Neue Nationalgalerie in Berlin: Der fehlende Handlungsspielraum
Baustellen der Hauptstadt: Udo Kittelmann, der schillernde Berliner Ausstellungsmacher, verabschiedete sich als Direktor der Nationalgalerie.
Vielleicht kommt es Udo Kittelmann, der sich Ende Oktober als Direktor der Berliner Nationalgalerie verabschiedete, ganz recht, dass der Zeitpunkt für große Abschiedsfeiern eher schlecht ist. In Berlin ist es zuletzt eher ruhig geworden um den 1958 in Düsseldorf geborenen Kurator.
2008 kam er vom Frankfurter Museum für Moderne Kunst in die Hauptstadt, um den eingefahrenen Nationalgalerie-Betrieb auf Trab zu bringen. Unüberhörbar ist dagegen die Kritik an Struktur und Management der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), zu der die von Kittelmann bislang geleiteten Museen gehören.
Die Bilanz der Stiftung inklusive der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) ist selbst ohne die kürzlich aufgedeckte unheimliche Spritz-Attacke gegen zahlreiche Kunstwerke auf der Museumsinsel verheerend.
Nach zweijähriger SPK-Evaluation empfahl ein von Kulturstaatsministerin Monika Grütters angeschobenes Gutachten die grundlegende Reform der Stiftung. Die Experten monieren, was Museumsbesucher seit Jahren merken: Im internationalen Vergleich wirken die Kunstmuseen abgeschlagen. Große Ausstellungen, schlüssige Sammlungspolitik, eine plausible kunsthistorische Erzählung von der Kunst der Moderne bis heute? Fehlanzeige. Es mangelt an Inhalt, Programm und Profil.
Kaputt gespart
Die von Bund und Ländern gemeinsam getragene Konstruktion funktioniert nicht mehr: Überverwaltete Stiftungseinrichtungen stehen sich gegenseitig im Weg. Für das operative Geschäft reichen die Mittel nicht. Kaputt gespart, sind sie zudem schon zu lange abhängig von Sponsoren und Förderkreisen. Drastisch zeigt sich das am jährlichen Ankaufsetat der Nationalgalerie: Mit 65.000 Euro kommt man in der internationalen Museumsliga nicht weit.
„Dysfunktion und Intransparenz“ nennt Kittelmann auf Nachfrage der taz als Gründe für seinen lang angekündigten Abschied. „Ich habe für mich und meine Mitarbeiter keinen ausreichenden Handlungsraum mehr gesehen, um unsere Vision von Museum perspektivisch in die Zukunft zu führen.“
Zwar ist der Reformprozess seither in Gang gekommen. Bei der SPK mag man sich nun sogar mehr Eigenständigkeit der einzelnen Häuser vorstellen. Doch aktuell liegt der Ball bei der Politik: bei Monika Grütters. Sie hat sich ausgerechnet Stiftungspräsident Hermann Parzinger und seinen Vize in eine Reform-Mini-Taskforce geholt. Vertreter der Häuser der SMB werden dagegen nur einzeln und im Rotationsbetrieb gehört.
Reformen ohne Kittelmann
Die Reformanstrengung ist nun ohne Kittelmann zu stemmen. Verlockender als die graue Gremienarbeit war auch bisher schon das Kuratieren spektakulärer Ausstellungen außerhalb Berlins, etwa für die Fondazione Prada in Mailand und Venedig, die Fondation Beyeler in Basel oder das Museum Frieder Burda in Baden-Baden.
Bei Amtsantritt umfasste Kittelmanns Reich sechs über Berlin verteilte Spielstätten: Neben Alter und Neuer Nationalgalerie sowie Hamburger Bahnhof waren das die Friedrichswerdersche Kirche und die Sammlungen Berggruen und Scharf-Gerstenberg. Der Gestaltungsspielraum war – proportional zur Verantwortung – enorm, ein Kontrollgang durch sämtliche Häuser kaum in einem Tag zu schaffen.
Dennoch sollte das Ressort plangemäß sogar noch wachsen. Im Herbst letzten Jahres erfolgte ungeachtet stichhaltiger Kritik der Spatenstich für den Neubau eines Museums der Moderne am Kulturforum: eine teure Hülle, bislang ohne überzeugende Programmatik. Der Festakt war Kittelmanns letzter prominenter Auftritt in Berlin. Fotos zeigen ihn einer Reihe mit Grütters und Parzinger.
Wenn der Plan aufgeht, würde das auf gut Berlinerisch jetzt schon „Grüttoleum“ getaufte Haus 2025 eröffnen. Es wäre die Krönung einer Ära Kittelmann gewesen, die nun ausfällt. Kann es etwas Erfüllenderes für einen Museumsmacher geben, als ein Haus von Grund auf zu begleiten und zukunftsweisend aufs Gleis zu setzen?
Immerhin konnte Kittelmann in der ersten Hälfte seiner Amtszeit in Berlin Impulse setzen: Grandios war sein sammlungshistorischer Blick auf die Gründung der Nationalgalerie als Initiative des Bankiers und Großsammlers Joachim Heinrich Wagener.
Kunstmuseum wurde zum Modell
Die damals gekaufte Kunst liegt heute – nicht zu Unrecht – großteils in den Depots. Doch das Kunstmuseum wurde zum Modell der öffentlich getragenen Kulturpflege in Deutschland – und würde bis heute den Takt vorgeben, gelänge es den Museen besser, die Öffentlichkeit von ihrer Relevanz zu überzeugen und die Politik entsprechend in die Pflicht zu nehmen.
Schade, dass es bei diesem einen Exempel blieb. Dümpelte das Haus auf der Museumsinsel danach ohne rechte Direktive vor sich hin, gewann die Neue Nationalgalerie bis zur notwendigen Renovierung merklich an Kontur – mit Kittelmann als versiertem Ausstellungsmacher.
Auch mit Großprojekten wie Thomas Demands „Nationalgalerie“, Gerhard Richters „Panorama“ oder einer Ausstellungs-Trilogie zur hauseigenen Sammlung, vor allem mit seinen gleichermaßen kennerschaftlich und kokett vorgebrachten Publicity Stunts punktete er. Da wurde die gläserne Halle des Mies-Baus schon mal für Hans-Peter Feldmanns kitschige Nofretete-Aneignung leergeräumt, durfte ein klitzekleines Parfümflakon von Marcel Duchamp für nur 72 Stunden kräftig Aura versprühen.
Internationale Kunst spielte kaum eine Rolle
Die internationale Kunst, speziell diejenige von Künstlerinnen, spielte dagegen allzu lange keine Rolle. Die konzeptuelle Fotografie Taryn Simons mit politischem Subtext oder Willem de Rooijs installative Auseinandersetzung mit Kunst- und Kolonialisierungsgeschichte „Intolerance“ blieben vielversprechende Ausnahmen in einem Programm, dem mit der Zeit die Luft auszugehen schien – trotz großer Projekte der Kunstbetriebslieblinge Anne Imhof und Katharina Grosse zuletzt im Hamburger Bahnhof.
Positiv fielen dort eher die solide gemachten Interimsausstellungen der Nationalgalerie auf. Doch stammten weder die Rudolf-Belling-Retrospektive noch die erinnerungspolitisch brisante Nolde-Schau aus der Hand des Direktors. Statt einer tragfähigen, die einzelnen Häuser konzeptionell verbindenden Rahmung als großer Wurf hinterlässt er viel Stückwerk.
Großausstellungen wie „Die Kunst ist super“ und das maßgeblich von der Kulturstiftung des Bundes mit auf den Weg gebrachte „Hello World!“ standen für eine aus musealer Sicht sogar eher problematische Tendenz: die Vermischung von temporärem Ausstellungsformat und kontinuierlicher, wissenschaftlich gründlicher Sammlungs- und Vermittlungsarbeit.
Abzug der Flick Collection
Stolz kann Kittelmann aber auf stattliche 700 Arbeiten sein, die er für die Sammlung der Nationalgalerie sicherte, darunter viele Schenkungen, etwa auch vom Nazi-Erben Friedrich Christian Flick. Verhindern konnte es den endgültigen Abzug der Flick Collection aus Berlin nicht.
Das eigentliche Desaster ist, dass nicht nur die mit Flicks Geld einst teuer hergerichteten Rieckhallen, sondern das Haus als Ganzes aktuell zur Disposition steht. Es gehört weder Stiftung noch Staat, sondern einem privaten Immobilienentwickler. Auch wenn hier die Politik gefragt ist, findet Interimsdirektor Joachim Jäger genug Baustellen vor – zumal die Stelle des Nationalgalerie-Direktors vorerst nicht neu ausgeschrieben wird.
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