Neue Rechte und die Akte Hasselhorn: Die Wiederkehr des Martin Grundweg
Unterstützung aus Schnellroda im Hohenzollernstreit? Die Chamäleon-Strategie des Benjamin Hasselhorn – von der Neuen Rechten zur CDU.
Benjamin Hasselhorn ist ein prominenter Vertreter, wenn es gilt, die Beteiligung von Hohenzollern und konservativen Eliten am Aufstieg des Faschismus in der Weimarer Republik kleinzureden. Anscheinend verfolgt der Würzburger Theologe und Historiker dabei eine Chamäleon-Strategie: Im Kulturausschuss des Deutschen Bundestags mimt er im sogenannten Hohenzollernstreit den seriösen CDU-Experten, in neurechten Foren agiert er offenbar unter Pseudonym. Hasselhorn erscheint als Prototyp des heutigen neurechten Intellektuellen, der an eine naive und konservativ fühlende Mitte andockt, um sie strategisch an die Debatten der Neuen Rechten anzuschließen. Eine Recherche des Historikers Niklas Weber.
Im September des vergangenen Jahres wurden in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Auszüge aus einem Protestschreiben veröffentlicht. Zehn prominente Historiker empörten sich über die Vorsitzende des Deutschen Historikerverbandes Eva Schlotheuber, die eine offene Debatte unterbinden wolle und einen „seriösen Nachwuchswissenschaftler“ öffentlich diffamiert habe.
Wenige Monate später wurde das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ gegründet, das seitdem öffentlichkeitswirksam gegen die vermeintliche „Cancel Culture“ zu Felde zieht. Die Mehrzahl der Historiker, die gegen Schlotheuber aufbegehrt hatten, ist in dem Netzwerk aktiv, zum Teil in führender Position. Was war geschehen? Und um wen ging’s?
Schlotheuber hatte gemeinsam mit dem Marburger Historiker Eckart Conze einen Artikel über den Hohenzollernstreit publiziert. In diesem Text wurde der junge Historiker und Theologe Dr. Dr. Benjamin Hasselhorn als ein „den Hohenzollern nahestehender ‚Experte‘“ bezeichnet. „Experte“ in Anführungsstrichen. Nicht sehr nett. Aber diffamierend?
Hasselhorn war zuvor überraschend als Sachverständiger der Unionsfraktion in Erscheinung getreten, als die Hohenzollerndebatte im Januar 2020 im Kulturausschuss des Bundestags verhandelt wurde. Hat Kronprinz Wilhelm den Nationalsozialisten „erheblichen Vorschub“ geleistet? Die Nachfahren des früheren deutschen Kaiserhauses machen heute in umfassendem Maße Restitutionsforderungen an Museen, Ländern und Bund geltend.
Nebel im Bundestag
Doch Entschädigung für nach 1945 getätigte Enteignungen kann nach gesetzlicher Lage nur bekommen, wer der Etablierung der Naziherrschaft 1933 keinen „erheblichen Vorschub“ leistete. Die Historiker seien sich in dieser Frage uneinig, berichteten einige Medien nach der Sitzung im Bundestag.
Für diesen Eindruck war Hasselhorn verantwortlich. Er behauptete, alle bislang vertretenen Positionen seien „wissenschaftlich begründbar“, allein es fehle noch an „Quellenforschung“. Letztlich komme es auf den „Interpretationsrahmen“ an, vor allem in Bezug auf das „Verhältnis von Konservatismus und Nationalsozialismus“.
Hasselhorn erklärte später, für eine „differenzierte“ Betrachtung geworben zu haben. Differenzierung klingt immer gut, was ist dagegen einzuwenden? Da „erheblicher Vorschub“ eine juristische Kategorie ist, können am Ende nur Gerichte über die Streitfrage befinden. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive scheint die Debatte allerdings entschieden zu sein, spätestens seitdem Stephan Malinowskis quellengesättigte Darstellung über „Die Hohenzollern und die Nazis“ erschienen ist.
Malinowski schreibt die Geschichte einer Kollaboration zwischen der kaiserlichen Familie und den Nationalsozialisten, die keine Zweifel am zerstörerischen Wirken des Kronprinzen lässt. Auf dem Weg zum Standardwerk wird sich das Buch wohl auch nicht von Hasselhorn und seinem Chef Peter Hoeres aufhalten lassen, die kürzlich eine plumpe Kritik in der FAZ publizieren durften. Doch auch wenn die Hohenzollern und ihre Advokaten diesen Deutungskampf zu verlieren drohen, lohnt der Blick zurück, nach Sachsen-Anhalt, in den Maschinenraum der Neuen Rechten.
Kubitschek, Weißmann, Hasselhorn
Szenenwechsel: Schnellroda im Jahr 2014. Hier befindet sich das Institut für Staatspolitik (IfS), das Götz Kubitschek und Karlheinz Weißmann im Jahr 2000 gegründet haben, um die „intellektuelle Lufthoheit“ an den Universitäten zu erringen. Zu diesem Zweck richtet das Institut Akademien für junge Leute aus. Professoren, Generäle, Publizisten und Aktivisten schulen den rechten Nachwuchs. Auch ein gewisser „Martin Grundweg“ hat vermutlich einige dieser Akademien besucht.
Der junge Grundweg, angeblich Jahrgang 1984, träumt von einem neuen Historikerstreit. Von der großen geschichtspolitischen Wende, die den Deutschen den „Mut zur eigenen Geschichte, insbesondere zu den großen Stunden der deutschen Nation“ zurückgeben soll. Diese Nation ist preußisch, sie ist evangelisch und sie ist grandios, aber davon wolle man derzeit leider nichts wissen, dem „staatlich verordneten Geschichtsbild“ und dem „Schuldkult“ sei Dank. Zu seinem Unglück lebt Martin Grundweg im Interregnum, in der „kaiserlosen, der schrecklichen Zeit“ (Schiller).
2014 veröffentlicht dieser Grundweg fünf Artikel in der Sezession, dem Leitorgan der rechten Intelligenz,und 14 Einträge im „Staatspolitischen Handbuch“, einem Vorzeigeprojekt des IfS. Er schreibt über den Ersten Weltkrieg, die Schlacht auf dem Lechfeld oder das Wunder von Bern. Über mythische „deutsche Orte“ wie die Wartburg, Bayreuth oder Reval. Und immer wieder über Kaiser Wilhelm II., den er erkennbar ins Herz geschlossen hat. Danach verschwindet Martin Grundweg. Weder in der Sezession noch im Nachfolgeband des Handbuchs finden sich weitere Beiträge unter seinem Namen.
„Demokratie von rechts“
Grundwegs ambitioniertester Text, „Demokratie von rechts“, (Sezession 60/Juni 2014) entfaltet indes ein bemerkenswertes Nachleben. Hier hatte sich der Historiker als politischer Stratege präsentiert, der einiges auf seine „metapolitische Klugheit“ und seinen eiskalten „Realismus“ hält. Anstatt den Weg der radikalen Systemopposition zu beschreiten, solle die Neue Rechte „‚anknüpfend‘ […] agieren“ und versuchen, mit der AfD „im Namen des gesunden Menschenverstandes“ die „Mitte“ zu mobilisieren, um den „jahrzehntelangen Zersetzungstendenzen“ entgegenzuwirken und eine „postdemokratische Plutokratie“ zu verhindern.
Die Rezeption des Essays nimmt sich auf den ersten Blick bescheiden aus. Und doch wirkt der Text auf Umwegen fort. Zum einen begegnen wir Grundweg in einem Strategiepapier Götz Kubitscheks, in dem dieser für den sprachpolitischen Einsatz der Begriffe „Normalisierungspatriotismus“ und „Normalität“ wirbt. Kubitschek hat seinen Text im Mai noch einmal veröffentlicht, nun unter dem Titel „Deutschland. Aber normal“, dem Wahlkampfslogan der AfD. In diesem Text hat Kubitschek fast einen kompletten Absatz aus „Demokratie von rechts“ abgeschrieben. Merkwürdig.
Noch merkwürdiger wird es, wenn man „Königstod“ liest, ein 2018 erschienenes Buch des eingangs erwähnten Historikers und Theologen Benjamin Hasselhorn. In „Demokratie von rechts“ von Martin Grundweg steht der Erfolg der Serien „Borgen“ und „House of Cards“ für einen „neuen Zynismus“, der es, im Zusammenspiel mit den Debatten um die „Postdemokratie“, „denkbar“ erscheinen lässt, „eine rechte Alternative zur Demokratie zu entwerfen“.
Und im Unterkapitel „Postdemokratie“ von Hasselhorns in „Königstod“ steht geschrieben, dass der „unverhohlene Zynismus“ der Serien „Borgen“ und „House of Cards“ einen schleichenden Legitimationsverlust der westlichen Demokratien belege. Angesichts der Skurrilität des Gedankens erscheint ein Zufall unwahrscheinlich. Warum sollte man so etwas abschreiben? Handelt es sich um denselben Autor?
Hasselhorn gleich Grundweg?
Tatsächlich ist das Werk des Wissenschaftlers Hasselhorn nicht von dem des konservativen Revolutionärs Grundweg zu trennen. Beiträge Grundwegs für das „Staatspolitische Handbuch“ – über die Hohkönigsburg oder die Erlöserkirche – enthalten umformulierte Passagen aus Hasselhorns Dissertation über die „Politische Theologie Wilhelms II.“(2012). Eine Passage aus „Reval“ findet sich leicht umformuliert im ersten Kapitel von Hasselhorns zweiter Dissertation (2015) wieder. Auch Grundwegs Rezension zu einem Buch des Historikers Christoph Nonn weist gravierende Übereinstimmungen mit Hasselhorns Aufsatz „Erinnerung im Streit“ auf.
So schätzt Grundweg an Nonn, dass der sich „nicht als Staatsanwalt und Ankläger“ verstehe und den „einfachen Sachverhalt zur Sprache gebracht“ habe, dass zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus „fundamentale Unterschiede“ bestünden. „Wenn sich Nonns Arbeitsweise in der Historikerschaft allgemein durchsetzen würde, wäre der Wissenschaftlichkeit des Faches ein großer Dienst erwiesen“, heißt es am Ende.
Im selben Jahr nimmt sich Hasselhorn der Sache an: Sein Aufsatz leitet mit Versatzstücken der Rezension ein, um anschließend für einen Wesensunterschied zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus und gegen das „Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft als eine Art Staatsanwaltschaft“ zu argumentieren: „Wenn sich diese Auffassung im Fach allgemein durchsetzen würde, wäre dies ein Schritt in Richtung einer sachlicheren wissenschaftlichen Diskussion“.
Ebenso verblüffende Übereinstimmungen mit Texten Grundwegs lassen sich bei zwei weiteren Aufsätzen Hasselhorns (zum „Augusterlebnis“ 1914 und zum „Mythos des Freiwilligen in den Befreiungskriegen“) feststellen. Dies betrifft insbesondere den Aufbau und die Stoßrichtung, gegen die Dekonstruktion der Mythen zu argumentieren. Die Revitalisierung des Mythos und der Kampf gegen den „Konstruktivismus“ stellen geschichtspolitische Herzensanliegen Grundwegs wie Hasselhorns dar.
„Gesamtnationale Synthese“
Hasselhorns Begriff der „gesamtnationalen Synthese“ findet man über Google ausschließlich bei Grundweg. Grundwegs Beitrag zu „Doorn“, dem holländischen Exil des Kaisers, ist eine Art Zusammenfassung des ersten Teils von „Königstod“. Aufgrund der Wechselseitigkeit des Abschreibens, der Abseitigkeit der Themen, der Summe der Belege und der Identität von eigentümlichen Argumenten, Deutungen und Formulierungen ist davon auszugehen, dass „Martin Grundweg“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Pseudonym Benjamin Hasselhorns war.
Mit der Berufung Hasselhorns durch die Unionsfraktion haben sich Strategie und Nachwuchsarbeit des rechten IfS offenbar ausgezahlt. Der alte Revisionismus kehrt durch die Hintertür zurück, im Gewand der unschuldigen Frage. Das neurechte Interesse am Hohenzollernstreit besteht dabei nicht in der unrealistischen Hoffnung auf eine Restauration der Monarchie, sondern in einer behutsamen Verschiebung des Geschichtsbilds.
Die Zerstörung der Weimarer Republik durch die konservativen Eliten erscheint dann in Verkehrung der historischen Tatsachen als edelmütiger Versuch, den Nationalsozialismus zu verhindern. Damit sollen nicht nur die historischen Anhänger einer Konservativen Revolution, sondern auch ihre selbsternannten Erben – die Neue Rechte – vom üblen Nazi-Ruch befreit werden.
Bis zu einem neuen, schuldbefreiten Nationalmythos, der im NS nur noch ein tragisches Zwischenspiel in tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte und in der Konservativen Revolution eine leider verpasste Chance erblickt, ist es, das wissen die Neuen Rechten, noch ein weiter Weg.
Die „mögliche Mehrheit [muss] an Vokabeln, Argumente, Grundlagen, Wertungen und Tabus gewöhnt werden, deren sie jahrzehntelang entwöhnt wurde. Die Neudeutung und Rekonstruktion der kaputten Begriffe und falschen Schlußfolgerungen muß dabei wie ein langsames Unterschieben organisiert werden“, hat Götz Kubitschek über die Strategie seines langjährigen Weggefährten Karlheinz Weißmann – des ehemaligen Gymnasiallehrers Benjamin Hasselhorns – gesagt. Hört sich raffiniert an; in der Praxis ist es das aber eher nicht.
Revisionistische Mogelpackung
Dass es sich etwa bei „Königstod“ um eine revisionistische Mogelpackung handelt, sieht man eigentlich auf den ersten Blick. Das betrifft den historiografischen Teil: die grotesken Würdigungen Wilhelms II., den Versuch einer Rehabilitierung der Dolchstoßlegende, die konsequent nationalistische Apologetik. Es betrifft die politischen Äußerungen: das Bashing gegen den „Parteienstreit“, gegen die „oligarchisch-plutokratische politische Klasse“ oder den „Gleichheitsfanatismus“.
Und es betrifft schließlich den Stil, das bei Revisionisten oftmals populäre Mittel eines uneindeutigen Schreibens, bei dem für Uneingeweihte unklar bleibt, was der Autor nun eigentlich gesagt hat und wie man ihn wiedergeben darf.
Das Wissen darum, wie viel allein dieses Buch älteren Texten aus Sezession und „Staatspolitischem Handbuch“verdankt, dass Grundweg längst weiß, wonach Hasselhorn fragt, braucht es also gar nicht. Dass die Zeitschrift Cicero Hasselhorns „Königstod“ als „sacht konservatives Plädoyer“ einschätzt, kann vielleicht noch damit entschuldigt werden, dass der Autor selbst unter verschiedenen Pseudonymen für rechte Hefte wie Sezession oder Tumult schreibt.
Ärgerlich und auch ein wenig gruselig wird es aber, wenn sich prominente Wissenschaftler*innen zu Wort melden, die darin kein Problem erkennen können. Zuweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diejenigen, die für eine differenziertere, weniger verbiesterte, irgendwie ambivalentere Nationalgeschichte werben, nicht willens oder nicht dazu imstande sind, das eigene Programm vom Revisionismus Schnellrodaer Prägung zu unterscheiden. Kritisiert werden rechte Deutungen oft nur dann, wenn sich ihre Vertreter als „rechts“ zu erkennen geben („Nazis raus!“).
Der Fall Hasselhorn ist eine Blaupause für das, was in den nächsten Jahren bevorsteht. Der Kulturbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche, Johann Hinrich Claussen, hat die Methoden der Neuen Rechten treffend mit „Camouflage und Einschüchterung“ benannt. Sie tragen die Handschrift des erfahrenen Vordenkers Karlheinz Weißmann, der das politische Institut der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung leitet. Man darf gespannt sein, wie sich die Wissenschaft dazu künftig verhalten wird.
Anmerkung von Redaktion und Autor: Zu diesem Artikel liegt eine umfangreiche Belegdokumentation vor. Der Bitte um eine Stellungnahme hat Benjamin Hasselhorn nicht entsprochen. Hasselhorn wurde nach dem Pseudonym „Martin Grundweg“ und zwei weiteren Pseudonymen gefragt. In der Vergangenheit hat Hasselhorn erklärt, er „lehne völkisches, ‚identitäres‘ und ‚national-soziales‘ Denken ab“. Ihn einem neurechten Netzwerk zuzuordnen sei „Unsinn“, der an eine „Verschwörungstheorie“ erinnere.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge