Neue Zahlen der Sicherheitsbehörden: Mehr bewaffnete Rechtsextremisten
Rund 1.200 Rechtsextremisten in Deutschland besitzen laut Behörden legal Gewehre oder Pistolen. Die Zahl stieg damit seit 2019 um knappe 35%.
Berlin dpa | Die Zahl der den Behörden bekannten Rechtsextremisten mit Waffenerlaubnis ist 2020 deutlich angestiegen. Wie die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mitteilt, hatten die Sicherheitsbehörden Ende Dezember bundesweit rund 1.200 tatsächliche oder mutmaßliche Rechtsextremisten auf dem Schirm, die legal Waffen besaßen – ein Anstieg um knapp 35 Prozent im Vergleich zu Ende 2019.
„Der Anstieg belegt die steigende Bedrohung, die von Neonazis und Rassisten ausgeht“, sagte die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Linke). „Erwartungsgemäß hat sich die Einbindung des Geheimdienstes nicht als wirkungsvolle Maßnahme gegen die Bewaffnung der rechten Szene erwiesen“, fügte die Innenpolitikerin hinzu, die selbst mehrfach Drohungen von Rechtsextremen erhalten hat. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden ist der Anstieg dagegen auch auf die jüngste Novelle des Waffenrechts zurückzuführen und darauf, dass die Beamt:innen noch genauer hinschauen.
Unverändert blieb im Jahresvergleich die Zahl der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter, die Waffen besitzen. Stand 28. Dezember 2020 besaßen 528 Menschen aus diesem Personenkreis eine Waffenerlaubnis, heißt es in der Antwort, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. „Reichsbürger“ erkennen den Staat und die deutschen Gesetze nicht an und weigern sich, Steuern, Sozialabgaben und Bußgelder zu zahlen.
Seit 2016 bemühen sich die Sicherheitsbehörden darum, Angehörigen der Szene die Waffenerlaubnisse zu entziehen. Innerhalb von drei Jahren gelang ihnen das in 790 Fällen. Die Verfahren ziehen sich allerdings häufig länger hin, weil sich die Betroffenen juristisch zur Wehr setzen.
Mehr Rechtsextreme auch wegen Flügel-Einstufung
Anfang Dezember hatte sich ein Sportschütze, der für das Beschaffungsamt der Bundeswehr in Ulm arbeitete, mit einer Schusswaffe erschossen. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) gegen den Mann und mehrere Mitarbeiter der Regionalstelle für Qualitätsmanagement wegen möglicher Zugehörigkeit zu den sogenannten Reichsbürgern ermittelt.
Im vergangenen Oktober hatte das Bundesinnenministerium in einer Antwort auf eine schriftliche Frage von Renner ausgeführt, der Anstieg dürfte „zum Teil auf dem gestiegenen Personenpotenzial im Phänomenbereich Rechtsextremismus beruhen“. Im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 wird das rechtsextremistische Personenpotenzial mit 32.080 Personen angegeben.
Anfang 2019 hatte der Verfassungsschutz den „Flügel“ der AfD und die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative jeweils als Verdachtsfall eingestuft. Der 2015 von dem Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke gegründete „Flügel“ wird vom Verfassungsschutz seit März 2020 nicht mehr als Verdachtsfall, sondern als gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestuft. Er hatte sich im vergangenen Jahr auf Druck des AfD-Bundesvorstandes formal aufgelöst. Inoffiziell existiert das Netzwerk aber wohl weiterhin.
Der „Tagesspiegel“ hatte berichtet, das Rechtsextremismus-Personenpotenzial sei 2020 auf nunmehr 33.300 Personen angewachsen, von denen 13.300 Personen als gewaltorientiert eingeschätzt würden.
Was besagt das Waffenrecht?
Es gibt zwei Arten waffenrechtlicher Erlaubnisse: Wer als Jäger:in eine Waffenbesitzkarte hat, darf eine Schusswaffe kaufen, die er zur Jagd benutzt. Sportschütz:innen können ebenfalls eine Waffenbesitzkarte beantragen und dürfen ihre selbst erworbenen Waffen damit auf dem Schießstand verwenden und auch dorthin transportieren. Der Waffenschein berechtigt zum Tragen einer Waffe in der Öffentlichkeit, etwa zum Selbstschutz, weil jemand als Personenschützer:in arbeitet oder beruflich Wertsachen-Transporte begleitet.
Seit etwa einem Jahr gilt das neue Waffenrecht. Es sieht vor, dass bei der Beantragung der Erlaubnis und danach alle drei Jahre geprüft wird, ob jemand die dafür notwendige „Zuverlässigkeit und persönliche Eignung“ besitzt – und dass auch automatisch beim Verfassungsschutz nachgefragt wird, ob der oder die Waffenbesitzer:in als Extremist:in aufgefallen ist.
Umgekehrt ist es auch für den Verfassungsschutz einfacher geworden, über eine Anfrage im Nationalen Waffenregister festzustellen, ob jemand, der auf seinem Radar gelandet ist, eine Waffenerlaubnis besitzt. Rechtlich nicht gestattet ist dagegen ein automatischer Abgleich aller tatsächlichen und mutmaßlichen Extremist:innen mit dem Waffenregister.
Der Entzug einer Waffenerlaubnis muss im Einzelfall begründet werden. Das ist nur dann relativ einfach, wenn jemand nachweislich Mitglied einer verbotenen Organisation oder Partei ist.
Leser*innenkommentare
Nina Janovich
Da hilft nur eins: gar kein privater Waffenbesitz mehr. Sportschützen und Jäger:innen müssen sich dann im Verein organisieren (sind sie ohnehin meistens) der zur peniblen Kontrolle bei Waffen und Munitionsabgabe und Rückgabe verpflichtet (und kontrolliert) wird. Mitglieder erhalten dann für den Tag der Jagd oder Sportausübung eine Waffe ausgehändigt und geben sie nach getaner Schießerei wieder ab. Personenschützer:innen müssen ebenso verfahren und Waffe und Munition zu Beginn des Arbeitseinsatzes erhalten und wieder abgeben.
Jäger Meister
@Nina Janovich Klingt gut und ist in allen totalitären Staaten so, willst Du das wirklich? Ausserdem lässt sich das kaum kontrollieren. Auf der Jagd ist ja keiner dabei, der die Schüsse zählt. Darüber hinaus frage ich mich, wer bereit ist, nachts um halb 3 nach der Sauenjagd (Afrikanische Schweinepest!) die Waffe anzunehmen.
Wir haben in Deutschland kein Problem mit Legalwaffen(-besitzern), sondern mit illegalen Waffen, die insbesondere aus ehem. Ostblock-Staaten und Ex-Yugoslawien.
Die Politik hat - entgegen den Ratschlägen des BKA - ein völlig sinnfreies Magazinverbot eingeführt, welches nur Kappa bei den Behörden bindet und sonst keinerlei Effekte hat.
Ingo Bernable
@Jäger Meister Ein Kommentar der den Vorschlag Waffenbesitz strenger zu regulieren als Totalitarismus diffamiert disqualifiziert sich selbst. Vielleicht greifen sie gelegentlich mal statt zur Büchse zu Hannah Arendt.
"Wir haben in Deutschland kein Problem mit Legalwaffen"
Die Massaker von Winnenden und Erfurt - um nur zwei Beispiele zu nennen - sind also 'kein Problem'? Zumal es gerade in Fällen wie diesen durchaus plausibel ist anzunehmen, dass sich die Täter eben nicht so ohne Weiteres auf dem Schwarzmarkt eine Waffe besorgt hätten, die Taten also wahrscheinlich nicht oder zumindest weniger blutig passiert wären.
Rudi Rastlos
@Ingo Bernable Na wenigstens Sie haben mitgedacht und mir meine Argumente vorweggenommen.
Rainer B.
War es früher mehr so der Dorfarzt aus dem CDU-Kreisverband, der sich aus Sorge um seine hauseigene Apotheke im Keller bewaffnete, so ist es heute eher der „besorgte Bürger“, der sich einfach mal ganz legal als Ordner bei Neonazi-Veranstaltungen ein paar Euros dazuverdienen möchte. (;-))
Daniel Drogan
Na dann ist es doch am einfachsten alle braunen Extremisten als nicht rechtsextremistisch zu beklagen und schwups keine gewaltbereiten Faschos mehr....
soweit will der Verfassungsschutz dann doch NOCH nicht gehen.
wobei in Sachsen probierte man ja Rechtsextremismus nach Nuancen zu unterschieden. islamkritisch & islamfeindlich, neben rechtsextremistisch, nationalistisch und was weiß ich noch alles...