Neue Zahlen zur Flüchtlingsbewegung: Die Weltgemeinschaft ist gescheitert
Über 65 Millionen Menschen wurden 2015 durch Krisen und Konflikte aus ihrer Heimat vertrieben. Die Zahl belegt einen neuen Höchststand.
Statistisch gesehen ist damit jeder 113. Mensch auf der Welt entweder asylsuchend, binnenvertrieben oder anerkannter Flüchtling – eine weiterer neuer Höchststand. Die Zahl entspricht in etwa der Einwohnerzahl von Großbritannien oder Frankreich. Rund 41 Millionen, die im eigenen Land fliehen, sind eingerechnet.
Das belegt das Scheitern der Weltgemeinschaft bei der Beilegung von Konflikten. Seit Mitte der 1990er nehmen Flucht und Vertreibung zu, in den letzten fünf Jahren immer schneller. Zu alten Krisengebieten wie Afghanistan oder Somalia kamen neue wie Syrien, der Südsudan, Burundi, die Ukraine oder die Zentralafrikanische Republik. Die meisten neuen Binnenflüchtlinge gab es 2015 im Jemen.
Die Mehrheit der Flüchtlinge kommt nicht weit. Zwar stehen die Bemühungen Europas bei der Aufnahme im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Tatsächlich aber haben 86 Prozent der Flüchtlinge, die 2015 unter dem Mandat von UNHCR standen, in Entwicklungsländern Schutz gesucht. Sie bleiben in unmittelbarer Nähe der Konfliktgebiete.
Warnung vor Gleichgültigkeit
Mit über 17 Flüchtlingen je 100 Einwohnern hat der Libanon im Verhältnis zur Bevölkerung mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere Land. In Relation zur Wirtschaftskraft leben die meisten Flüchtlinge in der Demokratischen Republik Kongo (siehe Grafik). Keines dieser Länder kann eine ausreichend Versorgung gewährleisten. Sie brauchen die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen, die ihrerseits auf Spenden angewiesen sind.
„Höchst beunruhigend“ nennt UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi die Zahlen. „Auf dem Meer verlieren erschreckend viele Menschen ihr Leben, der Landweg ist durch geschlossene Grenzen zunehmend blockiert, und in manchen Ländern wird gegen Asyl politisch Stimmung gemacht.“
Pro Asyl warnt anlässlich des heutigen Weltflüchtlingstags vor einer „Kultur der Gleichgültigkeit“ gegenüber Flüchtenden. Europa werde bald „faktisch für Schutzsuchende nicht mehr erreichbar sein“, so Geschäftsführer Günter Burkhardt.
„Die EU und auch Deutschland setzen vornehmlich auf die Bekämpfung ‚irregulärer Migration‘ “, sagt Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe. Bisher hätten die europäischen Staaten ihre Verpflichtung aus dem EU-Ratsbeschluss von September letzten Jahres, 160.000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland aufzunehmen, kaum eingelöst. „Höchste Priorität hat jetzt, dass alle Länder ihre Zusagen einhalten und Aufnahmeplätze für Asylsuchende bereitstellen“, so Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland.
Am Freitag kündigte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen an, aus Protest gegen die Flüchtlingspolitik der EU kein Geld mehr von der Union und ihren Mitgliedstaaten anzunehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Der Fall von Assad in Syrien
Eine Blamage für Putin