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Neue Kolumne „Eastsplaining“Dem Spuk ein Ende bereiten

Nach über zehn Jahren russischer Aggression in der Ukraine hält sich ein harter Kern von „Westsplainern“. Unsere Kolumnistin setzt dem etwas entgegen.

Symbolbild: Reaktion von Westplainern wenn sie korrigiert werden Foto: Dmitri Lovetsky/ap

Ich selber kenne beruflich und persönlich die Ukraine und Russland besser wie (sic!) vielleicht ein Ukrainer oder Russe,“ schrieb mir kürzlich ein Herr, der sich an meiner Analyse eines russischen Propagandafilms störte. Er wollte mich mittels eines Gregor-Gysi-Videos darüber aufklären, dass der Krieg in der Ukraine nicht von Putins Desinformations- und Kriegsmaschine, sondern von der vermeintlichen „ukrainischen faschistischen Regierung“ verursacht sei.

Seit dieser tobt, hat sich in Anlehnung an Mansplaining der Begriff Westsplaining immer mehr für die Russlandversteher-Haltung von Westeuropäern durchgesetzt, die Osteuropäern deren Geschichte und Gegenwart erklären – in der Regel aus einer gleichermaßen selbstsicheren wie ahnungslosen Position heraus.

Alexander Kluge etwa verglich in einem Interview, das er dem Philosophie Magazin wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs gab, diesen mit einem „Ehekrieg“. Er kenne eine berühmte Schauspielerin, deren Mann sie mit einer jüngeren Frau betrogen habe. Statt sich aufzuregen, habe sie einfach gelassen abgewartet – und voilà, bald hatte sie ihn zurück. „Sie sind heute noch verheiratet und die zwei Kinder kommen nicht aus einer geschiedenen Ehe. So lässt sich ein Friedensschluss beschreiben.“

Eine paternalistische, aber auch schlichtweg falsche Metapher. Putin schlug bei einer Pressekonferenz in Moskau kurz vor Beginn der Invasion eine passendere vor – die einer Vergewaltigung: „Ob’s dir gefällt oder nicht, halt’s aus, meine Schöne!“ Gemeint war die Ukraine.

Lasst euch erobern, vergewaltigen, ermorden

Ein Paradebeispiel für Westsplaining war das Gespräch von Jakob Augstein mit der in Wien lebenden ukrainischen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk im Herbst 2022. Wie wichtig es sei, eine Eskalation des Krieges durch angebliche Provokationen in Richtung Russland zu vermeiden, versuchte Augstein mit seiner persönlichen Sprecherposition zu untermauern, als Nachfahre von Menschen, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten.

Am absurdesten waren jedoch seine Ausführungen zu Paris: Wie gut, dass man es nicht militärisch verteidigt habe, denn sonst würde diese Stadt nicht mehr existieren. Explizit ausgedrückt: Wehrt euch nicht, lasst euch erobern, vergewaltigen, ermorden, damit Kyjiw hübsch anzusehen bleibt.

Dass sein Gegenüber in diesem Augenblick erleben musste, wie die Heimat von all den genannten Schrecken heimgesucht wird, schien er vor lauter Selbstbezogenheit vergessen zu haben. Und auch, dass es die Deutschen waren, die im Zweiten Weltkrieg weite Teile der heutigen Ukraine in Schutt und Asche gelegt hatten.

Obwohl es glücklicherweise empathischere Stimmen gibt, hält sich nach über zehn Jahren russischer Aggression in der Ukraine ein harter Kern von Westsplainern – mit Galionsfiguren wie Richard David Precht. Desinteresse an den Perspektiven von Menschen aus den östlichen Nachbarländern, die maximal als Ziele von Sauftourismus oder Quelle von billigen Arbeitskräften taugen.

Antislawische Vorurteile und fehlende Solidarität

Kolumnistin Yelizaveta Landenberger Foto: privat

Diese Haltung lässt sich durch jahrhundertealte antislawische Vorurteile erklären. Eine Ausnahme bildet dabei allein Russland – mit der imperialen Macht kann man sich wegen der deutschen Vergangenheit wohl besser identifizieren als mit Tschechien, Polen oder der Ukraine. Russland wird im Gegensatz zu jenen gemeinhin als selbstbestimmt und als Kulturnation anerkannt.

Und es führt zu realem Leid: Dazu, dass die Ukraine aktuell nicht die Solidarität erfährt, die sie benötigt, und dazu, dass Diktaturen beschönigt werden. Im November reiste Til Schweiger nach Belarus, um – Achtung – einen Car-Drifting-Werbeclip zu drehen. Er trat bei der Gelegenheit auch im dortigen Propagandafernsehen auf und sagte, er habe „das Beste“ über das Land gehört, es sei so sauber und sicher, das Essen und das Hotel großartig.

Bei der belarussischen Exilcommunity sorgte das freilich für Spott, schließlich gibt es über 1.200 politische Gefangene zu beklagen. Sie schweben wegen bewusster Unterversorgung in Lebensgefahr.

Um dem Westsplaining-Spuk ein Ende zu bereiten, werde ich künftig in meiner Kolumne „eastsplainen“ – als Slawistin, Journalistin und Osteuropäerin über Kultur und Politik aus Mittel- und Osteuropa schreiben. Und über die vielen Menschen aus der Ukraine, aus Belarus und Russland, die nun im Berliner Exil leben.

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16 Kommentare

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  • "... Russland wird im Gegensatz zu jenen gemeinhin als selbstbestimmt und als Kulturnation anerkannt. ..." An dem "gemeinhin" sollte man arbeiten, denn unter der Knute Putins ist von der Kulturnation ohnehin nicht mehr viel übrig.

  • „Um dem Westsplaining-Spuk ein Ende zu bereiten…“ - vielleicht doch ein wenig Selbstüberschätzung… eher: dazu beitragen. Ansonsten: In anderen Zusammenhängen wird das Westler-erklären-es-dir leider sehr unkritisch gesehen (z.B. bei dem, was die Noch-Außenamtschefin so alles zu wissen glaubt und recht bombastisch-fehlerhaft Leuten anderswo sagen muss (auch wenn die‘s eigentlich nicht wirklich hören wollen)).

  • Das finde ich sehr gut. Man muss dieser seltsamen deutschen Mischung aus Unwissen, Geringschätzung der östlichen Nachbarn und Atomkriegspanik etwas entgegensätzen.



    Die Großmächte Preußen, Österreich und Russland hatten sich Ende des 18. Jhdts Polen-Litauen untereinander aufgeteilt und seither als Kolonialmächte auf Augenhöhe konkurriert. Man selbst hielt sich für Kulturnationen, während die unterworfenen Völker und ihre Kulturen nicht als gleichwertig betrachtet, russifiziert und germanisiert wurden. Auf deutscher Deite endete das 1945. Auf russischer nicht.



    Ich denke, es ist dieser alte, koloniale Blick über Zwischeneuropa hinweg auf "Moskau", aus dem sich die Empathielosigkeit und Arroganz mancher Stimmen aus Deutschland gegenüber der Ukraine erklären lässt.

  • Danke.

  • Deutsche "Westplainer" sind Menschen, die den UkrainerInnen anempfehlen, Mord, Folter und Vergewaltigung willig zu ertragen, während sie selbst Falschparker anzeigen.

  • Das ist erstaunlich, wieso man gegenüber Russland so naiv und blind (blöd) ist. Ich bin nicht großartig gebildet, bin nur so halbgar politisch informiert, aber selbst ich habe das Lügenkonstrukt der Russen durchschaut, obwohl ich noch als Ossi und damaliger, vorbildlicher Jungpionier pro Sowjet erzogen wurde. Da gibt doch fast keine 2 Meinungen, was in der Ukraine passiert. Und dass das Offensichtliche nicht mal der eine oder andere Ex Nato General bemerkt, macht mich schon seit Kriegsbeginn immer wieder sprachlos. (Aber man versteht zumindest, warum Russland so auftreten konnte) Diese Appeasement-Politik hat schon viele Menschenleben gekostet, nur damit unser Wohlstand erhalten bleibt. Ekelhaft. Und jetzt kommen die Nazis damit, dass man doch auf das Wohlergehen vieler Osteuropäer schei... kann, Hauptsache wir haben billiges Gas. In was für einer fucking Welt leben wir. Es wird jeden Tag düsterer. Dss macht wirklich traurig.

  • Vielen Dank für diese notwendige Stimme.

    Ich bin dennoch der Meinung, dass die vermeintliche Westplainsche Ausnahme vom Antislawinismus, Russland, keine ist. Mehr als ethnische oder kulturelle Denkmuster überwiegen in meiner Wahrnehmung Erklärungsansätze und Lösungsvorschläge, die die eigene Seele beruhigen und keinen Zwang für eigenes Handeln auslösen sollen. Der Vorwurf sollte daher Realitätsverweigerung und Anteilnamslosigkeit heißen.



    Den Antislawinismus als Teil des internalisierten Rassismus gilt es natürlich dennoch aufzudecken und zu kritisieren.

  • Vielen Dank Frau Landenberger für Ihre richtige und wichtige Arbeit.

    Ich selbst lese gerne Nachrichten aus meiner Heimat oder anderen östlichen Nachbarn, und es interessant wie anders doch die Blickwinkel zu den gleichen Themen sind.

    Ebenfalls kann ich die Serie "Russian Fake News" von arte empfehlen. Hier wird sehr humorvoll von russischen Exil Journalisten das russiche Staatsfernsehen kommentiert.

    youtu.be/r2nle8mCE...i=MdCvMFv9nweUtICx

    Ob den meisten Deutschen wohl bewusst ist, dass wir, weil wir kein russisches Gas mehr kaufen können um zu heitzen alle Verlaust sind und die Pest wieder umgeht?

  • Vielen Dank für diesen wirklich tollen Beitrag. Sie sprechen mir aus der Seele.

  • Bei allen möglichen Erklärungen der russischen Sichtweise auf diesen Krieg. Keine davon erklärt nur im entferntesten das immense Töten und Zerstören in der Ukraine.

  • Chappeau. 'Der' Osten besteht also doch aus mehr als Russland, der Westen aus mehr als deutschen Interesssen, was Europa angeht; und was die Priffiteure der ganzen polnischen Teilungen angeht: ich erbitte von Ihnen da mal eine saftige Erinnerung, bevor ich mich hier mit Wissenslücken blamiere...

  • "seine Ausführungen zu Paris: Wie gut, dass man es nicht militärisch verteidigt habe, denn sonst würde diese Stadt nicht mehr existieren."

    Was genau ist damit gemeint? Wie gut dass die Franzosen rasch kapitulierten und kollaborierten oder wie gut, dass die faschistischen Besatzer "ein Einsehen hatten". Mit wem sollen die Menschen der Ukraine sich dabei identifizieren? Berlin oder Warschau sind ja übrigens auch noch da. Aber natürlich mit moderner Architektur, die selbst modernen Intellektuellen irgendwie den Lifestyle verpfuscht, außer sie sind dauernd auf Droge. Menschen kommen nach, die Fassaden müssen erhalten bleiben. Früher war mehr Altbaucharme und weniger gewollte Hässlichkeit. Die Pariser hätten sicher den Urzustand wieder herzustellen versucht wie bei Notre-Dame. Aber der Augstein dachte vielleicht, den Osteuropäern die eigene Geschichte erklären zu müssen, weil das Aufeinandertreffen der Besatzer und der Zivilbevölkerung meist mehr überlebende Deutsche zurückließ, die übrig waren die Geschichte zu erzählen. Quasi ein Fachkräftemangel, den er als Nachfahre der Okkupanten altruistisch gratis ausgleicht. Und so Leute wie Precht oder Lanz sind sowieso "ganz was Besonderes".

  • Oh, wie war. So viel Arroganz, Ignoranz und Dummheit allerorten, wenn es um Osteuropa im Allgemeinen und den russischen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine im Besonderen geht. Danke, Frau Landenberger, für den Klartext!

  • Ich bin ganz Ohr.

  • Also "Erobern, Vergewaltigen, Ermorden" als Folge des Pazifismus.



    Aber kein Wort über die Schrecken des Krieges.



    Diese Art der Argumentation, die beispielsweise die hundertausenden Fahnenflüchtigen der Ukraine einfach ignoriert, die empfinde ich tatsächlich als "Warplaining".

    • @Schleicher:

      Oj, wie putzig unlogisch. Aus der Tatsache, dass es Deserteure gibt (kaum Hundertausende übrigens), schliesse man also darauf, dass die Verteidugung der Notwendigkeit und der Legitimität der Verteidugung einer Kriegslüsternheit gleichkommt... Diese Haltung ist mithin schlimmer als das "bloß" ignorante Westsplaining. Und zwar, weil sie bewußt Übles will.