Neue Stellen für Hamburger Schulen: Mit Sozialarbeit gegen Zukunftsangst
In Hamburg bekommen alle 66 Gymnasien Sozialarbeiter. Denn die psychische Belastung der Schüler sei auch dort ein Problem, sagt die Schulsenatorin.
Sozialarbeit an Schulen sei ihr „Herzensprojekt“, sagte SPD-Schulsenatorin Ksenija Bekeris. Sie war bis zu ihrer Amtseinführung im Januar Lehrerin an einer Erzieherschule. „Ich erinnere die Zeit, bevor die Sozialarbeit an die Berufsschulen kam, und weiß, was dies für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler für eine Entlastung darstellt.“ Wenn ein Schüler dem Unterricht nicht folgen könne und man anfange, von seinen Problemen zu erzählen, die sich nicht in der Klasse klären lassen, „dann ist es gut zu wissen, dass da eine Kollegin ist, die sich kümmern kann“.
Jeder fünfte Schüler psychisch belastet
Sozialarbeiter seien nicht da, um zu bewerten oder zu benoten, ergänzte Michaela Peponis, die Leiterin der Inklusionsabteilung der Schulbehörde. Sie seien da, um Kinder zu stärken, sich gesellschaftlichen Herausforderungen zu stellen. Gerade erst, darauf wies Bekeris hin, ergab eine Studie der Bosch-Stiftung, dass auch mehrere Jahre nach der Coronapandemie jeder dritte Schüler seine Lebensqualität als niedrig einschätzt und jeder fünfte sich psychisch belastet sieht. „Gymnasien sind die Schulform, die wir bisher noch gar nicht mit Schulsozialarbeit bedacht haben“, sagte die Senatorin. „Es ist auch die Schulform mit den größten Klassen.“ Auch an Gymnasien, ergänzte Peponis, hätten die Kinder Zukunftsängste.
Trotzdem ist die Gewichtung ungewöhnlich. Hamburgs Grundschulen, immerhin über 200 an der Zahl, sollen erst im Lauf der nächsten Wahlperiode flächendeckend mit Sozialarbeit ausgestattet werden, wenn sich denn Geld dafür findet. Zunächst bekommen ab Februar nur jene Standorte Sozialarbeit, die sich in ärmeren Gebieten mit „Sozialindex 1 oder 2“ befinden. Konkret teilen sich 56 Grundschulen 35 Stellen. Die 64 Hamburger Stadtteilschulen, anders als die Gymnasien die weiterführende Schulform für alle Kinder, haben bereits 84 Stellen für Schulsozialarbeit und bekommen 23 Stellen dazu.
Ksenija Bekeris (SPD), Hamburgs Schulsenatorin
Die 44 Stellen für die Gymnasien werden nach einem Schlüssel verteilt, der ebenfalls die sozialökonomische Lage berücksichtigt. So bekommt ein Gymnasium mit niedrigem Sozialindex und 850 Schülern eine ganze Stelle. Ein Gymnasium mit 1.000 Schülern und mittlerem Sozialindex bekommt eine Teilstelle von 0,7. Die Spanne der von der Behörde zugewiesenen Ressource liegt zwischen 0,5 und 2,5 Stellen. Zwei Schulen könnten sich auch eine Kraft teilen, sagte Bekeris. Sie ist sich sicher, dass die Stellen besetzt werden: „Schule ist als Arbeitsumfeld attraktiv.“
Eltern genau zugehört
Die Schulleitungen der Gymnasien hätten sehr erfreut reagiert, sagte sie. Gefragt, ob Sozialarbeit für Gymnasien auch eine Reaktion auf die gescheiterte Volksinitiative zur Abschaffung des Turbo-Abiturs ist, sagte Bekeris, sie teile die Ziele dieser Initiative nicht, habe den Eltern aber „sehr genau zugehört“.
Die CDU-Schulpolitikerin Birgit Stöver nannte die Aufstockung „überfällig“ und stellte die Frage, warum dies erst kurz vor der Wahl passiert? Die psychische Belastung der Schüler nehme seit Jahren zu, das wisse man „spätestens seit dem Ende der Coronapandemie“. Auch seien die Wichtigkeit und die positiven Effekte von Schulsozialarbeit lange bekannt. „Warum hat sich Rot-Grün so viel Zeit gelassen?“
Die Linken-Schulpolitikerin Sabine Boeddingshaus sagte zu Bekeris Ankündigung: „Das ist ein großer Schritt aus dem Schatten ihres Vorgängers – aber vielleicht auch dem Wahlkampf geschuldet.“ Auf jeden Fall seien 102 Stellen für die insgesamt 318 Schulen „viel zu wenig“. In Hamburg bestimmten nicht die Bedarfe die Höhe der Mittel, sondern die „angeblich knappe Haushaltsdecke“. Es sei überfällig, dass die Schulbehörde die geistige Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder fördert. Dafür müsse aber auch der Druck durch Bildungspläne und zusätzliche Klassenarbeiten genommen werden. Das wäre „sogar kostenfrei und würde viel bringen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Krieg in Gaza
Kein einziger Tropfen sauberes Wasser
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren