 Prozent der Stimmen auf sich – mit dem Versprechen, alles werde sich ändern, und nicht umsonst haben sie jetzt ihre Koalition „Regierung der Wende“ getauft. Doch noch ist völlig offen, wie radikal diese Wende ausfällt.

Die Agenda der neuen Regierung

Vorneweg allerdings ist festzuhalten, dass Fragen der EU und des Euro im letzten Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielten, dass die Italiener mitnichten „gegen Europa“ votiert haben, sondern gegen ihre traditionellen Parteien, gegen die Misere des Landes, für die Heilsversprechen des Movimento 5 Stelle (M5S) unter Luigi Di Maio und der Lega unter Matteo Salvini. Und wenigstens die Berufung des eingefleischten Proeuropäers Enzo Moavero Milanesi zum Außenminister – der Technokrat diente schon in den Regierungen unter Mario Monti und Enrico Letta (2011 bis 2014) als Europaminister – macht deutlich, dass die M5S-Lega-Regierung den Frontalzusammenstoß mit der EU vorerst nicht auf der Agenda hat.

Fürchterlich schiefgehen kann die Sache dennoch, gleichsam als ökonomischer und politischer Selbstläufer. Die letzte Woche lieferte einen Vorgeschmack: Das Veto des Staatspräsidenten Sergio Mattarella gegen den zum Schatzminister ausersehenen, in den letzten Jahren mit eurokritischen Tönen aufgefallenen Paolo Savona und damit die Aussicht auf schnelle Neuwahlen reichte, um das Zinsgefälle zwischen italienischen und deutschen Staatsanleihen auf über 3 Prozent hochschießen zu lassen.

Ginge Italien daran, auch nur einen Teil der versprochenen Reformen umzusetzen, dann wäre der Casus Belli wohl schnell da

Und die Agenda der neuen Regierung hat das Zeug, in Zukunft weitere Vetos zu provozieren: Vetos des Präsidenten, der Gesetze nicht unterzeichnet, weil er deren finanzielle Deckung nicht gegeben sieht, Vetos der EU-Kommission, die die Einhaltung der europäischen Defizitziele vermisst, Vetos schließlich der Finanzmärkte, die unsolide Schuldenpolitik abstrafen. Die im Regierungsprogramm aufgelisteten Maßnahmen addieren sich auf etwa 120 Milliarden Euro jährlich, allein die Umsetzung der drei Kernversprechen – einer Flattax, einer Grundsicherung für Arbeitslose, einer Korrektur der Rentenreform von 2011 – würde gut 80 Milliarden kosten.

Ginge Italien daran, auch nur einen Teil der versprochenen Reformen umzusetzen, dann wäre der Casus Belli wohl schnell da. Und zur alles entscheidenden Frage würde dann, wie dieser Konflikt von Brüssel, Berlin oder Paris gespielt würde – und ob es gelingen kann, eine destruktive Dynamik zu verhindern. Die würde sofort eingeleitet, wenn Europa zu einer „griechischen Lösung“ greifen sollte: Dort wurde die Regierung Syrizas unter Alexis Tsipras gedemütigt und zur völligen Kapitulation gezwungen. Ein solches Exempel lässt sich am kleinen Griechenland statuieren, nicht aber an Italien.

Die ökonomische und soziale Spaltung

Denn in diesem Frontalzusammenstoß kann keine Seite gewinnen. Deutschland nicht: Es hält im EZB-System Forderungen von über 800 Milliarden Euro, die es bei einem Crash des Euro wohl zu einem guten Teil abschreiben könnte. Auf der anderen Seite steht Italien mit Verbindlichkeiten von gut 400 Milliarden in der Kreide. Die wäre es los, doch zugleich würde das Land seine Kreditwürdigkeit einbüßen, mit verheerenden Folgen für seine Banken, deren Bücher randvoll sind mit dann auf Ramschstatus abgesunkenen italienischen Staatsanleihen.

Doch vorerst spricht nichts dafür, dass dieser GAU eintreten muss. Es gäbe einen Weg, ihn zu verhindern: ernsthafte Verhandlungen mit Italien, auch wenn es von einer „Populistenregierung“ geführt wird, Verhandlungen, die sich nicht darauf reduzieren dürfen, stur auf die Einhaltung der Schuldenparameter des Stabilitäts- und des Fiskalpakts zu pochen. Es ist ja gerade der erdrutschartige Wahlsieg der „Populisten“ in Italien, der deutlich macht, woran der Euro vorneweg zu scheitern droht: nicht an einer Krise der Finanzmärkte, sondern an einer Krise des Konsenses der europäischen Bevölkerungen, der Wähler, die in Italien zwar nicht den Euro, sehr wohl aber jene politischen Kräfte abgewählt haben, die zu Hause für die Umsetzung der Vorgaben aus Brüssel standen.

Denn der tiefe Riss, der mittlerweile durch die Eurozone geht, wurde ja nicht durch die Populisten und Souveränisten in die Welt gebracht. Sie beschränken sich darauf, jenen Riss, der in der wachsenden ökonomischen und sozialen Spaltung der Eurozone wurzelt, politisch zu kapitalisieren. Mit der Beschimpfung der italienischen Wähler als „Schnorrer“ (Jan Fleischhauer), mit einem trotzigen „Weiter so!“ aus Brüssel oder Berlin wird man diese Spaltung gewiss nicht überwinden, sondern weiter vertiefen. Und dann könnte die Spaghetti durchaus zum Henkerstrick mutieren.

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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