Neue Regierungschefin in Hongkong: Pekings Wunschkandidatin
Carrie Lam hätte laut Umfragen unter Hongkongern kaum Chancen gehabt. Aber die Führung in Peking wollte sie gern als Regierungschefin sehen.

Bei dem gelenkten Votum erhielt die Wunschkandidatin Pekings mit 777 Stimmen erwartungsgemäß die Mehrheit. Der populärere frühere Finanzminister Tsang kam auf 365. Der 65-Jährige wurde von der prodemokratischen Opposition unterstützt, genoss aber nicht das Vertrauen Pekings. Der dritte Kandidat, der Richter Woo Kwok Hing (71), erreichte nur 21 der Stimmen.
Lam versprach, „ein neues Kapitel aufschlagen“ und die sieben Millionen Hongkonger wieder zusammenzubringen. „Hongkong leidet unter einer ziemlich ernsten Spaltung – und es hat sich eine Menge Frustration angesammelt.“ Sie versicherte, soziale Probleme angehen, sich in Peking für Hongkong einsetzen und seine freiheitlichen Grundwerte zu schützen.
Noch während die Auszählung lief und bevor das Ergebnis überhaupt geprüft war, verkündete Chinas Staatsagentur Xinhua den Sieg der bisherigen Nummer zwei. Während der Abstimmung im Kongresszentrum kam es draußen zu Protesten. Hunderte prodemokratische Demonstranten durchbrachen eine Polizeisperre, wurden aber schließlich von einer Kette von Sicherheitskräften vor dem Gelände aufgehalten.
Es gab ein heftiges Gerangel zwischen Demonstranten und Polizisten. Auf Plakaten beklagten die Aktivisten „Lügen, Zwang, Schönfärberei“ und riefen in Sprechchören: „Wir wollen allgemeines Wahlrecht.“ Der Protestzug wurde angeführt von dem Studentenführer Joshua Wong, dem prominenten Abgeordneten „Langhaar“ Leung Kwok-hung und Hongkongs jüngstem Parlamentarier, dem 23-jährigen Nathan Law.
Auch bei der öffentlichen Auszählung der Stimmen in einem großen Saal des Kongresszentrums kam es zu Pfiffen und Buhrufen aus dem Publikum. Tausende Polizisten waren mobilisiert worden, um die Abstimmung zu schützen. Die unangemeldeten Proteste blieben aber friedlich.
„Eine glückliche Versammlung“
Prochinesische Kräfte demonstrierten auf einer Gegenkundgebung ihre Unterstützung für das Wahlverfahren: „Dies ist eine glückliche Versammlung“, sagte der Textilkaufmann Ivan Tsim in der Gruppe. „Nicht wie die Leute da drüben“, sagte der 60-Jährige und zeigte hinüber zu den prodemokratischen Demonstranten.
Viele Hongkonger sind enttäuscht, dass ihnen die kommunistische Führung in Peking – ungeachtet früherer Versprechen – weiterhin keine freie Wahl erlaubt. So besetzten die 1.194 Mitglieder der Wirtschaftselite und anderer Interessengruppen, die meist von guten Beziehungen zu China profitieren, „im kleinen Kreis“ das Spitzenamt und folgten wieder mehrheitlich den Vorgaben aus Peking.
Kritiker befürchten neue Spannungen in Hongkong. Mit dem Ruf nach mehr Demokratie hatte die „Regenschirm-Bewegung“ schon 2014 Teile der asiatischen Wirtschafts- und Finanzmetropole wochenlang lahmgelegt. Es war die schwerste Krise seit der Rückgabe Hongkongs 1997, das nach dem Grundsatz „ein Land, zwei Systeme“ unter chinesischer Souveränität als eigenes Territorium autonom regiert wird.
Die Regierungschefin wird am 1. Juli ins Amt eingeschworen. Es ist der 20. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China. Zu den Feiern wird Staats- und Parteichef Xi Jinping erwartet. Die Karrierebeamtin tritt die Nachfolge des unbeliebten Immobilienunternehmers Leung Chun-ying an, der auf eine zweite Amtszeit verzichtet hatte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links